Kostenlose Rechtsberatung - 14. März 2013

Gratis zum Millionär?

So mancher juristische Kollege hat die Zeichen der Zeit erkannt und nimmt sich die Kostenloskultur im Web zum Vorbild.

Firmen, die ihre Leistungen und ihren Service im Internet kostenfrei anbieten, sind in – und sie machen Milliardenumsätze: Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Spiele, Browser, Software-Pakete, Übersetzungen, Routenplanung, Videos, Bildbearbeitung, Bücher – all das kostenfrei. Gratisangebote sind hip. Die Giganten der Gratiskultur verdienen ihr Geld durch die Hintertür, meist mit Werbung oder mit Datenverkauf. Auf jeden Fall nicht mit ihrem eigentlichen Dienstleistungsangebot, obwohl das oft unbezahlbar ist.

Zum Marktführer über Nacht

Es gilt, zu Google, Facebook & Co aufzuschließen. Ich selbst bezweifele, dass die Umsatzzahlen von Google und Konsorten auf meinen Kontoauszug passen würden. Weniger Zweifel hatte da wohl ein Bochumer Anwaltskollege. Schlau gedacht, schnell nachgemacht. Flugs stieg er in die kostenlose Rechtsberatung ein und hat es offenbar geschafft: Der Kollege avancierte im Nu – quasi über Nacht – zum Marktführer für kostenlose Rechtsberatung. So jedenfalls die Darstellung auf seiner Webseite.
Chapeau! Wir als Anwaltsboutique laufen da wohl unter ferner liefen. Unsere Position wirkt im Vergleich dazu fast erbärmlich. Wir sind nur eine kleine Kanzlei, die zusammen mit Steuerberatern Unternehmen aus der Krise hilft und zukunftsfähiges Asset Protection bietet. Anders die Töne aus Bochum: Um die Marktbeherrschung auszubauen, soll ein Franchise-System die bundesweite Flächenabdeckung sichern. Wie das so schnell gehen soll, wird sich mancher fragen. Die Antwort ist schlicht: Na, er habe keine ernst zu nehmende Konkurrenz. Denn alle konkurrierenden Kollegen arbeiten für Geld.
Ein paar Zweifel mögen angesichts der vorgestellten Position aufkeimen: Ob der Marktführerschaft auch entsprechend hohe Einnahmen gegenüberstehen? Wir schauen mal etwas genauer hin. Die Website ist werbefrei. Datenverkauf ist qua Gesetz tabu. Wo also fließen Einnahmen? Nun, der Clou ist subtiler: Er selbst arbeitet nicht, sondern bietet über eine Plattform anderen Juristen die Möglichkeit, ihre Meinung dort zu einem bestimmten Fall, zu einer Anfrage kundzutun. Dank der so gut verbreiteten Eigenwerbung platziert er dann seinen durchaus mehr als konkurrenzfähigen 36-Euro-Stundensatz.

Verhaltener Widerstand

Früher gab es einmal eine Anwaltsbürokette namens Juraxx mit knallgrünen Farben und Anspruch auf Kostenführerschaft. Sie hat längst geschlossen, allerdings nicht wegen Reichtums, sondern wegen Insolvenz. Der marketingstarke Gratiskollege wird also spätestens an den renitenten Kollegen scheitern, die er ja für seine bundesweite Kostenlosaktion braucht. Uns ist zumindest kein Anwaltskollege bekannt, der bei seinem ohnehin schon heftigen Tagespensum noch kostenlos Fälle lösen möchte.

Müssen wir uns denn wirklich über Kollegen ereifern, die nahe dem finan­ziellen Abgrund Arbeit anbieten, für die manch anderer­ nicht einmal zum Füllfederhalter greift?

Um dem ruinösen Preisverfall Einhalt zu gebieten, ist nun die zuständige Anwaltskammer auf den Plan getreten und hat eine Abmahnung gegen den Discounter erlassen. Steht doch dessen Vorgehen in diametralem Gegensatz zu den Bemühungen, die Anwaltsgebühren angehoben zu bekommen. Erstaunlicherweise hatte außer der Kammer keine nennenswerte Zahl von Kollegen in diesem zaghaften Versuch des Selbstkasteiens eine ernst zu nehmende Konkurrenz, gar eine Bedrohung, gesehen. Der Bochumer Gehversuch wurde belächelt, manchmal verhöhnt, zumindest sehr oft schlicht ignoriert. Waren da die anderen Kollegen, die ebenfalls kostenlose Beratung anbieten, aber ihre Anwaltszulassung zurückgegeben haben, pfiffiger? Ein Berliner Jurist etwa – wahrscheinlich des gängelnden Berufsrechts überdrüssig und nun nicht mehr Anwalt – berät ebenfalls gratis. Kein Anwalt, keine Kammer. Dafür Spendenaufrufe auf seiner Website. Bei näherem Hinschauen fällt allerdings auf, dass seit mehr als einem halben Jahr kaum eine nennenswerte Tätigkeit entfaltet wird. Es hat den Anschein, als reguliere sich der Markt hier gerade selbst.

Viel Lärm um nichts

Bei all diesen Modellen wird verkannt, dass wir schon jetzt einen bunten Strauß an kostenlosen Rechtsberatungen – nicht nur von Gesetzes wegen – eingeräumt bekommen. Die Stichworte heißen Beratungs- und Prozesskostenhilfe sowie Pflichtverteidigung. Sie sind sogar berufsrechtliche Pflicht für jeden einzelnen Anwalt, sei es in einer Boutique oder einer Law Firm. Jeden Tag eine gute Tat! Haben Sie heute schon kostenlos beraten? Ach, pro bono nennen Sie es? Sie unterstützen ehrenamtlich gemeinnützige Organisationen, eine Nichtregierungsorganisation oder andere Vereinigungen, die sich für eine gute Sache einsetzen? Fällt das Ihrer Auffassung nach unter Gratisrechtsberatung oder vielleicht eher unter Marketingmaßnahme? Vielleicht ist der ganze Kostenlos-Hype nur eine Modewelle im Marketing, die mal stärker, mal schwächer schwappt.
Warum also sollte man das gutherzige, aber ehrrührige Verhalten der Kollegen nicht gutheißen? Warum müssen wir die Gratiskultur im Rechtssektor geißeln? Wäre nicht der Weg zu einem offensiveren Marketingstil für Anwälte zu ebnen? Wäre es nicht längst an der Zeit, mit Lobbyarbeit eine Überarbeitung der berufsrechtlichen Werbevorschriften anzustoßen? Müssen wir uns denn wirklich über Kollegen ereifern, die nahe dem finanziellen Abgrund Arbeit anbieten, für die manch anderer nicht einmal zum Füllfederhalter greift?
Letztlich entpuppt sich der ganze Wirbel als unbedarfter Marketingversuch eines Kollegen. Und eigentlich bewegen wir uns im Wettbewerbsrecht und weniger im Berufsrecht. Glücklicherweise hat das auch die Kammer so gesehen und vorwiegend Wettbewerbsargumente ins Feld geführt, allerdings mit noch ausbaufähiger Begründung. Völlig neu ist die Gratiskampagne in der Rechtsberatung jedenfalls nicht. Bereits vor den Bochumer und Berliner Sparfüchsen haben viele Kollegen vorgemacht, wie es geht. Einer Fülle von etablierten Interessenverbänden stehen Anwälte vor. Sie beraten ihre Mitglieder – völlig kostenlos. Ein bewährtes Patentrezept und das seit Jahrzehnten, schon bevor Google und Facebook überhaupt die Welt der Bits und Bytes erblickten. Das alles völlig unbehelligt und ohne in ein kümmerliches Nischendasein abzurutschen und mit kargen Stundensätzen werben zu müssen. Was hebt ein bekannter deutscher Automobilclub noch gleich hervor? „Nutzen Sie die Fachkompetenz Ihrer (…) rund 650 (…) Vertragsanwälte. Bei Fragen rund um Auto, Straßenverkehr und Reise helfen wir mit einer kostenfreien Rechtsberatung.“
Voilà, so geht‘s. Quod erat demonstrandum.

Zum Autor

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Uwe Martens

Rechtsanwalt und Partner bei elixir rechtsanwälte | martens & partner, Frankfurt am Main

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