Risikoprävention - 29. September 2022

Die Prophylaxe steuern

Die aktuellen Herausforderungen einer sich rasant verändernden Welt können bei Unternehmen zu massiven Schieflagen führen. Für den steuerlichen Berater ergeben sich dadurch aber Chancen für neue Betätigungsfelder, sofern er frühzeitig im Rahmen vorbeugender Maßnahmen beteiligt wird.

Eine Insolvenz ist die letzte Konsequenz einer zuvor nicht mehr beherrschbaren Entwicklung. Bekanntermaßen bietet ein Insolvenzverfahren auf Basis der in Deutschland vorhandenen Gestaltungsstrukturen aber auch die Chance für einen veritablen Neuanfang. Gleichwohl besteht grundsätzlich der Anspruch, ein solches Restrukturierungsverfahren zu vermeiden. Dafür bedarf es aber einer entsprechenden Risikovorsorge und Gefährdungsbeurteilung. Dies vor allem dann, wenn sich Politik und Gesellschaft wie derzeit mit einer ungekannt großen Anzahl an Herausforderungen konfrontiert sehen. Es stellt sich die Frage, inwieweit die betroffenen Unternehmen in der Lage sind, in geeigneter Art und Weise darauf zu reagieren. Erfahrungswerte gibt es nämlich nicht.

Eine Fülle an Unwägbarkeiten

Daher bedarf es neben den Zwängen des Alltagsgeschäfts einer darüber hinausgehenden Risikoprävention, um den Anforderungen unserer immer komplexeren beziehungsweise verfahrenen Welt gerecht werden zu können. Exemplarisch seien hierfür zunächst Lieferkettenprobleme hinsichtlich wichtiger Baugruppen – eindeutig auch mit Auswirkungen auf die Energieversorgung –, der Ausfall von Arbeitskräften – sei es krankheitsbedingt oder aufgrund von Kündigungen oder Renteneintritt – sowie Produktionsbeeinträchtigungen wegen langer Wartezeiten beziehungsweise Störungen oder Defekten infolge dünner Personaldecke bei wichtigen Dienstleistern genannt. Darüber hinaus sehen sich die Unternehmen zunehmend mit Hackerangriffen mit teils verheerenden Auswirkungen konfrontiert. Schließlich können sich auch Zinsrisiken sowie Klimaauflagen mit Effekten in Bezug auf den Investitionsbedarf negativ auswirken, ebenso wie ein limitierter Ressourceneinsatz. Selbst wenn sich nicht alle der aktuell drohenden Gefahren am Ende realisieren sollten, bleiben womöglich doch Risiken übrig, die sich nicht eindämmen lassen, wobei kaum jemand weiß, welche dies sein werden. Und schließlich sollte man die Wirkung dieser Risiken auf die unternehmerische Mandantin und den unternehmerischen Mandanten nicht unterschätzen – hier droht ein schleichendes Ohnmachtsempfinden.

Neue Beratungsfelder

Der steuerliche Berater sollte an dieser Stelle mit einer angepassten Beratungskompetenz ansetzen. Diese beginnt mit einer Analyse der Unternehmensstruktur und soll alle relevanten Gefahren identifizieren. Im nächsten Schritt geht es darum, erste Maßnahmen einzuführen, um eine Realisierung der Risiken zu vermeiden beziehungsweise deren Auswirkungen zu begrenzen. Dabei stellt sich die Frage, ob der Mandant überhaupt bereit ist, Probleme anzusprechen. Regelmäßig besteht die Tendenz, Gefahren zu ignorieren. Daher muss der Mandant zunächst entsprechend sensibilisiert werden, indem man ihm die bestehenden Potenziale aufzeigt, um den aktuellen Risiken zu begegnen. Der Unternehmer soll verstehen, dass er nicht wehrlos ist, sondern eigene Stärke besitzt und Antworten auf drohende Krisen geben kann. Diese Motivation der Kräfte beim Mandanten ist der entscheidende Baustein für den Einstieg in die Beratung.

Lieferkettenproblem

Beginnen wir mit den Lieferketten. Sind hier eine Vorratshaltung oder die Erschließung weiterer Beschaffungskanäle beziehungsweise der Abschluss von Abnahmeverträgen möglich? Teilweise womöglich Wunschvorstellung, aber gleichwohl der Einstieg in ein strategisch aufgestelltes Beschaffungswesen. Allein die Tatsache, dass der Mandant hier zukünftig verstärkt Energie aufwendet, bedeutet gegenüber dem bisherigen Zustand eine Verbesserung, weil das der Beginn einer langfristigen Konzeption sein kann. Wie sehen die Rahmendaten der Beschaffung im kommenden Jahr oder in den nächsten zwei Jahren aus? Wer bereit ist, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, wird zumindest eher in der Lage sein, den anstehenden Herausforderungen zu begegnen.

Ausfall von Arbeitskräften

Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Corona-Pandemie in nahezu allen Branchen spürbare Auswirkungen auf die Erbringung der Arbeitsleistung hatte und noch haben wird. Auch hier kann eine vorausschauende Disposition helfen, um nicht zu sehr überrascht zu werden. Die Reaktion auf derartige Ausfallszenarien gehört im Personalwesen zu den grundlegenden Managementaufgaben. Dieser Bereich ist aufgrund der neuen Risiken derzeit aber so wichtig wie noch nie. Daher muss sich jedes Unternehmen mit potenziellen Ausfallsituationen beschäftigen.

Klausel in Verträgen

Weiter stellt sich die Frage, ob in den eigenen Lieferverträgen entsprechende Klauseln enthalten sind, die bei höherer Gewalt dafür sorgen, wirtschaftlich nicht in Schieflage zu geraten. Derartige Klauseln sollten nicht nur auf der Absatz-, sondern auch auf der eigenen Beschaffungsseite berücksichtigt werden. Exemplarisch könnte eine solche Klausel wie folgt lauten:

„Im Hinblick auf die Erfahrungen mit dem Ausbruch und der Ausbreitung der Infektionskrankheit SARS-CoV-2 sowie im Interesse einer wirtschaftlich angemessenen Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien (Mieter/Vermieter oder Lieferant/Abnehmer) in vergleichbaren Situationen teilen sich die Parteien das Risiko infolge eines unerwarteten, unvorhergesehenen, unvermeidbaren und nicht zurechenbaren Ereignisses, wie etwa Epidemien, Pandemien, Naturkatastrophen oder militärische Konflikte, einschließlich eines vollständigen oder teilweise behördlichen/gesetzlichen Verbots der Nutzung des Mietgegenstands / Liefererfüllung – nachfolgend: höhere Gewalt – nach Maßgabe der nachfolgenden Regelung. Wenn im Falle höherer Gewalt der Betrieb nicht möglich ist oder von der Regierung, der Gemeinde oder einer sonstigen Behörde nicht erlaubt oder untersagt ist, wird die Miete / das Entgelt während des Zeitraums der höheren Gewalt angemessen angepasst. Die Parteien sind sich einig, dass grundsätzlich eine 50-prozentige Mietminderung eine angemessene Anpassung darstellt, wobei jede Partei das Recht hat, die Angemessenheit einer geringeren oder höheren Reduzierung nachzuweisen.“

Sofern die Mandantschaft noch nicht damit begonnen haben sollte, derartige Klauseln einzupflegen, ist es meiner Ansicht nach allerhöchste Zeit, damit zu beginnen.

Recruiting, Networking, demografischer Wandel

Ausscheidende Arbeitskräfte zu kompensieren, ist sicherlich ein zentrales Thema in den kommenden zwei Jahrzehnten. Die Auswirkungen des demografischen Wandels werden jedem bewusst werden. Die Nutzung moderner Akquisetechniken und Tools zur Mitarbeitersuche und -bindung ist unabdingbar, denn der Arbeitsmarkt stellt stets zu wenige qualifizierte Arbeitskräfte bereit. Daher muss über das Recruiting ausländischer Kräfte nachgedacht werden. Der Aufbau hierfür erforderlicher Kanäle ist komplex und langwierig, umso wichtiger ist es, möglichst frühzeitig damit zu beginnen. Nur auf diese Weise ist ein langfristiges Bestehen des Unternehmens überhaupt möglich. Der Aufbau eines verlässlichen Netzwerks von Dienstleistern ist ebenfalls dringend anzuraten. Einige Mandanten werden sicherlich behaupten, über ein solches Netzwerk bereits zu verfügen. Aber wie lange noch? Wie hoch ist das Durchschnittsalter der Belegschaft des wichtigsten Dienstleisters, etwa der Wartungsfirma für die eigene Produktionsanlage? Erwiesen ist, dass Belegschaften mit hohem Durchschnittsalter nur bedingt junge neue Mitarbeiter anziehen. Begehrt sind regelmäßig Firmen mit einem Durchschnittsalter von unter 40 Jahren. Somit stellt sich die Frage, wie lange der wichtige Dienstleister noch seine wichtige Funktion im mandatsseitigen Unternehmen erbringen kann. Der Aufbau neuer Strukturen wird im Krisenfall schwer sein. Daher ist eine frühzeitige Analyse der Strukturen mit Blick auf einen geregelten Dienstleisterwechsel sinnvoll und – falls geboten – eine zweigleisige Beauftragung frühzeitig die richtige Option.

Hackerangriffe

Wegen der Gefahr, die von erpresserischen Hackerangriffen ausgeht, sollte man zumindest einmal im Jahr testen, ob die Datensicherungen im Ernstfall ihren Zweck erfüllen. Falls sie dazu nicht in der Lage sind, die gesamte IT-Infrastruktur zeitnah wiederherzustellen, ist der Betrieb in ernsthafter Gefahr. Denn intelligente Angriffe agieren mitunter zeitversetzt, weshalb auch frühere Sicherungen kompromittiert sein können. Daher sollte mit geeigneten IT-Spezialisten dieser Gefahr begegnet werden. Der Steuerberater kann nachhaltig erfassen, ob geeignete Strukturen aufgebaut wurden und derartige Überprüfungen erfolgen.

Finanzplanung und Klimawandel

Zinssätze spielen wieder eine Rolle und damit hat das Geld auch wieder seinen Wert. Hat das Auswirkungen auf die mittelfristige Finanzplanung? Hier kann der steuerliche Berater punkten und mittels Planungsrechnungen Korridore für eine weitere Entwicklung aufzeigen; alternativ wären die möglichen Beeinträchtigungen darzulegen, um ihnen frühzeitig begegnen zu können. Schließlich sei noch auf das Klima hingewiesen. Das Klima ist im Wandel mit jetzt bereits unübersehbaren Auswirkungen. Dieser Umstand wird sich in den kommenden Jahren noch weiter verstärken, bis Gegenmaßnahmen die Veränderungen tatsächlich spürbar abmildern. Viele Geschäftsmodelle werden davon betroffen sein. Staatliche Vorgaben sind unausweichlich. Energie- oder emissionsintensive Betriebe brauchen daher bereits jetzt eine Umstiegsstrategie.

Fazit und Ausblick

Gute Beratung ist wichtiger denn je. Die skizzierten Herausforderungen sind jedoch nur ein Ausschnitt aller drohenden Risiken. Zudem müssen auch die klassischen Themen wie Unternehmensnachfolge, Altersabsicherung, Ehevertrag, Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung und Testament berücksichtigt werden. Die sich verändernden Verhältnisse in unserer Welt sollten die Beratungskompetenz der Steuerberatungskanzleien beeinflussen. Die Beratung in betriebswirtschaftlichen Belangen hat sich längst etabliert und ist Teil eines Beratungspakets. Dieses Paket bedarf nun unausweichlich einer Neujustierung. Denn Steuerberater können Teil einer fundierten Risikoprävention sein.

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Mandanten-Info-Broschüre: Notfallplanung für Unternehmerinnen und Unternehmer, www.datev.de/shop/32542

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Mandanten-Info-Broschüre: Beschäftigung von Flüchtlingen aus der Ukraine, www.datev.de/shop/32556

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Elektronisches Wissen Wirtschaft und Märkte, www.datev.de/shop/65840

Zum Autor

Markus Wohlleber

Steuerberater, Dipl.-Betriebs­wirt (FH), Bank­kauf­mann, Fach­be­rater für San­ie­rung und In­sol­venz­ver­wal­tung (DStV) in der Steuer­be­ra­tungs­kanzlei Wohl­leber in Nürn­berg, Haß­furt und Frankfurt/M.

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