Die bitte was? Eine Steuer auf Schlamm? Doch so absurd ist das nicht. Denn hinter der oftmals in den Top Ten der kuriosen Steuern anzutreffenden Nilschlammsteuer verbirgt sich ein ausgeklügeltes Steuersystem der alten Ägypter. Zunächst lohnt sich ein Blick auf den Nil – die Lebensader Ägyptens.
Der Nil ist mit etwa 6.700 Kilometern vermutlich der längste Fluss der Welt. Seine beiden Quellflüsse, der Weiße und der Blaue Nil, entspringen im Südsudan beziehungsweise im Hochland Äthiopiens. Bei Khartum fließen die zwei Ströme zusammen. In beiden Quellgebieten kommt es zu Monsunregenfällen, die jährlich ab Juli als Überschwemmungen Ägypten erreichen. Vor allem der Blaue Nil wäscht auf seinem Weg mineralhaltiges Vulkangestein aus und trägt die Sedimentablagerungen, Hauptbestandteil des Nilschlamms, mit sich bis nach Ägypten. Das macht die überschwemmten Ufergebiete im Flusstal und im Delta zu fruchtbaren Ackerböden.
Die Überflutung der Felder mit dem nährstoffreichen Nilschlamm war mehrere Tausend Jahre lang essenziell für die Landwirtschaft und damit überlebenswichtig für die Menschen im alten Ägypten. Das Jahr war in Achet (Zeit der Überschwemmung), Peret (die Zeit der Aussaat und Ernte) und Schemu (Trockenzeit) eingeteilt. Geerntet wurde also nur einmal im Jahr. Regen gab es nur sehr selten. Alles hing damit vom Wasserstand des Nils ab. War er zu niedrig, kam es zu Ernteausfällen und Hungersnöten. War er zu hoch, folgten Überflutungen und Zerstörungen in den Ufergebieten, von denen dann nicht nur die Felder, sondern auch die Kanäle sowie die flussnahen Ortschaften betroffen waren. Die Pharaonen taten also gut daran, den Wasserstand des Nils zu überwachen. Hierzu ließen sie sogenannte Nilometer errichten.
Je mehr Wasser, desto mehr fruchtbarer Schlamm, desto ertragreicher die Ernte.
Nilometer
Nilometer waren keine einfachen Wasserstandsanzeiger, wie sie heute an Flüssen und Kanälen zu finden sind. Teilweise handelte es sich dabei um prächtig und sehr großzügig ausgebaute Brunnenhäuser mit Steintreppen und Pegelanzeigen aus Kalkstein, die Teil einer Tempelanlage sein konnten, denn der Nil war den Ägyptern heilig. Durch einen Röhrenschacht waren die Nilometer mit dem Fluss verbunden und konnten Auskunft über den Wasserstand und somit über die zu erwartende Ernte geben. Überstieg das Wasser eine bestimmte Marke – etwas über drei Meter waren ideal – war die Ernte gesichert. Lag der Wasserstand niedriger, war die Ernte gefährdet. Praktischerweise konnte das Nilometer auch zur Erhebung von Steuern genutzt werden, denn die Höhe der Nilflut gab einen Orientierungswert für die zu erwartende Ernte. Das heißt, je mehr Wasser, desto mehr fruchtbarer Schlamm, desto ertragreicher die Ernte, desto höher die Erntesteuer beziehungsweise Nilschlammsteuer. Hinter dem griffigen Begriff der Nilschlammsteuer verbirgt sich eigentlich die Erntesteuer im alten Ägypten, für deren Erhebung die Ägypter die Höhe des Nils maßen.
Nachdem die Bauern begonnen hatten, die Felder zunehmend mittels eines Kanalsystems künstlich zu bewässern, diente der via Nilometer gemessene Wasserstand auch zur Feststellung der für die Bewässerung benötigten Wassermenge. Zusätzlich konnte anhand des Pegels die Menge Saatgut für die nächste Ernte berechnet werden. Die in den Messstationen am Nil ermittelten Werte bildeten damit die Grundlage für die Planung der Landwirtschaft. Darauf basierte das zentrale Versorgungs- und Verteilungssystem Ägyptens, weswegen in diesem Bereich besonders viele Ämter entstanden. Dieses System half, eine landesweite Grundversorgung zu gewährleisten.
Verteilungssystem
Denn seit etwa 3.000 vor Christus waren nicht mehr die Dörfer selbst für ihre Nahrungsversorgung zuständig, sondern der jeweilige Pharao. Alle zwei Jahre begab er sich auf Inspektionsreise durch das Land. Die Reise diente unter anderem dazu, die Ernte einzusammeln. Gut vier Jahrhunderte später führte der Pharao dies nicht mehr persönlich durch, sondern schickte seine Verwaltungsbeamten. Um die Ernteerträge zentral speichern und verwalten zu können, wurden mehrere Dörfer, Felder und Betriebe in Verwaltungseinheiten zusammengefasst und deren Erzeugnisse zentral gesammelt. Aus diesen Magazinen wurde die gesamte Bevölkerung Ägyptens versorgt. Die Versorgung unterlag bestimmten Kriterien: Die Bedürftigkeit des Empfängers sowie dessen soziale Stellung. Prämienzahlungen für Zusatzleistungen waren ebenfalls möglich. Bei religiösen Festen erhöhte der Pharao diese Zuteilungen. Den Ertragsüberschuss erhielt die herrschende Schicht oder er diente der Finanzierung öffentlicher Projekte.
Beamtenapparat
Am Hof des Pharaos sorgten eigene Einrichtungen für Lagerung und Umverteilung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Produkte. Um die Ernteerträge aus dem gesamten Reich zu verwalten, waren diese Institutionen streng hierarchisch organisiert – mit einer schier unüberschaubaren Anzahl an Ämtern und Titeln. Neben dem Wesir, dem Repräsentanten der staatlichen Getreidewirtschaft, der zum Beispiel den offiziellen Beginn der Feldarbeit verkündete, arbeiteten dort ein Scheunenvorsteher, ein Archivar, mehrere Getreidezähler, Kornmesser, Schreiber, Siegelbewahrer und Türhüter. Eine besondere Rolle fiel den Vermessungsbeamten zu, die die Erntemenge bestimmten und nach der Überschwemmung die Neuvermessung der Felder überwachten. Hiervon hing auch die Höhe der Nilschlammsteuer ab.
Über die Jahrtausende hinweg wurde das Kanalsystem am Nil immer ausgeklügelter, sodass mehrmals im Jahr geerntet werden konnte. Ab dem 19. Jahrhundert versuchte man dann, den Nil mithilfe von Staumauern und Kanälen so zu kontrollieren, dass eine ganzjährige Bewässerung der Felder möglich war. Die letzte Nilüberschwemmung in Ägypten gab es 1964. In diesem Jahr wurde der erste Bauabschnitt des Assuan-Staudamms abgeschlossen. Mit dem sechs Jahre später fertiggestellten Staudamm konnte der jeweilige Wasserbedarf genau gedeckt werden. Dem jahrtausendelang so wichtigen Nilschlamm war damit allerdings der Weg blockiert.
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MEHR DAZU
Martin Gutgesell: Arbeiter und Pharaonen. Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Alten Ägypten, Hildesheim 1989.
Lothar Nickels: Nilometer, online auf planet-wissen.de, 23.05.2018.
Nick Romeo: Ancient Device for Determining Taxes Discovered in Egypt, online auf nationalgeographic.com, 18.05.2016.
Christine Strauß-Seeber: Der Nil. Lebensader des alten Ägypten, München 2007.