Technologiestrategie - 30. Juli 2020

Blick zurück und nach vorne

Im Interview spricht DATEV-CTO Prof. Dr. Peter Krug über Störungen im Rechenzentrum, Corona und Weiterentwicklungen.

DATEV magazin: Herr Prof. Dr. Krug, 2020 war bislang sicher keines der ruhigeren Jahre in Ihrer Laufbahn. Was hat Sie mehr beschäftigt: die Folgen der Corona-Krise oder die Störungen im DATEV-Rechenzentrum Anfang des Jahrs?

PROF. DR. PETER KRUG: Bereits eines der beiden Ereignisse hätte locker für schlaflose Nächte gesorgt. Dass beides zeitlich beinahe parallel lief, macht es definitiv zu einer der größten Herausforderungen meiner beruflichen Laufbahn. Dennoch sind die unmittelbaren Einflüsse der beiden Vorfälle auf uns unterschiedlich. Während eine Störung im Rechenzentrum stets abrupt erfolgt und meine Prioritäten umgehend andere sind, waren wir im Fall von Corona bereits seit Ende Januar sensibilisiert und konnten uns darauf Schritt für Schritt vorbereiten. Dafür beeinflusst uns die Corona-Krise an jeder Stelle unseres Zusammenarbeitens. Ohne Frage haben aber beide Ereignisse einen erheblichen Einfluss auf die DATEV und bedürfen unseres uneingeschränkten Engagements.

Wie ist sichergestellt, dass das Rechenzentrum störungsfreier läuft als zu Beginn des Jahrs?

Grundsätzlich analysieren wir bei allen Störungen die Ursachen, um Verbesserungen abzuleiten. So haben bereits die Störungen 2019 zu einer Anpassung der Anwendungen von DATEV Unternehmen online geführt. Zudem haben wir außerplanmäßig eine Frozen Zone ausgerufen, um in den ersten Wirren der Corona-Zeit kein Risiko einer erneut umfangreichen Störung einzugehen. Daher haben wir die Anpassungen weitgehend auf die nötigsten Sachverhalte – wie etwa die gesetzlichen Änderungen im Lohn – beschränkt. In dieser Zeit haben wir die Ursachen der Störungen umfangreich analysiert und stehen in einem intensiven Austausch mit unseren Partnern, um das Risiko einer Störung zukünftig weiter zu reduzieren. Das heißt aber leider nicht, dass wir derartige Störungen für die Zukunft vollständig ausschließen können. Dafür sind die Abläufe in den Rechenzentren einfach zu komplex. Ich kann Ihnen aber versichern, dass eine Gewährleistung der Lauffähigkeit unserer Software absolute Priorität bei mir und meinen Mitarbeitern genießt.

DATEV arbeitet derzeit an einem neuen Rechenzentrum. Was können Sie darüber schon verraten?

Es handelt sich dabei um eine Cloud-Plattform, die unsere Entwickler und Partner in die Lage versetzen soll, schnell und effizient Cloud-native Anwendungen zur Verfügung zu stellen. Mit diesem Projekt sichern wir einerseits die Zukunftsfähigkeit der DATEV, andererseits verbessern wir die Geschwindigkeit unserer Entwicklungsprozesse. Gleichermaßen soll unser Sicherheitsstandard bestehen bleiben, der bei einer gewöhnlichen Public Cloud nicht uneingeschränkt gegeben sein muss. Für unsere Genossenschaft ist das Projekt von herausragender Bedeutung. Daher fokussieren wir uns sowohl bei der Bereitstellung der Infrastruktur als auch bei der Entwicklung der darin verwendeten Produkte auf einen schnellen Projektablauf. Wir rechnen aktuell mit der neu verfügbaren Infrastruktur bis Ende 2021, sodass dann bereits einzelne Anwendungen dahin migriert werden können.

Neben dem Rechenzentrum gibt es einige Schwerpunktthemen in der Entwicklung. Immer wieder gefordert wird eine Überarbeitung der Eigenorganisationsprodukte. Wie ist hier der aktuelle Stand?

Mit Kanzleimanagement next darf ich Ihnen eines von vielen Projekten in diesem Bereich vorstellen. Es handelt sich um eine moderne und automatisierte Online-Anwendung, die kanzleiinterne Prozesse optimiert. Das soll auch Kollaborationen ermöglichen, indem entsprechende Schnittstellen genutzt werden. Wir befinden uns hier in den Anfängen der Entwicklung. Wir beziehen bereits Kunden eng ein, um ihre Bedürfnisse hinreichend zu berücksichtigen. Diese Anwendung soll mittelfristig die anderen EO-Pakete ersetzen und wird voraussichtlich im Sommer 2021 von ausgewählten Kanzleien pilotiert. Mit diesem Kunden-Feedback entwickeln wir Kanzleimanagement next weiter, um möglichst 2022 ersten EO-Anwendern ein Produkt anzubieten.

Auch die Weiterentwicklung von DATEV LODAS und DATEV Lohn und Gehalt steht oft in der Diskussion. Welche Pläne verfolgen Sie bei diesen Lösungen?

Ich glaube, dass wenige Produkte für DATEV so wichtig sind wie unsere Lohnanwendungen. Daher verbessern wir natürlich auch hier kontinuierlich. Mit Lohn online entwickeln wir darüber hinaus eine zukunftsfähige Cloud-Lösung komplett neu. Wie bei LODAS und Lohn und Gehalt adressieren wir auch hier unseren Kanzlei- und Unternehmensmarkt. Hierdurch sollen heutige Anwendungen modernisiert und Prozesse und Kollaboration im Lohnbereich konsequent digitalisiert werden. Im Lohn liegt der Schwerpunkt eher auf Kollaboration. Dem Berater eine ganzheitliche Gehaltsberatung zu ermöglichen, ist ein weiteres Ziel. Dies wird bereits jetzt durch erste Pilotierungen wie etwa Personal-Benchmark online unterstützt. Mit diesem Tool kann eine gezielte Mandantenberatung bei der Festlegung der Höhe von Löhnen und Gehältern erfolgen, indem Gehaltsvergleiche mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern durch den Einsatz von Big-Data-Technologien ermöglicht werden.

Bei der Fibu-Automatisierung erfolgte eine Neuausrichtung. Wie sehen hier die nächsten Schritte aus?

Die Neuausrichtung der Fibu-Automatisierung hat gezeigt, wie wichtig ein regelmäßiger Kundeneinbezug bei der Produktentwicklung ist. Hintergrund dieser Neuausrichtung war, dass etwaige Nachbearbeitungen der Buchungen im Umfeld von Kanzlei-Rechnungswesen von unseren Kunden als angenehmer empfunden wurden als innerhalb einer eigenen Online-Umgebung. Infolgedessen haben wir uns dazu entschlossen, die Fibu-Automatisierung stärker in die Kanzlei-Rechnungswesen-Prozesse einzubinden. Dadurch wird die Zielgruppe für die Fibu-Automatisierung erheblich erweitert. Während bei dem zuvor vorgesehenen Vorgehen nur jeder zehnte Mandant von der automatisierten Verbuchung profitiert hätte, erhöht sich der Anteil durch die Neuausrichtung auf jedes zweite Unternehmensmandat. Wir gehen davon aus, dass die ersten Module bereits Ende 2020 nutzbar sind.

Welche wesentlichen Weiterentwicklungen sind darüber hinaus in Arbeit?

Obwohl wir derzeit in unvorhergesehenem Maße durch gesetzliche Anpassungen im Lohn und in unseren Steueranwendungen eingespannt sind, laufen die Weiterentwicklungen der bestehenden Anwendungen natürlich weiter. Dazu gehören Funktionserweiterungen von Meine Steuern und Unternehmen online, denen natürlich höchste Priorität zukommt, weil sie für unsere Digitalisierungsstrategie eine außerordentliche Bedeutung haben. Hier gehen wir ausdrücklich auf Kundenwünsche ein, um die Leistungsfähigkeit und Anwenderfreundlichkeit unserer Lösungen weiter auszubauen.

Immer wieder wird der Vorwurf laut, die Entwicklung sei zu langsam. Was entgegnen Sie den Kritikern?

Dies ist natürlich immer ein subjektiver Eindruck, den ich durchaus verstehen kann. Denn im Rahmen unserer Produktentwicklung spielen viele Aspekte eine Rolle, von denen unsere Kunden natürlich nicht wissen können. So hat Sicherheit bei unserer Produktentwicklung eine absolute Priorität, um die Einhaltung der Berufsgrundsätze unserer Mitglieder und Kunden uneingeschränkt zu gewährleisten. Zudem resultiert aus der Corona-Krise eine gesetzgeberische Dynamik, die einen wesentlichen Teil unserer Ressourcen bindet. Die Gewährleistung der gesetzlichen Konformität unserer Anwendungen ist unsere Hauptaufgabe – diese wird berechtigterweise als selbstverständlich vorausgesetzt, ohne aber den damit verbundenen Aufwand im Hintergrund zu sehen. Dennoch versuchen wir durch Anpassung unserer Arbeitsprozesse, die Produktentwicklung zu beschleunigen. Dies ist auch eine Zielsetzung von Fit für die Zukunft – einer der größten Umstrukturierungen in der bisherigen DATEV-Geschichte. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Kraftakt bereits in diesem Jahr auf unsere Produktivität positiv auswirkt.

Wo muss DATEV besser werden – und wie soll das gelingen?

Ich denke, dass wir beim Kundeneinbezug immer Optimierungspotenzial haben. Das liegt nicht unbedingt daran, dass wir zu wenig unternehmen. Denn im Austausch mit unseren Kunden erfahren Service, Außendienst und unsere Entwickler, was diese umtreibt. Gleichwohl spricht ein IT-Mitarbeiter eine andere Sprache als ein Steuerberater. Daher ist mein großes Ziel, den Austausch zwischen unseren Kunden und den DATEV-Mitarbeitern weiter voranzutreiben. Dabei helfen unter anderem die Anstrengungen der gegenwärtigen Umstrukturierungen.

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TG
Thomas Günther

Redaktion DATEV magazin

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