Der wachsende Einfluss europäischer Entwicklungen auf die deutsche Gesetzgebung erfordert eine frühzeitige Information über geplante Vorhaben, die Bewertung ihrer Folgen für die DATEV und die Mitglieder sowie die Vertretung der DATEV-Interessen im Gesetzgebungsverfahren. Die DATEV reagierte 1995 auf diese Entwicklung mit der Eröffnung ihres Brüsseler Informationsbüros.
Seit 2008 leitet Mila Otto das Büro in der Rue Wiertz im Europaviertel von Brüssel. Zu den Aufgaben der gelernten Juristin gehört es, die europäischen Aktivitäten und Vorhaben der EU-Institutionen zu beobachten. „Es gibt Statistiken, die sagen, dass 80 Prozent der deutschen Gesetzgebung von Brüssel beeinflusst wird. Was uns und noch viel mehr unsere Mitglieder und deren Mandanten betrifft, kommt aus Brüssel. Für uns ist wichtig zu wissen, wie wir uns darauf einstellen können, vor allem im Produktbereich, aber auch im strategischen Bereich“, sagt sie.
Das bedeutet natürlich in Dialog zu treten mit den EU-Institutionen. „Wir begleiten sehr eng die Arbeiten im Europäischen Parlament. Wir besuchen Ausschusssitzungen, was uns die Gelegenheit bietet, die Beteiligten, also die Abgeordneten und deren Mitarbeiter, oder Interessenten an einem Gesetzgebungsverfahren, zum Beispiel Verbände, Organisationen oder Unternehmen, zu treffen. Darüber hinaus spielt eine Rolle, was die europäische Kommission macht. Um das zu erfahren, nehmen wir beispielsweise an Anhörungen teil.“
Die gesammelten Informationen werden analysiert und aufbereitet. Im Idealfall in Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen der DATEV. Die unterschiedlichen Expertisen, auf der einen Seite die Verfahrensanalyse von Mila Otto, die abschätzen kann, wie realistisch die Realisierung eines Gesetzgebungsverfahrens ist und die den zeitlichen Horizont beurteilen kann. Auf der anderen Seite die Fachexperten, die ihr Urteil abgeben, wie sich bestimmte Entscheidungen in der Praxis auswirken und wie die Produktentwicklung davon profitieren kann. Gemeinsam entsteht ein Bild, das ein realistisches Szenario widerspiegelt. „Wir haben ein sehr breit aufgestelltes Monitoring und Berichtswesen. Das umfasst natürlich den Bereich Steuerrecht. Das war sicher ein Themenfeld, das bei der Gründungsidee eine Rolle gespielt hat. Dann war Rechnungslegung in den letzten Jahren ein dominantes Thema. Berufsrechtliche Fragen spielen eine große Rolle. Der Gesetzgeber stellt in vielen Bereichen Deregulierungsüberlegungen an, die auch den Berufsstand betreffen. Dann verfolgen wir natürlich aufmerksam die Entwicklungen rund um IT-Sicherheit und Datenschutz, vor allem die Diskussion um die neue Datenschutzverordnung.“ Gerade bei Themen, die die Genossenschaft und den gesamten Berufsstand tangieren, wird eine Stellungnahme erarbeitet. Sie geht an die jeweils zuständige Generaldirektion der EU-Kommission, an die betroffenen Abgeordneten im Europäischen Parlament sowie an ebenfalls betroffene Organisationen. Dabei geht es auch darum, den Dialog zu suchen und im Gespräch mit Abgeordneten die Meinung darzulegen. Mila Otto sieht sich aber weniger als Lobbyistin, vielmehr als eine Art Radar für kommende Entwicklungen und ihren Einfluss auf strategische Weichenstellungen. In diesem Sinn sind Digitalisierung, Wettbewerb und Deregulierung Stichwörter von Initiativen, die aus Brüssel kommen, die das Umfeld des Berufsstandes verändern. Darauf muss man reagieren, ist ihre Meinung.
Als Anwältin interessieren sie Gesetzgebungsverfahren: „Ich finde es spannend, live mitzuerleben, wie Gesetze und ein rechtliches Umfeld entstehen, die nicht nur mit der nationalen Brille gesehen werden, sondern den Geist der europäischen Idee in sich tragen.“ Diese Internationalität ist es auch, die sie an Brüssel lebenswert findet. „Man begegnet weltoffenen Menschen, die bereit sind, immer wieder über den Tellerrand zu schauen.“ Dieser Eindruck steht etwas im Widerspruch zu dem bürokratischen Apparat, der im Europa der 28 Mitgliedsstaaten gesehen wird.
Ich finde es wichtig, dass Unternehmen, die kleiner sind als Google, eine Chance haben, Gehör zu finden.
Sie selbst glaubt an die europäische Idee. Sie bedauert, dass die allgemeine Wahrnehmung von Europa negativ geprägt ist, weil die Errungenschaften, die ein gemeinsames Europa mit sich bringt, nicht gesehen oder als selbstverständlich erachtet werden. Dabei will sie gar nicht verschweigen, dass nicht alles ideal ist. Die Überregulierung zum Beispiel. Nicht jedes Gesetzesvorhaben führt zu einem kohärenten Entwurf. Bei der Datenschutzverordnung wurden über 3.000 Änderungsanträge abgestimmt. Darin sieht sie ein Beispiel, dass es möglich ist, sein Anliegen vorzubringen: „Ich finde es wichtig, dass auch ein Unternehmen, das nicht so groß und mächtig ist wie Google oder Microsoft, eine Chance hat, mit seinen Argumenten Gehör zu finden.“
Kontakte zu Mitgliedern sind eher selten. Es gibt kaum Fragen. Europa scheint hier weit weg zu sein. Anders empfindet es Mila Otto: „Wenn man nicht im Heimatland lebt, dann ist einem die europäische Idee sehr viel bewusster.“