Rolf Grabower - 17. Mai 2017

Architekt der Betriebsprüfung

Finanzmilitarismus, Staats­des­po­tismus oder Aus­räube­rungs­system – das waren nur einige der Kampf­be­griffe, als 1919 eine finanz­amt­liche Buch- und Betriebs­prü­fung für die Wirt­schaft eingeführt wurde.

Die steuerliche Betriebsprüfung wurde als „polizeiliche Überwachung, die mit den Gedanken der freien Wirtschaft nicht vereinbar“ sei, betrachtet. Dass die Umsetzung nicht ­einfach werden würde, war zu erwarten. Doch mit solch erheb­lichen Vorwürfen seitens der Wirtschaft wurde im Reichs­finanzministerium nicht gerechnet. Für einen Mann war eine gerechte Besteuerung eine Art Lebensaufgabe, die er selbst gegen diese Empörungen zu verteidigen wusste – Rolf Grabower.
Rolf Grabower wurde am 21. Mai 1883 in Berlin geboren, sein Vater war Jurist und legte auf eine humanistische Ausbildung des Sohns großen Wert. Der Zufall wollte es, dass Grabower in seiner Zeit als Gerichtsassessor 1911 Kontakt mit Johannes ­Popitz hatte, einem der Wegbereiter der späteren Umsatzsteuer (siehe hierzu das DATEV magazin 5/2017). 1919 trafen sich beide Männer wieder, als Grabower ins neu geschaffene Reichs­finanzministerium eintrat und dort enger Mitarbeiter von Popitz wurde. Das Ministerium befand sich gerade im Aufbau und musste mit einer Fülle von Herausforderungen kämpfen. Es galt, die Staatsschulden ab- und ein funk­tio­nie­rendes Steuersystem auszubauen. Grabowers Arbeitsfelder waren die Umsatzsteuer sowie die Buch- und Betriebsprüfung. 1922 übernahm er als Ministerialrat das Umsatz­steuer­referat. Die wenige Jahre zuvor eingeführte Umsatzsteuer trug mittlerweile wesentlich zur Finanzierung des Staats bei.
Als mit der Reichsabgabenordnung von 1919 die Steuerbehörden Ermittlungsrechte erhielten, Finanzämter von nun an also die Befugnis hatten, Bücher und Aufzeichnungen von Betrieben zu prüfen, kam es zu den eingangs zitierten Anschuldigungen und Beschimpfungen. Dazu Grabower 1920: „Es ist Sache des Staates, durch Ausbau eines vernünftigen Steuersystems, zu dem ebenso ein vernünftiges Steuerprüfungsverfahren gehört, für eine gleichmäßige Besteuerung Sorge zu tragen“. Aufgrund von Widerständen wurde die steuerliche Buch- und Betriebsprüfung (ab 1933 dann nur mehr Betriebsprüfung genannt) aus dem Aufgabenbereich des Reichsfinanzministeriums ausgegliedert und den Landesfinanzämtern übertragen. Als es mit der Steuerreform des Jahrs 1925 zu einer „Totalprüfung“ der Großbetriebe kommen sollte, flammte die Empörung erneut auf. Eine Person war gefragt, die zwischen der Reichsfinanzverwaltung und der Wirtschaft vermitteln konnte. Rolf Grabower war dieser Vermittler. Er sollte einen Prüfungsdienst im ganzen Reichsgebiet aufbauen. 1926 wechselte er dazu in das Buch- und Betriebsprüfungsreferat. Für Grabower stand seine neue Aufgabe unter dem Leitgedanken der Steuergerechtigkeit und dem Schutz der ehrlichen Steuerzahler.
Zu den wichtigsten Neuerungen durch Grabower gehörte die Errichtung von sogenannten Hauptorten an bestimmten Branchenplätzen, um spezielle Prüfer für die jeweilige Branche heranzubilden und sachverständig einsetzen zu können. Beispielsweise gab es in Düsseldorf Prüfer für die Schwerindustrie oder in München solche für die Brauindustrie. Das bedeutendste Dokument in der Ära Rolf Grabowers war wohl der erste „B. u. B. Materialerlaß“ vom Juli 1927. Dieses Schriftstück kann als die eigentliche Buch- und Betriebsprüfungsordnung seiner Zeit angesehen werden. Für Grabower war es das Wichtigste, eine gleichmäßige und gerechte Besteuerung zu erreichen sowie die Prüfer nicht nur sachlich, sondern auch menschlich für geeignet zu erachten. Einige seiner Prinzipien waren beispielsweise: taktvolles Verhalten des Prüfers in jeder Beziehung, keine Prüfung zur Unzeit und die Unterlassung klein­licher Einzelfragen. Durch die Prüfung erzielte Mehreinnahmen waren für ihn zweitrangig.
Nach der Machtübernahme durch Hitler und dem nationalsozialistischen Säuberungsgesetz von 1933 mussten alle Beamten ihre arische Abstammung nachweisen. Die Nazis stuften ­Grabower als Dreivierteljude ein, weshalb er 1934 als Richter an den Reichsfinanzhof nach München „befördert“ wurde. Was auf den ersten Blick wie ein Karrieresprung wirkte, war nichts weniger als eine Abschiebung aus dem Berliner Finanzministerium. Mit den rassistischen Nürnberger Gesetzen von 1935 wurde er endgültig aus dem Reichsdienst entlassen. Die Nazis deportierten Grabower 1942 in das KZ Theresienstadt. Seine Rettung kam in letzter Minute: Kurz vor der Überführung nach Auschwitz befreiten sowjetische Truppen das Konzentrations­lager im Mai 1945. Nach Kriegsende war Grabower bis zu seiner Pensionierung 1952 Oberfinanzpräsident in Nürnberg und wirkte hier beim Neuaufbau der Finanzverwaltung mit. Am ­7. März 1963 verstarb Grabower im Alter von 80 Jahren.
Grabowers Fachkenntnis und Expertise im Bereich der Steuerverwaltung waren außerordentlich, auch wenn er dafür selten im Rampenlicht stand. Er war eher ein Mann der zweiten Reihe, weswegen er heute kaum mehr bekannt ist. 1948 ernannte ihn die Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen zum Honorarprofessor für Steuerrecht. In Anlehnung an seinen einstigen Vorgesetzten sowie als Ausdruck seiner Bedeutung titulierte man ihn dort auch als den „Kleinen Popitz“. Was von Grabower bleibt, ist die Auffassung, dass steuerliche Institutionen immer fragwürdig erscheinen, wenn der Mensch sie nicht menschlich handhabt.

Foto: Tolga TEZCAN / Getty Images; Bundesfinanzakademie, Brühl

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Bundesfinanzakademie im Bundesministerium der Finanzen, Finanzgeschichtliche Sammlung: Wenn im Amte, arbeite, wenn entlassen, verbirg dich.

Prof. Dr. jur. Dr. phil. Rolf Grabower in Zeugnissen aus der Finanzgeschichtlichen Sammlung der Bundesakademie. Ein Lesebuch und Materialband, Bonn 2010

Kuller, Christiane: Bürokratie und Verbrechen. Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im national­sozialistischen Deutschland. Das Reichsfinanzministerium im Nationalsozialismus, Band 1, München 2013

Pausch, Alfons: Persönlichkeiten der Steuerkultur: Fachbiographien aus Steuerpolitik, Steuerverwaltung, Steuergerichtsbarkeit, Steuerberatung und Steuerwissenschaft, Berlin 1992

Voß, Reimer: Steuern im Dritten Reich. Vom Recht zum Unrecht unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, München 1995

Eintrag zu Rolf Grabower in: Steuermuseum/Finanzgeschichtliche Sammlung (12.12.2016): www.bundesfinanzministerium.de

Zu den Autoren

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Irene Wallner

Neumann & Kamp,
Historische Projekte

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