Betriebliches Eingliederungsmanagement - 30. März 2023

Komplexe Gemengelage

Mängel bei der Wiedereingliederung eines langzeiterkrankten Mitarbeiters können sich problematisch auf eine nachfolgende Kündigung auswirken. Aus der Praxis kommt spürbare Kritik über eine gesetzliche Neuregelung des Verfahrens.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist die Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung. Die Regelung des § 167 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX konkretisiert jedoch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das BEM stellt zwar selbst kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung dar, aber bei dessen Durchführung können gegebenenfalls mildere Mittel festgestellt und entwickelt werden. Wird also bei der Durchführung eines BEM festgestellt, dass Möglichkeiten einer alternativen Beschäftigung im Betrieb des Arbeitgebers bestehen, durch die eine Kündigung vermieden werden kann, wäre eine dennoch ausgesprochene Kündigung unverhältnismäßig und folglich rechtsunwirksam. Der Arbeitgeber muss im Kündigungsschutzverfahren das Fehlen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten darlegen und beweisen. Er kann sich nicht auf seine schlichte Unkenntnis alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten berufen, sondern muss deren Nichtvorhandensein konkret darlegen und gegebenenfalls auch beweisen. Ein nicht ordnungsgemäß durchgeführtes BEM-Verfahren, das den gesetzlichen Mindestanforderungen nicht entspricht, kann zur Unbeachtlichkeit des Verfahrens insgesamt führen. In diesem Fall und sofern der Arbeitgeber gar kein BEM durchgeführt hat, muss er von sich aus darlegen, weshalb denkbare oder von der Arbeitnehmerin oder vom Arbeitnehmer aufgezeigte Alternativen zu den bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten mit der Aussicht auf eine Reduzierung der Ausfallzeiten nicht in Betracht kommen.

Sozial ungerechtfertigte Kündigung

Danach ist eine Kündigung immer dann sozial ungerechtfertigt, wenn eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer im gleichen oder einem anderen Betrieb des Unternehmens auf einem anderen Arbeitsplatz besteht. Der Arbeitgeber ist vor einer Beendigungskündigung verpflichtet, den betroffenen Arbeitnehmer auf einem anderen freien vergleichbaren, gleichwertigen Arbeitsplatz oder auf einem freien Arbeitsplatz zu geänderten, auch schlechteren Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen (Änderungskündigung). Das heißt, dass eine krankheitsbedingte Beendigungskündigung ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer kraft Direktionsrecht oder durch Ausspruch einer Änderungskündigung leidensgerecht weiterbeschäftigen kann.

Beschäftigung im Homeoffice

Bei der Durchführung eines BEM stellt sich die Frage, ob die Prüfung etwaiger Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auch auf eine Tätigkeit im Homeoffice zu erstrecken ist. Bei dieser Prüfung sind nur bereits bestehende Arbeitsplätze mit einzubeziehen, da der Arbeitgeber grundsätzlich nicht verpflichtet ist, einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen. Insoweit dürfte also zu unterscheiden sein, ob der betroffene Mitarbeiter bereits ganz oder teilweise seine Arbeitsleistung im Homeoffice verrichtet. Sofern bisher also noch kein derartiger Arbeitsplatz eingerichtet war, dürfte dies einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, weil dies auf die Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes hinausliefe. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber grundsätzlich nicht kraft seines Weisungsrechts berechtigt ist, eine Tätigkeit im Homeoffice einseitig zuzuweisen. Das würde ein unzulässiger Eingriff in das von Art. 13 Grundgesetz (GG) geschützte Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung sein. Der Arbeitgeber kann Homeoffice also grundsätzlich nur mit Einverständnis des Mitarbeiters einführen. Schließlich wäre eine potenzielle Weiterbeschäftigung auf einem Homeoffice-Arbeitsplatz bei einer bisher noch nicht erfolgten Beschäftigung dieser Art ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit, die natürlich auch die Entscheidung des Arbeitgebers beinhaltet, ob beziehungsweise wie die Arbeit im Rahmen von Homeoffice geleistet wird. Eine Weiterbeschäftigung im Homeoffice kommt jedoch in den Fallgestaltungen in Betracht, wo die Arbeitsorganisation des betroffenen Mitarbeiters bereits eine derartige Tätigkeit vorsah. Dann darf die Beibehaltung des Homeoffice-Arbeitsplatzes für den Arbeitgeber aber nicht mit über der Bagatellgrenze liegenden wirtschaftlichen Belastungen verbunden sein oder dürfen ihm keine anderen Nachteile entstehen. Keinesfalls dürfen jedoch dem Arbeitnehmer die Kosten für eine Weiterbeschäftigung im Homeoffice auferlegt werden.

Beteiligung einer Vertrauensperson

Welche praktischen Auswirkungen die gesetzliche Neuregelung des § 167 Abs. 2 S. 2 SGB IX hinsichtlich der Hinzuziehung einer Vertrauensperson bei Durchführung eines BEM haben wird, bleibt abzuwarten. Die Regelung des § 167 Abs. 2 S. 2 SGB IX gewährt nur dem betroffenen Beschäftigten das Recht, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen, dem Arbeitgeber gerade nicht. Damit kann zumindest ein Ungleichgewicht in der Kenntnis sozialrechtlicher Vorgaben entstehen. Auch bleibt abzuwarten, ob sich die Befürchtung in der bisherigen Rechtsprechung bewahrheitet, wonach die Durchführung eines BEM künftig komplizierter und langwieriger werde, sofern eine Vertrauensperson, wie etwa ein Rechtsanwalt, durch den Beschäftigten hinzugezogen wird. Auch mit dem gesetzlichen Zweck des BEM scheint die Hinzuziehung einer Vertrauensperson nur schwer vereinbar. Der Zweck des BEM besteht darin, zu klären, wie eine Arbeitsunfähigkeit überwunden werden kann. Zudem soll geprüft werden, mit
welchen Leistungen oder Hilfen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt beziehungsweise der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Es geht also um die Gesundheit des erkrankten Arbeitnehmers und die Frage, welche Möglichkeiten der Arbeitgeber gegebenenfalls unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfen hat, die Gesundheit des Mitarbeiters zu fördern und eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu ermöglichen.

Kritik an der Neuregelung

Das BEM ist sehr vertraulich. Sein Erfolg hängt auch davon ab, ob die Beteiligten vertrauensvoll miteinander umgehen können. Interesse an der Vertraulichkeit der Gespräche hat aber nicht nur der Arbeitnehmer, um dessen Gesundheitsdaten es geht, sondern auch der Arbeitgeber. Unter Umständen werden in den Gesprächen vertrauliche Betriebsinterna und Geschäftsgeheimnisse thematisiert. Außerdem ist es fraglich, ob die Vertrauensperson, die in der Regel keine medizinischen Kenntnisse hat und den konkreten Arbeitsplatz sowie den Betrieb nicht kennt, überhaupt einen sinnvollen Beitrag leisten kann.

Zu den Autoren

KK
Katharina Kuschefski, LL.M.

Rechtsanwältin in der Dortmunder Wirtschaftskanzlei Spieker & Jaeger sowie Lehrbeauftragte an der University of Europe for Applied Sciences

Weitere Artikel des Autors
DW
Daniel Wolgast

Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie Partner in der Dortmunder Wirtschaftskanzlei Spieker & Jaeger

Weitere Artikel des Autors