Ansprüche gegen die Hauptversammlung - 27. Januar 2022

Den Anlegerschutz erhöhen

Bei der Investition in Wertpapiere oder Anteilsscheine ist man hierzulande weiterhin zurückhaltend. Ein Grund dafür dürfte sein, dass der aktuelle Rechtsrahmen nicht alle Risiken der Aktionäre abdeckt.

Am Ausgangspunkt der industriellen Revolution standen zwei Ereignisse: die Erfindung der Dampfmaschine und die der Aktiengesellschaft. Diese Rechtsform ermög­licht es, das Kapital einer Vielzahl von Anlegern einzusam­meln und gleichzeitig die Haftung auszuschließen. Außer­dem lassen sich in der inneren Struktur einer Aktiengesell­schaft die Gesellschaftsanteile beliebig vieler Anleger kos­tengünstig und effektiv verwalten. Bedauerlicherweise hat es aber in Deutschland in den letzten Jahren nur wenige er­folgreiche Börsengänge gegeben. Damit entfaltet aber die Aktie hier und heute nicht mehr ihre volkswirtschaftlichen Funktionen: die Beschaffung von Eigenkapital für die Unter­nehmen und ein jederzeit veräußerbarer Sachwert für Anle­ger beziehungsweise die Steuerzahler. Der Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland genießt nach wie vor ein hohes Ansehen in der Welt. Deutschland war viele Jahre der Exportweltmeister. Nach wie vor gibt es hier viele Markt­führer und Spitzenprodukte. Das verlangt eigentlich nach einem funktionierenden Kapitalmarkt, um die Unternehmen mit Eigenkapital auszustatten und Anlagemöglichkeiten zu schaffen. Zwar gibt es seit Jahren vielfältige Bemühungen, die Akzeptanz der Aktie zu erhöhen. Trotzdem ist die Aktio­närsquote in anderen vergleichbaren Volkswirtschaften we­sentlich höher.

Verloren gegangenes Vertrauen

Denn auch in der gegenwärtigen Niedrigzinsphase entde­cken die Deutschen die Aktie nur zaghaft, wie Studien des Deutschen Aktieninstituts zeigen. Das überrascht nicht, wenn man sich die Daten der einschlägigen Vertrauensindi­ces ansieht. Der Neue Markt und die Börsengänge der Deut­schen Telekom scheinen das Anlegerverhalten auch heute noch zu prägen. Dazu gehört wohl auch, dass es – abgese­hen vom Spruchverfahren – gegenwärtig einen funktionie­renden Rechtsschutz nur für Aktionärinnen und Aktionäre mit größeren Paketen gibt. Vieles spricht dafür, dass das verlorene Vertrauen erst dann wiedergewonnen wird, wenn sich der Rechtsschutz bessert. Dennoch hat die Aktie we­sentliche Vorteile: Sie bietet durch Kurssteigerungen und Dividenden einen regelmäßigen Vermö­genszuwachs und kann jederzeit verkauft werden.

Die Daten sprechen für sich

Das wirft auch die Frage auf, ob und in­wieweit die deutschen Anleger an den Chancen partizipieren, die der Wirt­schaftsstandort Deutschland bietet. Schließlich schaf­fen sie mit ihren Steu­ern die Infrastruktur und die weiteren Grundlagen für diese Gesellschaf­ten. Das Deutsche Aktieninstitut erhebt seit Jahren Daten zur An­zahl der Aktionäre in Deutschland. Die gute Kursentwicklung in den letzten Jahren in Verbindung mit den niedrigen Zinsen steigerten im Jahr 2018 das Interesse an Aktien im vierten Jahr in Folge. 10,3 Milli­onen Bürger, also 16,2 Prozent der Deutschen, halten Aktien oder Aktienfonds. Während die Zahl der Aktienfondsbesitzer zunahm, ging die der Direktanleger in Einzelaktien auf 4,5 Millionen zurück.

Die Daten der Deutschen Bundesbank zur Geldvermögensbildung in Deutsch­land zeigen deutlich, wie sich die Deut­schen arm sparen: Das Geldvermögen nahm im zweiten Quartal 2019 um 1,5 Prozent auf 6.237 Milli­arden Euro zu. In der Wahl der Anlageform besteht eine Präferenz für die als risikoarm empfundenen Anlageformen wie Bargeld und Ansprüchen gegen­über Versicherungen. In Aktien werden nur 652 Milliarden Euro investiert. Daher überrascht es nicht, dass vor allem die DAX-Unternehmen heute mehrheit­lich Ausländern gehören.

Kein umfassender Schutzanspruch

Aktionärsschutz beginnt mit zutreffenden Informationen zur Geschäftsentwicklung und damit zum inneren Wert der Be­teiligung. Aktiengesellschaften haben neben diversen ge­setzlichen Informationen auch die Folgepflichten von Bör­senzulassungen. Vor allem diese Informationen aus den Ge­sellschaften sind besonders dazu geeignet, Investitionsent­scheidungen zugrunde gelegt zu werden. Allerdings kennt das Kapitalmarktrecht eine Haftung nur für unterlassene Ad-hoc-Mitteilungen, nicht aber für fehlerhafte Regelinformatio­nen. Hier kann allenfalls eine Beraterhaftung gegenüber der Bank greifen, falls dem Kauf beziehungs­weise unterlassenen Verkauf ein Bera­tungsgespräch vorangegangen ist. Damit gibt es keinen umfassenden Schutzan­spruch auf vollständige und richtige Infor­mationen zur Lage einer Aktiengesell­schaft.

Beschlussmängelkontrolle

Anders als im Recht der Personengesell­schaften oder der Gesellschaft mit be­schränkter Haftung (GmbH) hilft eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen Beschlussfassungen einer Haupt­versammlung den Aktionären in den meisten Fällen wenig. Zwar lassen sich bei einigen Beschlussgegenständen die Voraussetzungen umfassend überprüfen. Oft gibt es ein sum­marisches Freigabeverfahren, in dem es vor einer juristi­schen Überprüfung zunächst auf wesentliche Nachteile ankommt. Dabei handelt es sich im Ergebnis um eine Bewer­tung der wirtschaftlichen Interessen. Bei den Entlastungsbe­schlüssen gibt es ebenfalls nur einen eingeschränkten Prü­fungsumfang.

Hauptversammlung

Damit rückt die Hauptversammlung in den Mittelpunkt der Rechtsausübung. Nach § 175 Abs. 1 S. 4 Aktiengesetz (AktG) muss sie innerhalb der ersten acht Monate für das vorange­gangene Geschäftsjahr stattfinden. Sie bietet nicht nur die einzige Gelegenheit, in der sich Aktionäre direkt an Vorstand und Aufsichtsrat wenden können. Rund um die Hauptver­sammlung üben die Aktionäre ihre Verwaltungs- und Vermö­gensrechte aus. Dazu gehört vor allem die Dividende, die nach der Hauptversammlung fällig wird. Aktionäre, deren Anteile zusammen fünf Prozent vom Grundkapital oder einen anteiligen Betrag von 500.000 Euro erreichen, können nach § 122 Abs. 1 AktG die Einberufung einer Hauptversammlung verlangen. § 122 Abs. 2 AktG ermöglicht es ihnen, weitere Beschlussfassungen auf die Tagesordnung zu setzen. Dazu gehören in der Praxis vor allem das Verlangen, nach § 83 Abs. 1 S. 1 AktG bestimmte Maßnahmen vorzubereiten, so­wie die Bestellung eines Sonderprüfers nach § 142 AktG oder eines besonderen Vertreters nach § 147 AktG. Darüber hin­aus kann jeder Aktionär zu den einzelnen Tagesordnungs­punkten auch einen Gegenantrag stellen. Damit erweitert er die Ansatzpunkte für eine weitere gerichtliche Überprüfung des Verwaltungshandelns.

Bestellung eines Sonderprüfers

Eine besondere Bedeutung hat der Sonderprüfer nach § 142 AktG. Er prüft Vorgänge der Gründung und Geschäftsfüh­rung vor allem auf mögliche Ansprüche wegen Schadener­satz. Auf der Grundlage seines Berichts, der über das Han­delsregister einsehbar ist, kann eine werterhöhende Klage auf Schadenersatz vorbereitet werden. Dabei handelt es sich zunächst einmal um Ansprüche zugunsten der Aktiengesell­schaft. Diese Ansprüche beziehungsweise Zahlungen erhö­hen aber zugleich auch das Vermögen der Gesellschaft, wo­von die Aktionäre profitieren.

Geltendmachung von Ersatzansprüchen

Einen Schritt weiter geht der besondere Vertreter. Die Haupt­versammlung kann zunächst nach § 147 Abs. 1 AktG be­schließen, Ersatzansprüche aus der Gründung oder Ge­schäftsführung gegen Mitglieder des Vorstands und Auf­sichtsrats oder weitere Personen mit Einfluss nach § 117 AktG geltend zu machen. In einem nächsten Schritt kann dann nach § 147 Abs. 2 AktG ein besonderer Vertreter damit beauftragt werden, diese Ansprüche geltend zu machen. § 148 AktG ermöglicht auch Aktionären, eine solche Klage zu erheben. Diese Ansprüche stehen der Gesellschaft und nicht den einzelnen Aktionären zu. Indem sie das Vermögen der Gesellschaft vermehren, steigern sie auch den Wert der ein­zelnen Aktie.

Spruchverfahren

Von besonderem Interesse ist das aktien- und umwandlungs­rechtliche Spruchverfahren. Bei verschiedenen Strukturmaß­nahmen wie Squeeze-out, Verschmelzung oder Unterneh­mensvertrag beziehungsweise Beherrschungs- und Gewinn­abführungsvertrag erhalten die Minderheitsaktionäre eine Kompensation. Meist tritt dabei eine Abfindung an die Stelle der Aktie. Beim Unternehmensvertrag gibt es alternativ eine jährliche Ausgleichszahlung, die wie eine Garantiedividende wirkt. Solche Aktien sind gerade in Niedrigzinsphasen für die Anleger interessant, für die es auf regelmäßige jährliche Zah­lungen ankommt. Diese Aktien werden dann faktisch zu sach­wertbasierten Anleihen. Aktien in Übernahmesituationen stellen mittlerweile eine eigene Anlageklasse dar. Das liegt nicht nur daran, dass die Gerichte in fast allen Spruchverfah­ren die Abfindung oder Ausgleichszahlung oft angehoben ha­ben. Häufig schließen kompensationspflichtige Strukturmaß­nahmen eine Unternehmensübernahme ab. Empirische Da­ten zeigen, dass die im Übernahmeangebot enthaltene Ge­genleistung häufig deutlich unter der Abfindung liegt.

Fazit und Ausblick

Obgleich die Aktie in den letzten Jahren fast alle anderen In­vestitionsklassen übertroffen hat, ist die Aktionärsquote hier­zulande im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften niedrig. Bei der Ursachensuche findet man überraschende Ergebnis­se in den Studien zum Vertrauen. Sie kommen meist zum gleichen Ergebnis: Während kleine und mittlere Unterneh­men meist gute Werte haben, sind große Unternehmen häu­fig am Ende der Skala. Es spricht einiges dafür, dass die Er­eignisse am Neuen Markt sowie die Börsengänge der Deut­schen Telekom AG auch heute noch über die Generationen fortwirken. Schließlich wird das Anlegerverhalten vielfach über die Generationen tradiert. Gleichwohl ist unbestritten, dass die Aktie eine sinnvolle Investition ist und auch bleibt – gerade in einer lang anhaltenden Phase niedriger Zinsen. Sie ist der Sachwert des kleinen Mannes. Ein Aktionär partizi­piert so durch Wertsteigerungen und Dividenden nicht nur an den wirtschaftlichen Chancen des Wirtschaftsstandorts, den er ja mit seinen Steuern eingerichtet hat. Er hält einen Sachwert, was sich schon immer als krisenresistenter als Bargeld erwiesen hat. Zudem lässt sich die Aktie einfacher als eine Immobilie veräußern. Damit ergibt ein solches In­vestment auch dann Sinn, wenn der Rechtsrahmen nicht alle Risiken abdeckt.

MEHR DAZU

Die Verbraucherzentrale für Kapitalanleger e. V. (VzfK) hat zwei Studien zur quantitativen empirischen Justizforschung herausgegeben. Sie werten auch Finanzmarktdaten aus, um Investitionsstrategien zu plausibilisieren. Die Datenbestände beider Studien werden laufend aktualisiert.

Zum Autor

MW
Dr. Martin Weimann

Rechtsanwalt in eigener Kanzlei in Berlin. Er vertritt Aktionäre jeder Größenordnung gegenüber Aktiengesellschaften. Daneben ist er in der Beraterhaftung für Anleger sowie in der Testamentsvoll-streckerhaftung für Erblasser tätig.

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