Seit fünf Jahren ist Prof. Dr. Peter Krug Entwicklungsvorstand der Genossenschaft. Im Interview spricht er über Kritik aus der Mitgliedschaft, agile Arbeitsweisen und kommende Programmverbesserungen.
DATEV magazin: Herr Prof. Dr. Krug, 2019 ist für Sie ein Jahr der Jubiläen: Sie feiern nicht nur Ihre 30-jährige Unternehmenszugehörigkeit, sondern auch fünf Jahre als Entwicklungsvorstand. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Anfänge bei DATEV?
PROF. DR. PETER KRUG: Damals haben wir die DOS-Programme von Schwarz-Weiß umgestellt auf Farbe, eine wilde Zeit. Organisatorisch herrschte damals eine ganz extreme Bereichsdenke. Also „ihr“ und „wir“, da gab es die Entwicklung auf der einen und Service und Vertrieb auf der anderen Seite. Überhaupt war damals die Arbeitswelt eine andere: In den Büros wurde zum Beispiel noch geraucht.
Jetzt sind Sie seit fünf Jahren Entwicklungsvorstand. Welche Ziele hatten Sie damals, als Sie berufen wurden?
Ich war zuvor im Außendienst, diese Erfahrungen wollte ich in die Entwicklung transportieren. Was die Kunden gestört hat, waren nämlich nicht – wie in der Entwicklung oftmals angenommen – fehlende Funktionen, sondern die vielen kleinen Stolperfallen, die das Arbeiten schwierig gemacht haben. Wenn zum Beispiel ein Prozess unterbrochen wird, weil der Anwender nicht mehr weiß, was er als Nächstes machen muss. Diese Stolperfallen waren einzeln für sich genommen nicht dramatisch, in der Summe aber haben sie das Fass zum Überlaufen gebracht.
Wo stehen wir denn jetzt fünf Jahre später?
Wir haben viel erreicht. Positiv ist die Entwicklung in Sachen Kundenkontakt: Damals standen rund 150 Entwickler regelmäßig in Kontakt mit ungefähr 500 oder 600 Anwendern. Heute sind es 1.200 Entwickler, die mit rund 9.000 Anwendern in Kontakt stehen. Von den angesprochenen Stolperfallen haben wir zwischen 2015 und 2017 etwa 3.000 beseitigt. Aber wir haben auch noch viel, viel Arbeit vor uns.
Die agile Transition ist seit einiger Zeit Schlagwort in der Entwicklung. Können Sie bitte noch mal zusammenfassen, warum die DATEV die agile Transition überhaupt durchlebt?
Nehmen wir als Beispiel die pro-Umstellung vor ein paar Jahren: ein riesiges Projekt, ein richtiges Spinnennetz. Hätten uns in dieser Phase massive gesetzliche oder technologische Änderungen getroffen, hätten wir uns sehr, sehr schwergetan, schnell das Ruder rumzureißen und in eine andere Richtung zu lenken. Mit agilen Arbeitsweisen sind wir heute viel flexibler aufgestellt, können wir viel schneller einzelne Projekte abschließen bzw. auch sinnvoll unterbrechen, um uns aktuell aufkommenden Themen zu widmen. Das führt dazu, dass wir heute keine Jahresplanung mehr machen, sondern eine Quartalsplanung – und langfristig hoffentlich eine Monatsplanung, sodass wir immer schnell auf aktuelle Kunden- und Marktbedürfnisse reagieren können.
Wie kann sich diese Arbeitsweise positiv auf unsere Kunden auswirken?
Oberste Prämisse der agilen Arbeitsweise ist es, immer den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen und regelmäßig Kundennutzen zu liefern. Wie bereits gesagt, haben wir mittlerweile viel mehr Kundenkontakt, können Produkte gemeinsam mit Kunden weiterentwickeln, weil wir sie frühzeitig und kontinuierlich in den Entwicklungsprozess einbinden, dadurch auch Dinge ändern. Nehmen Sie das Beispiel ‚Meine Steuern‘: Da hatten wir eine meiner Meinung nach schon wirklich gute Lösung, es hat sich aber gezeigt, dass sie für den Massenbetrieb noch nicht geeignet ist. Also haben wir sie aufgrund des Kundenfeedbacks überarbeitet. Und das ist der zweite große Vorteil der Agilität: Wir sind viel flexibler als früher, können schneller auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren und müssen nicht mehr sagen: Wir haben das aber vor fünf Jahren so geplant, also müssen wir das jetzt auch genauso machen. Das heißt für den Kunden: wesentlich kürzere Auslieferungszyklen und dadurch wesentlich schnellerer Zugriff auf Programmverbesserungen.
Stichwort Auslieferung der DATEV-Programme: Was soll sich hier konkret verändern?
Beim Jahreswechsel haben wir bislang die komplette DVD erst Anfang Januar bereitgestellt. Seit einiger Zeit können die Anwender die Programme bereits Ende Dezember elektronisch abrufen. Prinzipiell wird sich die Auslieferung zum Jahreswechsel weiter auf gesetzliche Änderungen fokussieren, weil wir unseren Kunden neben diesen komplexen Themen nicht auch noch mit prozessualen Änderungen überfrachten wollen. Deshalb wird es weiterhin unterjährig ein Haupt-Release mit größeren funktionalen Verbesserungen geben. Zusätzlich sind künftig unterjährig mehrere kleinere Releases mit weiteren funktionalen Verbesserungen geplant, die wir durch unsere agile Arbeitsweise kurzfristig zur Verfügung stellen können.
Wir sagen auf der einen Seite, agile Entwicklung heißt für uns, nicht mehr so weit im Voraus planen zu können. Und trotzdem haben wir die Mehrjahres-Roadmap, die den Blick auf die nächsten zwei, drei Jahre richtet. Wie passt das zusammen?
Die Roadmap bildet die großen Themenblöcke ab, die Zukunftsthemen. Wir haben aber die Freiheit, innerhalb dieser Themenblöcke wie Kollaboration oder Automatisierung Projekte aktuell zu priorisieren und dadurch auch mal ein laufendes Projekt zurückzustellen, wenn ein wichtigeres Thema aufkommt. In der jüngeren Vergangenheit waren das zum Beispiel PSD 2 und die Datenschutz-Grundverordnung, auf die wir akut reagieren mussten – und dank unserer agilen Prozesse auch konnten.
Können Sie vielleicht noch mal kurz zusammenfassen, was 2018 gebracht hat?
Schwierig, alles in einer Antwort zusammenzufassen. Ein ganz wichtiger Punkt war die Plausibilitätsprüfung auf Basis der Kontenzwecke, die die Arbeit in der Kanzlei enorm vereinfacht. Weitere innovative Neuerungen waren das Kassenarchiv online, die PayPal-Anbindung, die Felderweiterungen im Kanzlei-Rechnungswesen und die Vereinfachung der Inbetriebnahme von Unternehmen online. Wir haben die Kassenbücher komplett modernisiert, sind aus der blauen Welt ausgestiegen und haben sie in moderneres Design gebracht, sodass sie auch auf unterschiedlichen Endgeräten nutzbar sind. Hier haben wir aber noch viel Arbeit vor uns, wir stehen derzeit bei 60, 70 Prozent. Nicht zu vergessen die Performance-Verbesserungen beim Arbeitsplatz. Die liegen im Millisekundenbereich, was erst mal nicht nach viel klingt. Aber hochgerechnet auf jeden Prozessschritt und ein gesamtes Jahr, ist das eine große Zeitersparnis.
Das Wunder der Addition.
Genau. Dann haben wir natürlich auch dem Thema ‚Meine Steuern‘ Rechnung getragen, indem wir in die digitalen Belege eingestiegen sind. Das heißt, der Mandant kann seine Steuerbelege hochladen und der Steuerberater damit die Steuererklärung mit den digitalen Belegen erstellen. Die Cloud-Box, das neue DMS und in der Wirtschaftsberatung der digitale Finanzbericht, der sich zunehmendem Interesse erfreut, waren weitere wichtige Themen.
Wie fällt Ihre Gesamtbilanz für das vergangene Jahr aus?
Persönlich am meisten gefreut hat mich, dass wir Pilot- und Stabiphase deutlich verkürzt haben, wodurch wir die Nettoentwicklungszeit unserer Mitarbeiter deutlich effizienter gestalten können. Gleichzeitig haben wir die Anzahl der A-Fehler auf ein Allzeittief reduziert. Aber, und das sage ich auch ganz bewusst, wir sind noch lange nicht am Ende. Die Zahl der Kundenwünsche wird immer größer sein als das, was wir umsetzen können. Wir müssen künftig auch deutlich klarer kommunizieren, warum wir etwas tun oder auch nicht, und nicht nur, dass wir etwas tun oder nicht tun.
Insgesamt ging es vor allem im zweiten Halbjahr 2018 in der DATEV-Community hoch her, es gab einige Kritikpunkte der Mitglieder. Unterm Strich lässt sich die Kritik mit „zu langsam in der Entwicklung, zu wenig Blick auf Kundenanforderungen, zu komplizierte Programme“ zusammenfassen. Welche Vorsätze hat sich der E-Bereich vorgenommen, um diesen Eindrücken künftig entgegenzuwirken?
Diese Kritik haben wir wahrgenommen, intern klar angesprochen und reflektiert. Man muss diese Kritik differenziert betrachten. Auf der einen Seite haben viele der Aussagen ihre Berechtigung. Da müssen wir selbstkritisch sein, schneller werden. Viele Kundenwünsche schleppen wir ja schon eine ganze Zeit lang mit. Auf der anderen Seite müssen wir klar sagen, dass wir nicht jeden Kundenwunsch sofort umsetzen können, sondern schauen müssen, was zu welchem Zeitpunkt möglich ist. Zudem wird es nicht immer eine 100-Prozent-Lösung geben können, sondern wir werden Lösungen auf den Markt bringen, die direkt Kundennutzen stiften und parallel weiterentwickelt werden. Das ist ein Veränderungsprozess, der momentan stattfindet und den wir auch in den Köpfen unserer Mitglieder verankern müssen, indem wir noch klarer das Warum unserer Maßnahmen kommunizieren und den Kundenkontakt stärken, auch durch unsere Führungskräfte.
Sie haben gerade schon das Thema Transparenz angesprochen. Wie können Kunden künftig noch mehr in die Entwicklung der Programme und Lösungen eingebunden werden, um die Abläufe transparenter zu machen?
Zunächst möchte ich auf unsere Webseite www.datev.de/mitmachen hinweisen, die noch viel zu wenig Mitglieder kennen, obwohl es die Seite seit fünf Jahren gibt. Hier können Kunden Anregungen und Feedback zu unseren Produkten geben und einen ersten Überblick über Kundeneinbezugsmaßnahmen gewinnen. Es wird aber immer auch Wünsche geben, die wir nicht umsetzen können. Das gilt insbesondere für Produkte, die sich in der heutigen On-Premises-Welt befinden und in die wir nichts mehr investieren möchten, weil wir die Zukunft eher in einem modernen Programm in der Onlinewelt sehen. Da müssen wir unseren Kunden offen und ehrlich sagen, dass bei einem Produkt A nichts mehr passieren wird.
Also muss DATEV lernen, künftig auch mal klar zu sagen: Bei dem Produkt wird es keine Weiterentwicklung mehr geben.
Genau, das gehört zur Transparenz dazu. Ein ehrliches Nein ist besser als rumzueiern, Dinge im Ungefähren zu belassen und dann doch nichts zu machen.
Welche Neuerungen und Programmverbesserungen sind denn für 2019 und 2020 geplant?
Ein wichtiges Thema ist die FIBU-Automatisierung, die wir für erste geeignete Mandate in diesem Jahr freigeben wollen. Ebenfalls im zweiten Halbjahr wollen wir ‚Meine Steuern‘ flächendeckend freigeben. Zudem treiben wir die E-Commerce-Aktivitäten weiter voran, derzeit laufen Verhandlungen mit Plattform- und Marktplatzanbietern, um eine ähnliche Schnittstelle zu konzipieren, wie wir es bereits mit PayPal geschafft haben. Unternehmen online ist und bleibt unser Flaggschiff, das wir permanent verbessern müssen. Momentan bekommen wir 6.000 bis 7.000, manchmal 10.000 neue Mandanten im Monat. Ziel müssen aber 50.000, 60.000 sein, dafür müssen wir weiter an der Inbetriebnahme und den Erstprozessen feilen. Vor allem müssen wir aber die Betriebsstabilität verbessern. Die Anwender erwarten zurecht 100-prozentige Verfügbarkeit. Dafür haben wir extra neue Teams aufgesetzt, die sich nur um die Stabilität und die Sicherheit kümmern. Im Lohnbereich wollen wir zum einen die Vorerfassung modernisieren und zum anderen entwickeln wir ein zukunftsweisendes Online-Lohnprogramm. Wir haben in 2019 bereits den Aufruf sowie die Einstellungen des Controllingreport comfort überarbeitet und modernisiert und werden am Steuerbürgerszenario weiterarbeiten, MyDATEV vorantreiben und viele, viele kleinere Verbesserungen auf den Markt bringen.
Apropos Steuerbürger: Eine Sorge in der Mitgliedschaft ist, dass durch die Satzungsänderung im vergangenen Jahr Entwicklerkapazitäten aus dem Kerngeschäft abgezogen und in die Entwicklung des sogenannten Steuerbürgerszenarios gesteckt werden.
Beim Steuerbürgerszenario gibt es sehr viele Synergieeffekte mit ‚Meine Steuern‘, das wir quasi als Basis verwenden können. Das Delta unserer 1.800 Entwickler, die sich nun zusätzlich um das Steuerbürgerszenario kümmern, ist sehr klein, liegt unter einem Prozent. Über 99 Prozent unserer Entwickler haben mit dem Steuerbürger also gar nichts zu tun. Zudem haben wir für dieses Projekt zusätzliche Kapazitäten geschaffen – die Sorgen unserer Mitglieder sind hier also völlig unbegründet.
Bleibt eigentlich nur noch eine Frage offen: Schafft der FCN den Klassenerhalt?
Dafür muss man im Moment schon sehr optimistisch sein. Ich bin blauäugig genug zu hoffen, dass wir zumindest zwei Mannschaften hinter uns lassen und in die Relegation kommen.
Die der Club dann natürlich gewinnt.
Natürlich. (lacht)