Digital Services Taxes - 27. Januar 2022

In der Schwebe

Die geplante Abschaffung unilateraler Digitalsteuern, aber auch die bestehende Rechtsunsicherheit und Doppelbesteuerungen stellen die Industrie 4.0 aktuell auf eine harte Probe.

Spätestens seit der Initiative BEPS (Base Erosion and Profit Shifting) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenar­beit und Entwicklung (OECD) bestehen kaum Zweifel, dass das international etablierte Unternehmenssteuersystem nicht auf die Besteuerung der digitalen Wirtschaft zugeschnitten ist. Das Kon­zept eines rein physischen steuerlichen Anknüpfungspunkts zur Begründung einer beschränkten Steuerpflicht im Quellenstaat, etwa durch eine Betriebsstätte, erlaubt keine sachgerechte Be­steuerung rein digitaler Geschäftsmodelle. Daher wird die Ver­einbarung von 137 Mitgliedstaaten des OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS (IF) zur Umsetzung eines sogenannten Zwei-Säulen-Modells – und damit auch eines multilateralen Be­steuerungskonzepts für digitale Geschäftsmodelle – die Ära uni­lateraler Digitalsteuern auf absehbare Zeit beenden. Die multilaterale Konvention muss jedoch in nationales Recht implemen­tiert werden. Bis dahin bleiben die europäischen Digitalsteuern in Kraft. Besonders die mangelnde Systemharmonisierung führt somit weiterhin zu Rechtsunsicherheit und Doppelbesteuerun­gen. Daher sollen nachfolgend die größten Komplikationen für Unternehmen der Industrie 4.0 aufgezeigt werden.

Systematik der europäischen Digitalsteuern

Aufgrund des anwachsenden zeitlichen Drucks sowie des Schei­terns einer Interimslösung auf Ebene der Europäischen Union (EU) führten in den vergangenen Jahren zahlreiche europäische Länder unilaterale Digitalsteuern auf bestimmte digitale Dienst­leistungen im Allgemeinen ein; diese sind daher nicht exklusiv auf Digitalkonzerne zugeschnitten. Der häufigste sachliche An­wendungsbereich nationaler europäischer Digitalsteuern um­fasst die drei folgenden steuerbaren digitalen Dienstleistungen:

  • Online-Werbedienste
  • Online-Vermittlungsleistungen (zum Beispiel Bereitstellung eines Online-Marktplatzes)
  • Übermittlung gesammelter Nutzerdaten

Dabei stellen die meisten europäischen Digitalsteuern auf die Ansässigkeit der Nutzerinnen und Nutzer einer digitalen Dienst­leistung ab, um ein Besteuerungsrecht zu begründen. Die An­sässigkeit der Nutzer wird in der Regel über die IP-Adresse der Nutzergeräte oder andere Methoden der Geolokalisierung ermit­telt. Digitalsteuern verpflichten Unternehmen somit, den Stand­ort von Nutzergeräten zu überwachen, was datenschutzrechtlich bedenklich erscheint, bisher allerdings kaum diskutiert wurde. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, wie die steuerpflichtigen Erträge einer Online-Vermittlungsdienstleistung (Online-Markt­platz) ermittelt werden und wie dies zu einer Komplexität für den Rechtsanwender führt.

Fallbeispiel

Das Unternehmen A ist in Deutschland ansässig und im interna­tionalen Maschinen- und Anlagenbau tätig. A betreibt unter an­derem einen Online-Marktplatz, auf dem neben eigenen Ersatz­teilen auch Ersatzteile von anderen Herstellern gekauft werden können. Unternehmen B kauft über den Online-Marktplatz von A ein Ersatzteil, das von Unternehmen C hergestellt wird. C zahlt für die Bereitstellung des Online-Marktplatzes eine Provision an A, das über die IP-Adressen ermittelt, dass sich B im Zeitpunkt der Vermittlungsleistung in Frankreich und C in Italien aufhält. Die Vermittlungsleistung ist mithin in Frankreich und Italien ob­jektiv steuerpflichtig. Der Anteil der steuerbaren digitalen Um­sätze richtet sich in beiden Ländern nach dem Anteil an Transak­tionen mit französischer beziehungsweise italienischer Nutzer­beteiligung an allen Transaktionen. Im Fall einer festgestellten objektiven Digitalsteuerpflicht kann einzig die Unterschreitung von globalen und lokalen Umsatzschwellenwerten ein Unterneh­men von einer subjektiven Digitalsteuerpflicht befreien. Aller­dings erfordert die Überprüfung der Umsatzschwellenwerte in den meisten Fällen auch die Ermittlung der digitalen Umsätze unter Verwendung der oben beschriebenen Allokationsrege­lung.

Mangelnde Harmonisierung

Bei Einführung der unilateralen Maßnahmen hatten die europäi­schen Staaten häufig den Richtlinienentwurf des Europäischen Rats für eine Digitalsteuer zur Vorlage, die Ausgestaltung war je­doch auch durch nationale Interessen geprägt. Daraus resultie­ren häufig Mehrfachbelastungen auf digitale Erträge. Insbeson­dere aufgrund der territorialen Zuordnung von Erträgen bei eu­ropäischen Digitalsteuern anhand der Nutzeransässigkeit be­steht in einigen Fällen die Gefahr, dass mehrere Staaten ein Besteuerungsrecht für sich beanspruchen. Die Digitalsteuern aus Frankreich, Italien und dem Vereinigten Königreich (UK) las­sen beispielsweise steuerbare Erträge aus Online-Marktplätzen gemäß dem Anteil an Transaktionen mit Nutzerbeteiligung des jeweiligen Landes in die Bemessungsgrundlage einfließen. Dies wird anhand des voranstehenden Beispiels deutlich. Da es für die französische und die italienische Digitalsteuer ausreicht, wenn sich ein Transaktionsteilnehmer, also B (Käufer) oder C (Verkäufer), in Frankreich beziehungsweise Italien aufhält, kann es bei einer Steuerpflicht von A in beiden Staaten zu einer Be­steuerung derselben Erträge kommen.

Doppelbesteuerung vermeiden

In der Praxis wird daher dringend empfohlen, eine Beratung un­ter anderem zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage einzuho­len, um Doppelbelastungen möglichst zu vermeiden und den Compliance-Anforderungen nachzukommen. Einige Staaten ha­ben das Problem der Mehrfachbelastung erkannt und bemühen sich, diese durch unilaterale Gegenmaßnahmen abzumildern. Die vergleichsweise einfachste Form der unilateralen Vermei­dung einer Doppelbesteuerung von Erträgen aus Online-Markt­plätzen wurde dabei in die spanische Digitalsteuer integriert. Die Vermittlungserträge, die in die Bemessungsgrundlage der spa­nischen Digitalsteuer einfließen, bestimmt der Anteil beteiligter spanischer Nutzer an Transaktionen und nicht der Anteil an Transaktionen mit spanischer Nutzerbeteiligung. Diese Rege­lung folgt der ursprünglich im Richtlinienvorschlag der EU vor­gesehenen Ausgestaltung und führt im Ergebnis dazu, dass nur jene Vermittlungserträge, die durch eine Transaktion generiert wurden, in die Bemessungsgrundlage der spanischen Digital­steuer einbezogen werden, sofern sich sowohl Käufer als auch Verkäufer in Spanien aufhalten. Im voranstehenden Beispiel müssten demnach B und C in Spanien ansässig sein. Trotz einer teilweise abweichenden territorialen Zuordnung ist die britische Digitalsteuer ebenfalls bestrebt, Mehrfachbelastungen steuer­pflichtiger digitaler Erträge zu vermeiden. Daher wird die Hälfte der steuerpflichtigen Erträge aus Marktplatz-Transaktionen au­tomatisch freigestellt, sofern ein ausländischer Nutzer an der Transaktion beteiligt ist und die Erträge teilweise oder vollstän­dig mit einer ausländischen Digitalsteuer belastet werden. Durch diese Maßnahme tritt bei einer drohenden Doppelbesteuerung im Regelfall die gleiche Entlastungswirkung wie bei der spani­schen Digitalsteuer ein. Neben einer Doppelbesteuerung dersel­ben Erträge mit unterschiedlichen nationa­len Digitalsteuern muss zusätzlich beachtet werden, dass diese Digitalsteuern als Son­dersteuern ergänzend zur bestehenden Un­ternehmensbesteuerung konzipiert wurden. Daher ist neben der Mehrfachbelastung in Form einer juristischen Doppelbesteuerung auch die Doppelbesteuerung im wirtschaftli­chen Sinne denkbar. So kann etwa neben der Belastung erwirtschafteter Erträge mit einer Digitalsteuer zusätzlich eine Gewinnbesteue­rung mit Körperschaftsteuer im Sitzstaat des Unternehmens erfolgen. Einige Staaten sehen zwar grundsätz­lich einen Abzug der entrichteten Digitalsteuer von der Bemes­sungsgrundlage der Körperschaftsteuer vor, einem beispielswei­se in Deutschland ansässigen Unternehmen bietet dies jedoch keine Entlastungswirkung. Die in den voranstehenden Ausführungen aufgezeigte Auswahl an Schwächen und Herausforderungen der europäischen Digitalsteuern verdeutlicht die beachtliche Komplexität, die mit einer unilateralen Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle einhergeht. Insbesondere solange die bereits begonnene Reformierung der internationalen Unter­nehmensbesteuerung nicht vollständig umgesetzt sein wird, werden betroffene Unternehmen somit zunehmend auf die ent­sprechende Beratung angewiesen sein, um ihren Compliance-Verpflichtungen nachzukommen.

Multilaterale Konvention

Am 8. Oktober 2021 veröffentlichte das IF eine Erklärung über die Zwei-Säulen-Lösung für die steuerlichen Herausforderungen der Digitalisierung der Wirtschaft. Sie basiert auf einer Neuver­teilung von Besteuerungsrechten und einer globalen Mindestbe­steuerung. Dem Statement haben sich inzwischen 137 der 141 Staaten des IF angeschlossen. Im Zuge dieser multilateralen Konvention sind die beteiligten Staaten seit dem 8. Oktober 2021 verpflichtet, keine neuen nationalen Digitalsteuern mehr einzu­führen und bestehende nationale Digitalsteuern abzuschaffen. Die Abschaffung der bestehenden unilateralen Digitalsteuern soll dabei angemessen koordiniert werden. Bis zum Inkrafttreten der multilateralen Konvention – oder spätestens zum Ende des Übergangszeitraums Ende 2023 – können bestehende unilatera­le Digitalsteuern grundsätzlich weiter erhoben werden. Das IF konstatiert in seiner Erklärung, dass Übergangsregelungen bis zur Einführung von Säule 1 zwischen einzelnen Staaten zügig er­arbeitet werden sollen. Auf das Statement des IF folgend veröf­fentlichten beispielsweise die USA am 21. Oktober 2021 zusam­men mit dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Italien, Spani­en und Österreich eine gemeinsame Erklärung für eine Über­gangsregelung zur koordinierten Transformation ihrer nationalen Digitalsteuern in die neue Weltsteuerordnung. Ge­meinsam wurde sich auf die Einführung eines Anrechnungssys­tems geeinigt, das vereinfacht ausgedrückt die Digitalsteuerlast mit der Körperschaftsteuerbelastung durch die Säule 1 der multilateralen Konvention vergleicht und im Falle einer höheren Digi­talsteuerlast einen Anrechnungsbetrag ge­währt.

Fazit

Das Ende der Digitalsteuern, dies kann zu­sammenfassend gesagt werden, ist mittel­fristig abzusehen. Die erzielte Einigung auf Ebene des IF könnte die internationale Un­ternehmensbesteuerung revolutionieren. Allerdings sind bis zur Implementierung der multilateralen Konvention in nationa­les Steuerrecht noch viele Hürden zu meistern. Demnach muss zumindest kurz- bis mittelfristig mit dem Fortbestand der euro­päischen Digitalsteuern gerechnet werden. Unternehmen, die aufgrund ihrer Geschäftsmodelle aktuell von Digitalsteuern be­troffen sind, müssen sich noch in den kommenden maximal zwei Jahren mit ihren Compliance-Verpflichtungen bezie­hungsweise der Beurteilung einer möglichen Steuerpflicht aus­einandersetzen.

Zu den Autoren

FB
Florentine Bub

Österreichische Steuerberaterin und Partnerin der WTS Steuerberatungsgesellschaft am Standort in München. Sie ist im Bereich International Tax & Permanent Establishments tätig.

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ML
Martin Loibl

Rechtsanwalt und Partner der WTS Steuerberatungsgesellschaft am Standort in München. Er ist tätig im Bereich International Tax & Permanent Establishments.

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FJ
Finn-Lucas Johannsen

Professional bei der WTS Steuerberatungsgesellschaft am Standort in Düsseldorf. Er ist im Bereich International Tax & Permanent Establishments tätig.

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