Unter UNS - 27. Februar 2025

Kritischer Geist

Es gibt Menschen, denen man sogleich anmerkt, dass sie nur weniges im Leben dem Zufall überlassen möchten. Zu diesen gehört Alexandra Stadtmüller, Steuerberaterin im beschaulichen Drolshagen, einer Kleinstadt etwa 70 Kilometer östlich von Köln im südlichen Sauerland gelegen.

Wer mit ihr spricht, erlebt Tatkraft und die Entschlossenheit, alles, was in der Reichweite ihrer Entscheidungen liegt, ihrem sehr bewussten Gestaltungswillen zu unterwerfen. Hierzu gehört bereits die Standortwahl, denn bis vor Kurzem unterhielt sie ihre Kanzlei noch in Wuppertal: „Ich habe meine dortige Kanzlei aufgegeben und meinen Wohn- und Arbeitsort aus privaten Gründen hierher verlegt, weil ich dank der Digitalisierung und der nahezu unbeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten für mich keine zwingende Notwendigkeit mehr sehe, überhaupt noch Kanzleiräume zu unterhalten, geschweige denn, dies an einen bestimmten Standort zu tun. Ich habe nur drei Mandanten im Jahr, die mich tatsächlich noch persönlich aufsuchen, mit allen anderen läuft alles digital.“

Kanzleiräume waren gestern

Tatsächlich arbeitet Alexandra Stadtmüller von ihrem Wohnhaus aus, ohne eigentliche Büroräume vorzuhalten, beziehungsweise fallweise auch jederzeit mobil, ohne festgelegte Arbeits- oder Bürozeiten. Ob die dabei unausbleibliche Reduzierung des direkten Mandantenkontakts von Angesicht zu Angesicht nicht zulasten der wechselseitigen Vertrauensbildung geht, wird von ihr dezidiert verneint: „Durchaus nicht! Wenn ich ein Mandat neu übernehme, fahre ich einmal hin und sehe mir den Betrieb an. Ich habe ein verlässliches Gedächtnis, der hier gewonnene Eindruck bleibt. Wenn dann die Chemie stimmt und ich spüre, dass eine Zusammenarbeit möglich ist, kommen wir zusammen, und von da an erfolgt der Austausch elektronisch per Video-Schalte. Das funktioniert für mich genauso gut wie ein persönliches Treffen. Terminsuche, lange Anfahrten – das ist nicht mein Ansatz. Und wenn ein Treffen doch einmal erforderlich sein sollte, habe ich Zugriff auf einen Co-Working-Space auf halber Strecke nach Wuppertal, da kann man dann zusammenkommen, aber dies ist die Ausnahme.“ Und weiter: „Es ist enorm, wie viel Zeit ich durch den Verzicht auf jedwede unnötige Fahrerei und Warterei spare, Zeit, die meiner Arbeit und auch meinem Privatleben zugutekommt. Ich bin in der Gestaltung meiner Arbeitstage in einem hohen Maße frei, ein Privileg der Freiberuflichkeit, das ich sehr zu schätzen weiß.“

Grenzziehungen

Bemerkenswert an ihrer Kanzleiführung sind auch einige sehr bewusste Grenzziehungen, die Alexandra Stadtmüller von manch anderen Berufsträgerinnen und -trägern unterscheiden: „Wenn ich so etwas höre wie ‚strategische Entscheidungen muss ich mit meinem Steuerberater treffen‘, dann denke ich mir nur: ‚Wie bitte?‘. Rein unternehmerische Entscheidungen kann und will ich niemandem abnehmen, wie sollte ich auch – es ist nicht mein Unternehmen und die erforderlichen intimen Branchenkenntnisse hat mein Mandant, die habe nicht ich. Mir ist bewusst, dass viele Kollegen das anders halten, sich unentbehrlich machen, ich tue das nicht. Ich verstehe mich auch nicht als externe Mitarbeiterin meiner Mandanten, die sich um alles Finanzielle kümmert, sondern ziehe meine Kunden mit in die Verantwortung. Selbstverständlich habe ich die betriebswirtschaftlichen Zahlen im Blick, aber ich ziehe eine klare Grenzlinie, wo meine Verantwortung endet und die des Mandanten beginnt. Dieses Konzept hat sich für mich bewährt, zumal die Mehrzahl meiner Mandanten Freiberufler sind, die ihre Buchführung selbst verantworten. Ich muss meinen Mandanten so nicht hinterherräumen, sie wenden sich im Zweifel an mich, nicht umgekehrt. Die Buchhaltung im Haus zu erstellen, ist im Übrigen gerade bei kleineren Unternehmen und Freiberuflern ohnehin stets die bessere Alternative und keine wirkliche Belastung, Belege sind schließlich blitzschnell eingescannt.“

Freelancer statt Angestellte

Auch die sich aufdrängende Frage, wie unter diesen Bedingungen eines Höchstmaßes an gelebter Autonomie die Mitarbeiterführung gelingen kann, wird ebenso klar beantwortet: „Ich arbeite ausschließlich mit Freelancern zusammen, deren Zahl ich im Lauf der Zeit durch Effizienzsteigerung von einstmals acht auf vier reduzieren konnte – bei gleichem Output und höherer Ergebnisqualität.“
In Alexandra Stadtmüller lebt ein kritischer Geist, der schließlich auch bei dem Thema Finanzverwaltung aufblitzt. Diese nimmt den Berufsstand zu ihrem Missfallen immer mehr in die Pflicht, und auch um Beispiele für administrative Absurditäten ist sie nicht verlegen. Und sie weiß, wovon sie spricht, hat sie doch einst ihre Lehrjahre eben dort absolviert.

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Carsten Seebass

Redaktion DATEV magazin

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