Kooperative Sanierung - 29. September 2022

Neue Tools verwenden

Ob sich das neue Verfahren zur Restrukturierung von kriselnden Unternehmen tatsächlich in der Praxis bewährt, wird sich spätestens bei einer nächsten Insolvenzwelle zeigen. Externe Fachleute werden dann gemeinsam mit dem steuerlichen Berater dessen Mandanten unterstützen.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) ist die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen in Deutschland im April gegenüber dem März dieses Jahres um 20,8 Prozent gesunken. Somit hat sich der im März beobachtete Anstieg von 27 Prozent gegenüber Februar 2022 nicht fortgesetzt. Die meisten Unternehmensinsolvenzen gab es im Februar 2022 im Baugewerbe mit 206 Fällen. Es folgte der Handel einschließlich der Kfz-Werkstätten mit 155 Verfahren. Beim zeitlichen Vergleich der Insolvenzzahlen mit denen der Vorjahre ist zu beachten, dass das Insolvenzgeschehen in den Jahren 2020 und 2021 von Sonderregelungen geprägt war. Von März bis Dezember 2020 war die Insolvenzantragspflicht für überschuldete Unternehmen infolge der Corona-Pandemie ausgesetzt. Diese Regelung galt bis Ende April 2021 für Unternehmen weiter, bei denen die Auszahlung der seit 1. November 2020 vorgesehenen staatlichen Hilfeleistungen noch ausstand. Für diese Betriebe wurde die Pflicht zur Beantragung eines Insolvenzverfahrens erst ab Mai 2021 wieder vollumfänglich eingesetzt. Beruhte der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung hingegen auf den Auswirkungen der Starkregenfälle oder des Hochwassers im Juli 2021, war die Insolvenzantragspflicht bis 31. Januar 2022 ausgesetzt.

Trügerische Sicherheit

Bis vor einigen Jahren noch gab die Zahl der beantragten Regelinsolvenzverfahren frühe Hinweise auf eine künftige Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen. Mittlerweile aber fällt eine Prognose schwer, da die Insolvenzzahlen im Verlauf der Corona-Pandemie beziehungsweise während des Hochwassers durch gesetzliche Sonderregelungen und Wirtschaftshilfen deutlich zurückgingen. Nun stehen die Firmen und Betriebe vor neuen Herausforderungen, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine, den erneuten Lockdown in China oder unterbrochene Lieferketten im globalen Handel. Die Aussicht, ob es ab dem Herbst dieses Jahres aufgrund einer neuen Corona-Welle wiederum zu drastischen Gegenmaßnahmen kommen wird, kann derzeit niemand seriös prognostizieren. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass der Gesetzgeber in rekordverdächtiger Zeit mit dem Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – kurz: SanInsFoG – mit Wirkung zum 1. Januar 2021 das neue Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) verabschiedet und damit die Restrukturierungsrichtlinie der EU vom 26. Juni 2019 umgesetzt hatte. Erfreulich ist, dass damit ein weiteres Sanierungs-Tool zur Verfügung steht. Die Möglichkeit, das Restrukturierungsvorhaben durch gerichtliche Hilfe umzusetzen, setzt die nur drohende Zahlungsunfähigkeit sowie die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Restrukturierungsgericht voraus. Mit dem SanInsFoG hat der Gesetzgeber zudem den Prognosezeitraum für die Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Insolvenzordnung (InsO) von 12 auf 24 Monate ausgedehnt und gleichzeitig den Begriff der Überschuldung nach § 19 InsO harmonisiert.

Umfang der Möglichkeiten

Eine Unternehmenssanierung bedeutet regelmäßig, bestehende Verbindlichkeiten abzuschneiden oder das Unternehmen leistungswirtschaftlich zu optimieren. Das neue Gesetz verzichtet auf die Möglichkeit, in laufende Verträge einzugreifen. Damit ähnelt das Verfahren dem englischen Scheme of Arrangement. Das neue Instrumentarium ist damit für Unternehmen sinnvoll, die sich allein über einen Schuldenschnitt sanieren beziehungsweise die leistungswirtschaftlichen Maßnahmen mit den normalen außergerichtlichen Werkzeugen umsetzen können. Das Gesetz geht systematisch davon aus, dass die Schuldnerin oder der Schuldner den beteiligten Gläubigern beziehungsweise Restrukturierungsgläubigern einen Plan zur Restrukturierung anbietet, über den in einem vom Schuldner initiierten schriftlichen Verfahren oder in einer Versammlung über den Restrukturierungsplan entschieden wird. Darüber hinaus kann der Schuldner nach § 29 StaRUG parallel unter anderem optional folgende gerichtliche Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente beim Restrukturierungsgericht beantragen, um das Restrukturierungsvorhaben zu flankieren: die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens, die Bestätigung des Restrukturierungsplans durch das Restrukturierungsgericht, die gerichtliche Vorprüfung von für die Bestätigung relevanten Fragen sowie die gerichtliche Anordnung eines Moratoriums für maximal acht Monate.

Ohne Gericht geht es oft nicht

So kann es trotz Einstimmigkeit im Rahmen einer außergerichtlichen Abstimmung sinnvoll sein, eine gerichtliche Bestätigung des Plans zu beantragen, um beispielsweise die Vorteile der sogenannten Safe-Harbor-Regelungen in Anspruch zu nehmen. Danach können Regelungen und Rechtshandlungen zum Vollzug eines rechtskräftigen, bestätigten Plans in einem späteren Insolvenzverfahren nicht angefochten werden. Das gilt unter bestimmten Voraussetzungen auch für die dem Plan zugrunde liegende Finanzierung und deren Besicherung. Wird eine gerichtliche Bestätigung angestrebt, ist es gegebenenfalls sinnvoll, bestimmte Fragen mit dem Gericht im Rahmen einer Vorprüfung abzuklären, um eine spätere Bestätigung des Gerichts sicherzustellen. Wird der angebotene Restrukturierungsplan nicht einstimmig angenommen, muss ein gerichtliches Planabstimmungsverfahren durchgeführt werden. Geht der Schuldner also davon aus, dass er keine Einstimmigkeit erreicht, wird er unter Umständen sofort ein gerichtliches Planabstimmungsverfahren beantragen.

Wichtiger Moderator

Ferner hat das Restrukturierungsgericht unter bestimmten Voraussetzungen von Amts wegen einen sogenannten Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen. Eine obligatorische Bestellung erfolgt beispielsweise bei Anordnung eines Moratoriums gemäß § 73 StaRUG – die sogenannte Stabilisierungsanordnung. Der Restrukturierungsbeauftragte hat das Verfahren zu kontrollieren und zu moderieren. In den Fällen, in denen eine obligatorische Bestellung nicht erfolgt, kann auf Antrag des Schuldners oder von Gläubigern, so auf sie mindestens 25 Prozent der Stimmen einer Gläubigergruppe entfallen, ein Restrukturierungsbeauftragter vorgeschlagen werden. Die Kosten sind gesamtschuldnerisch durch die Gläubiger zu übernehmen.

Der Restrukturierungsplan

Das Herzstück des Verfahrens ist der Restrukturierungsplan gemäß §§ 5 ff. StaRUG, durch den unter anderem die folgenden Rechtsverhältnisse gestaltet werden können, nämlich der sogenannte Cram Down der Forderungen einer oder mehrerer Gläubigergruppen, der Eingriff in Finanzierungsverträge und in Sicherheiten, die Umwandlung von Gläubigerforderungen in Anteilsrechte – der sogenannte Debt to Equity Swap – sowie der Eingriff in Drittrechte verbundener Unternehmen. Ausdrücklich stellt der Gesetzgeber klar, dass nach § 4 StaRUG nicht in die Rechte der Arbeitnehmer und des Pensionssicherungsvereins eingegriffen werden kann. Während die außergerichtliche Abstimmung einhellig sein muss, reicht beim gerichtlichen Verfahren eine 75-prozentige Summenmehrheit in der jeweiligen Gruppe. Ist in den Plan nicht nur eine Gläubigergruppe einbezogen, kann das Restrukturierungsgericht die Wirkungen des Plans für alle Gruppen anordnen, sofern die Mehrheit der abstimmenden Gruppen vorhanden ist und kein Gläubiger durch den Plan schlechter gestellt wird als ohne den Plan.

Verfahren mit Herausforderungen

Der Schuldner hat verschiedene Optionen, das Sanierungsvorhaben zu flankieren. So kann das Restrukturierungsgericht auf Antrag ein bis zu achtmonatiges Moratorium anordnen, in dem beispielsweise nicht gegen den Schuldner vollstreckt werden kann. Eine Herausforderung im Verfahren ist die Durchfinanzierung des Schuldners nach Durchführung des Restrukturierungsvorhabens. Zwar erleichtern die Regeln zum Safe Harbor die weitere Finanzierung; danach können der Inhalt eines rechtskräftig bestätigten Plans und unter bestimmten Voraussetzungen auch die erforderliche Finanzierung in einem späteren Insolvenzverfahren nicht angefochten werden. Es bleibt aber abzuwarten, welche Auswirkungen der Cram Down der Finanzierer auf deren Motivation beziehungsweise Möglichkeiten zur Finanzierung der neuen Zielstruktur haben wird. Letzteres wird eine der wesentlichen Herausforderungen des neuen Verfahrens sein.

Die Stunde der Berater

Die Steuerberater werden ab jetzt häufiger die Frage beantworten müssen, ob das neue Verfahren zur Anwendung kommen kann, und dabei zu prüfen haben, ob das Ziel der Sanierung durch das Abschneiden der Schuldenlast beziehungsweise eine Veränderung der Finanzierungsstruktur zu erreichen ist. Entscheidet man sich für das Verfahren, bedarf es oft besonderer Expertise, da die Anforderungen an den Restrukturierungsplan einem Insolvenzplan sehr ähneln. Darüber hinaus bedarf es einer intensiven Abstimmung mit dem Restrukturierungsrichter, der im Regelfall auch als Insolvenzrichter tätig ist. Hier ist unter Umständen die Expertise Dritter hinzuzuziehen, um dann gemeinsam mit dem steuerlichen Berater den Plan an dessen Arbeitsergebnisse anzupassen und das Verfahren gemeinsam umzusetzen. Auch der Person des Restrukturierungsberaters, den der Schuldner vorschlagen kann, wird eine besondere Bedeutung zukommen. Hier kann es unter Umständen sinnvoll sein, eine bei dem Restrukturierungs- beziehungsweise Insolvenzgericht bekannte Person vorzuschlagen. Das gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass das Restrukturierungsgericht nach § 74 Abs. 3 StaRUG die Aufgaben des mitgebrachten Restrukturierungsbeauftragten auf einen selbst Bestellten übertragen kann.

Fazit

Ob sich das neue Sanierungs-Tool in der Praxis über alle Branchen hinweg tatsächlich bewähren wird, so wie es sich der Gesetzgeber vorgestellt hat, wird sich spätestens dann zeigen, wenn die von vielen Experten prognostizierte Insolvenzwelle ab dem Herbst 2022 doch eintreten sollte.

Mehr dazu

Kompaktwissen Beratungspraxis: Unternehmensrestrukturierung mit dem StaRUG, www.datev.de/shop/35762

Kompaktwissen Beratungspraxis: Insolvenznahe Mandanten: Hinweispflichten nach dem StaRUG (E-Book), www.datev.de/shop/12554

Möglichkeiten, Risiken bereits frühzeitig zu erkennen, unter www.datev.de/entwicklungspfad-liquiditaet

Zum Autor

JMP
Dr. Jan Markus Plathner

Rechtsanwalt und Partner bei Brinkmann & Partner Rechtsanwälte | Steuerberater | Insolvenzverwalter Partnerschaftsgesellschaft am Standort Frankfurt/Main. Er ist unter anderem in der Eigen- und Insolvenzverwaltung sowie der Sanierungsberatung tätig.

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