Erstes halbes Jahr - 25. November 2021

Seitenwechsel

Prof. Dr. Christian Bär hat zum 1. Juli das Amt des Chief Technology Officer von Prof. Dr. Peter Krug übernommen, der seither neuer Chief Markets Officer ist. Im Interview sprechen die beiden Vorstandsmitglieder über Krisenmomente, über die DATEV-DNA und darüber, wie sie gemeinsam die Portfolioentwicklung gestalten wollen.

DATEV magazin: Herr Prof. Dr. Krug, Herr Prof. Dr. Bär, mit Blick auf die vergangenen Monate mussten manche Mitglieder gleich zwei Katastrophen durchleben: Corona und das Hochwasser. Was haben Sie aus dieser Zeit für Ihre neue Tätigkeit mitgenommen?

PETER KRUG: Ich glaube, wir haben in beiden Situationen gezeigt, dass wir sehr schnell und flexibel reagieren können, und uns ein Stück weit wieder besonnen auf das, was wirklich wichtig ist. Nehmen wir das Beispiel Corona: In der Anfangszeit haben wir Tausende Arbeitsplätze mobil für unsere Mitglieder, Kundinnen und Kunden zur Verfügung gestellt, und das über einen ganzen Zeitraum kostenlos, damit diese wieder arbeiten konnten. Gefordert waren wir auch in unserer Kernkompetenz, die gesetzliche Aktualität permanent sicherzustellen. Was vor der Pandemie als selbstverständlich angesehen wurde, nämlich dass DATEV für Sicherheit und für Aktualität steht, wurde mit Corona wieder wahrgenommen. Selten wurde so viel Dankbarkeit von unseren Mitgliedern zurückgespiegelt wie in den letzten Monaten. Und vielleicht haben diese Ereignisse auch dazu geführt, dass man sich wieder eher die Frage stellt, worüber wir manchmal eigentlich streiten und ob es sich wirklich um ein Problem handelt.

CHRISTIAN BÄR: Das kann ich nur unterstreichen. Und ich möchte noch etwas ergänzen. Vor Corona hieß es oft, DATEV kann keine Krise. Wir haben während Corona bewiesen, dass das nicht stimmt. Durch die bundesweite Auswirkung haben die Lieferketten nicht funktioniert und wir haben trotzdem schnell, pragmatisch und bei hoher Qualität liefern können. Und was für mich ein Stück weit die DNA von DATEV ist: Im Krisenfall siehst du tatsächlich den menschlichen Charakter dieser DATEV-Familie. Wenn ich an das Hochwasser denke, war die erste Frage: Wie können wir unseren Mitgliedern helfen? Und wenn danach erst die Frage ist, ob wir das durchgerechnet haben, ist das für mich eine Facette der Genossenschaft. Wenn etwas passiert, dann hilft die Genossenschaft schnell und unbürokratisch.

Nach dem Blick in den Rückspiegel schauen wir jetzt nach vorne: Ein großes Thema ist die Portfolioentwicklung. Können Sie bitte noch einmal kurz die Notwendigkeit dieses Wegs erläutern?

CHRISTIAN BÄR: Wenn wir nach wie vor in hoher Qualität und in der Geschwindigkeit agieren wollen, die der Markt vorgibt und die unsere Mitglieder und Kunden auch fordern, kommen wir an der Portfolioentwicklung nicht vorbei. Die hohe Taktung und die Geschwindigkeit sind in der klassischen On-Premises-Welt schlichtweg nicht mehr machbar. Und auch die Vorteile wie künstliche Intelligenz oder Spracherkennung werden nur in einer Online-Welt funktionieren.

PETER KRUG: IT ist immer geprägt von permanenten Weiterentwicklungen. Wir haben mit dem klassischen Rechenzentrum begonnen, dann kam die PC-Welt. Weiterentwicklung hat das Leistungsniveau für unsere Nutzer erhöht. Im Moment entwickeln wir uns zu einer reinen Online-Welt. Den Schritt dahin gehen wir über ein Hybridszenario. Das heißt, wir erweitern unsere heutigen Produkte erst einmal um Online-Dienste und ergänzen sie dann um Partnerlösungen. Dadurch schaffen wir ein Ökosystem, in dem durch das Zusammenspiel, das Orchestrieren der verschiedenen Lösungen, Mehrwert entsteht. Diesen Mehrwert müssen wir noch viel stärker transportieren, damit unsere Mitglieder und Kunden die Notwendigkeit der Online-Welt nachvollziehen können.

Einige Mitglieder haben vor allem mit Blick auf den Transformationszeitraum Sorgenfalten. Beispiel Lohn: Für einen gewissen Zeitraum werden drei Programme nebeneinander laufen, alle mit unterschiedlichen Funktionalitäten, nämlich LODAS, Lohn und Gehalt sowie Lohn online. Wie möchte DATEV diese hybride Übergangsphase bewältigen?

CHRISTIAN BÄR: Die Zeiten sind vorbei, in denen man ein Produkt wie LODAS auf einen Schlag nachbaut oder neu baut. Software-Entwicklung funktioniert in kleinen Schritten, und deswegen kommen wir auch an der Hybridwelt nicht vorbei. Wir versuchen, die hybride Übergangsphase so kurz wie möglich zu halten. Unser Ziel ist es, möglichst rasch auf dem Funktionsumfang zu sein, sodass viele unserer Kunden ganz umsteigen können. Dabei müssen wir im Auge behalten, wie viele Umstellungen zeitgleich auf den Kunden zukommen.

PETER KRUG: Ich glaube, wir werden differenzieren müssen. In einigen Fällen werden wir von einer Umstellung sprechen, in anderen Fällen ist es eher ein evolutionärer Prozess. Das bedeutet, das Produkt wird durch Online-Services sukzessive erweitert und vielleicht verschwindet der eine oder andere noch on premises existierende Funktionsbaustein durch einen Online-Service. Letztendlich interessiert den Anwender ja nicht, ob es ein On-Premises- oder ein Online-Szenario ist. Also sind im Endeffekt nur die Prozessabläufe und der damit generierte Mehrwert für den Anwender von Interesse. Das bestimmt den Erfolg unserer nächsten Jahre.

CHRISTIAN BÄR: Es ist ja auch nicht neu, sondern seit Jahren gelebte Praxis, die funktioniert. Ich denke da an die SEPA-Mandatsverwaltung. Das war von Anfang an eine reine Online-Anwendung und der Kunde hat gar nicht gemerkt, dass dieser Service aus dem Rechenzentrum kommt. Nehmen wir als weitere Beispiele den DATEV Automatisierungsservice Rechnungen oder DATEV Unternehmen online – hier bewegt sich der Kunde technisch schon in einer Hybridwelt, er erlebt es aber als einen durchgängigen Prozess.

Eine andere Sorge bezieht sich auf die Zeit, wenn alles in der Cloud ist und die Mitglieder komplett vom DATEV-Rechenzentrum abhängig sind. Wie wird das Rechenzentrum weiterentwickelt, um künftigen Ausfällen noch besser vorzubeugen?

CHRISTIAN BÄR: Wir haben bereits heute die entsprechende Infrastruktur. Unser Rechenzentrum ist auf verschiedene Standorte verteilt und gespiegelt. Eine automatische Umschaltung ohne Service-Unterbrechung hilft dabei, dass die Arbeit unserer Kunden bei kleineren Problemen nicht gestört wird. Eine 100-prozentige Sicherheit wird man dennoch nie haben können, wie der RZ-Ausfall im November gezeigt hat.

Ebenfalls ein oft adressiertes Thema ist der Spagat, den DATEV mit 40.000 Mitgliedern zwangsläufig machen muss. Es werden unterschiedliche, teils konträre Anforderungen an DATEV von unterschiedlichen Teilen der Mitgliedschaft gestellt. Wie werden Sie mit diesen unterschiedlichen Interessen und Anforderungen künftig umgehen?

CHRISTIAN BÄR: Wir wollen gemeinsam mit unseren Mitgliedern die Zukunft gestalten und mit ihnen den Weg gehen. Unsere Aufgabe ist es, möglichst gute, zielgerichtete Lösungen zu entwickeln, damit unsere Mitglieder bestmöglich ihre Aufgaben erledigen können. Es ist aber deren Aufgabe, welche Module und Lösungen sie in der Kanzlei einsetzen, hier können wir nur unterstützen. Das heißt, auch zu akzeptieren, dass manche Kanzleien sich auf gar kein neues Modul einlassen. Auch das ist okay, und natürlich werden wir diese Entscheidung unserer Kunden akzeptieren. Was wir niemals hinbekommen werden, ist, es allen recht zu machen. Das hat in der Vergangenheit nicht funktioniert und wird auch in Zukunft nicht funktionieren.

PETER KRUG: Die Kunst besteht darin, diese gefühlte Individualisierung dadurch zu erreichen, dass man die Kombination verschiedener Standardbausteine nutzt. Ich sage aber auch ganz klar: Wer sich nicht mit Digitalisierung auseinandersetzt, wer die Möglichkeiten nicht nutzt, die wir als Genossenschaft bieten, wird sich aus dem Markt katapultieren. Unsere Aufgabe wird es sein, möglichst alle Mitglieder zu beraten, ihnen Wege aufzuzeigen, damit ihnen das nicht passiert.

Sie beide eint unter anderem das Steckenpferd künstliche Intelligenz. In welchen Ihrer jeweiligen Bereiche sehen Sie hier zeitnah umsetzbare Anwendungsszenarien mit Mehrwert für unsere Mitglieder?

CHRISTIAN BÄR: Künstliche Intelligenz geht nicht immer einher mit großen Big-Bang-Effekten, sodass ich als Anwender gar nichts mehr tun muss. KI hat vielmehr damit zu tun, ganz viele der kleinen Stolperfallen zu eliminieren, die alle für sich keinen enormen Zusatzaufwand bedeuten, in Summe aber spürbar sind. Oft wird von KI erwartet, dass sie mein Problem erkennt, löst und auch noch umsetzt. Was vergessen wird: KI kann auch dazu führen, von 30 zu erfassenden Feldern 20 vorzubelegen und somit wertvolle Bearbeitungszeit einzusparen.

PETER KRUG: Die Zukunft liegt in datengetriebenen Geschäftsmodellen. KI ohne Daten ist wie ein Schwimmbad ohne Wasser, wie es so schön heißt. Den Datenschatz, den wir haben, auszuwerten, verfügbar zu machen und damit Mehrwert für unsere Mitglieder und deren Mandanten zu generieren – das ist die Zielsetzung. Das funktioniert nur in einer Online-Welt, womit sich der Kreis wieder schließt. Und da sprechen wir übrigens nicht nur von der Software-Entwicklung, sondern zum Beispiel auch vom Service. Wie kann ich Standardfragen leichter als solche identifizieren und qualitativ bessere Antworten liefern, ohne dass ein Mensch zwischengeschaltet werden muss? Unsere strategische Ausrichtung im Service geht dahin, dass Standardanfragen möglichst im 1:n-Service durch Hilfedokumente, Chatbots oder auch Lernvideos beantwortet werden, sodass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei zunehmender Anzahl an komplexen Fällen bestmöglich unterstützen können.

Innovation und Datenschutz werden oft als Gegensatz beschrieben. Wie sehen Sie das?

CHRISTIAN BÄR: Datenschutz und der Umgang mit sensiblen Daten ist und bleibt der Kern von DATEV. Die Innovation, die wir dabei leisten können, liegt darin, den Datenschutz so nutzbar zu machen, dass er den Kunden möglichst wenig behindert und Mehrwert generiert werden kann. Wer die schnellsten und pfiffigsten Lösungen findet, wird sehr innovativ unterwegs sein. Wir können dabei nicht immer Komplexität verhindern, aber sie beherrschbar machen. PETER KRUG: Gerade in Verbindung mit künstlicher Intelligenz ist Datenschutz ein Vertrauensthema. Das ist eine Chance für uns. Wir stehen für Vertrauen beim Thema Daten. Also wer, wenn nicht wir, kann hier vorangehen, um unsere Mitglieder und deren Mandanten im Alltag zu unterstützen? Zudem haben wir mit der Genossenschaft die ideale Rechtsform für dieses Thema, weil wir gemeinsam mit unseren Mitgliedern daran arbeiten können, ohne dabei den Datenschutz als unser höchstes Gut seit unserer Gründung zu vernachlässigen. Inwieweit andere Anbieter diese Sicherheit im Umgang mit den Daten ihrer Kundinnen und Kunden gewährleisten, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Zu den Autoren

Birgit Schnee

Redaktion DATEV magazin

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