Reform der Grundsteuer - 20. April 2021

Der Hamburger Weg

Der Senat der Hansestadt hat am 16. März 2021 einen Gesetzentwurf zur neuen Hamburger Grundsteuer – Einfachmodell mit Berücksichtigung der Wohnlage – beschlossen und der Bürgerschaft zur weiteren Beratung vorgelegt.

Der Hamburger Senat rechtfertigt auf Seite 7 des einfachen Gesetzentwurfs sein sogenanntes Wohnlagemodell mit Hinweis auf § 42 Grundsteuergesetz (GrStG), mithin auf eine gesetzliche Norm, die in den neuen Bundesländern bereits seit rund 30 Jahren geltendes Recht ist. Der Senat schließt sich damit grundsätzlich einem Lösungsvorschlag auf Basis des § 42 GrStG an – vergleiche hierzu auch die Beiträge im DATEV magazin 07/2019, Heilen oder Beerdigen, und 02/2021, Eine Fülle harter Nüsse sowie das Interview Noch ist Zeit zur Korrektur vom 07.04.2020. Als Belastungsgrund für die Besteuerung ist die Äquivalenz vorgesehen, da im Gesetzentwurf der Hansestadt beziehungsweise in der Erläuterung des Wohnlagemodells wiederholt auch vom Äquivalenzprinzip gesprochen wird. Somit unterscheidet sich der Hamburger Weg positiv vom Bundesmodell, dessen Belastungsentscheidung sowie deren Ausgestaltungen vom Senat der Hansestadt richtigerweise als verfassungsrechtlich bedenklich bezeichnet werden.

Äquivalenzprinzip

Denn bei Festsetzung der Grundsteuer sowie zu deren Rechtfertigung darf nur das Äquivalenzprinzip herangezogen werden. Gemäß Arndt Schmehl, „Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung“ (siehe dort Seite 8 mit weiteren Nachweisen) besteht eine weitgehend übereinstimmende finanzwissenschaftliche Vorstellung darüber, welche Grundelemente eine normative Aussage ermöglichen, was als Äquivalenzprinzip zu bezeichnen ist. Demnach besagt das Äquivalenzprinzip, dass die Leistung des Bürgers mit der Gegenleistung des Staats übereinstimmen soll. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) führt in diesem Zusammenhang bezüglich der Realsteuern im Urteil vom 27.05.1992, 2 BvF 1, 2/88, 1/89 und 1/90 (siehe dazu auch BFH-Urteil vom 19.07.2006, II R 81/05) ganz konkret aus:

Die Realsteuern belasten als Objektsteuern die in der Gemeinde belegenen Grundstücke [Grundsteuer] und Gewerbebetriebe [Gewerbesteuer] … Das Steueraufkommen und die durch die Steuerobjekte verursachten Lasten [Kosten] sind eng miteinander verknüpft. Diese örtlich radizierbare Verknüpfung…“

Wie der Hamburger Senat auf Seite 8 seines Gesetzentwurfs bestätigt, ist ihm diese Rechtsprechung sehr wohl bekannt. Denn er führt dort aus, dass bei einer Steuer, die an den Grundbesitz anknüpft, ein enger Zusammenhang zwischen den öffentlichen Leistungen der Freien und Hansestadt Hamburg sowie dem Steueraufkommen besteht; das heißt bestehen muss.  Damit steht zweifelsfrei fest, dass Grundsteuer-Festsetzungen nur dadurch gerechtfertigt sind, wenn die Grundsteuereinnahmen beziehungsweise das Grundsteueraufkommen und die durch die Grundstücke verursachten Kosten sich in etwa in gleicher Höhe gegenüberstehen. Die hierfür erforderlichen Ermittlungen sind mit den heutigen buchhalterischen Möglichkeiten leicht durchzuführen. Und für etwaige Überschneidungen im Kostenbereich wären natürlich auch aufteilende Pauschalierungen weitgehend problemlos denkbar. Hinsichtlich der Höhe der verursachenden Kosten führt der Hamburger Senat nichts aus. Lediglich in punkto der dem Grunde nach Kosten verursachenden öffentlichen Leistungen werden beispielsweise

  • Schulen
  • Brandschutz
  • Räumungsdienste
  • Kinderbetreuung und Spielplätze
  • Wirtschaftsförderung und
  • Kulturelle Einrichtungen genannt.

Grundstücksbezogenheit entscheidend

Eine Beziehung zum Grundstück ist erforderlich wegen der Eigenschaft der Grundsteuer als öffentlicher Last (siehe Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.05.1981 – V ZR 69/80). Mit anderen Worten: Nur grundstücksbezogene, öffentliche kommunale Leistungen unterliegen dem Bereich der Grundsteuer. Keineswegs dagegen personenbezogene. Das sieht das BVerfG in der oben angeführten Entscheidung auch so: „Das Steueraufkommen (Grundsteuer) und die durch die Steuerobjekte (Grundstücke) verursachten Lasten (Kosten) sind eng miteinander verknüpft.“ Deshalb muss hier gelten: Nur grundstücksbezogene, öffentliche kommunale Leistungen unterliegen dem Bereich der Grundsteuer.

Keinesfalls dagegen personenbezogene. Damit sind nur die vom Hamburger Senat aufgeführten Kosten für Brandschutz und Räumungsdienste als grundstücksbezogen zu bewerten.

Widersprüche

Folgerichtig wird im Hamburger Gesetzentwurf auf Seite 8 dazu ausgeführt: „Dabei ist die Grundsteuer ihrem Wesen entsprechend eine Objektsteuer, die ohne Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und der subjektiven Leistungsfähigkeit des Steuerschuldners am Grundbesitz anknüpft.“ Personenbezogene, subjektiv verursachte Kosten dürfen daher nicht zur Rechtfertigung der Festsetzung bei der Grundsteuer herangezogen werden. Für die Festsetzung der Grundsteuer ist damit auch absolut unerheblich, ob in einem Haus – dem Objekt – zehn Personen wohnen oder lediglich eine Person oder ob aus einem Haus zehn Personen Schulen oder Kindergärten besuchen oder gar keine. Selbst Leerstand beendet nicht die Steuerpflicht beziehungsweise die Grundsteuerbelastung. Daraus folgt dann, dass die Festsetzung der Grundsteuer (Objektsteuer) nicht mit etwaigen Kosten für die soziale, personenbezogene Infrastruktur (Schulen, Kindergärten usw.) – hierfür ist ein Anteil an der Personensteuer „Einkommensteuer“ vorgesehen – gerechtfertigt werden kann. Im Übrigen sind Schulen Ländersache. Und wenn für Schulen und Kindergärten Beitragsfreiheit besteht, so hat dies ausschließlich soziale, personenbezogene Gründe und kann ebenfalls keine Beziehung zu den Grundstücken begründen. Dem Hamburger Senat ist dies zwar offensichtlich bewusst, denn ansonsten würde er sich auf Seite 9 seines Gesetzentwurfs nicht so widersprüchlich verbiegen und eindeutig personenbezogene Leistungen mit Häkchen versehen und verdreht wie folgt als gebäudebezogen umzudeuten: Öffentliche Leistungen werden primär „gebäudebezogen“, d.h. von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen in Anspruch genommen. Im Zusammenhang mit den Gesamtkosten für Schulen sei noch auf den Beschluss des Reichsfinanzhofs vom 29.11.1926 (Großer Senat 4/26) hingewiesen, wonach das Schulgeld, das für den Besuch höherer öffentlicher Schulen festgesetzt worden war, nach dem steuerpflichtigen Einkommen der Pflichtigen abgestuft wurde und eben keine Steuer gewesen ist (siehe hierzu Benutzungsgebühren in Tipke/Kruse, Tz. 23 zu § 3 AO). Mit Blick auf den aktuellen Zustand der staatlichen Schulen verwundert es auch nicht, dass rund 1 Million Schüler hierzulande Privatschulen besuchen und die Eltern bereit sind, auch mehr als 5.000 Euro pro Schuljahr zu bezahlen. Derartige Privatschulen rechnen aufgrund der Corona-Pandemie mit weiterem Zulauf.

Folgerichtigkeit, Transparenz sowie Akzeptanz

Als Ziel seines Wohnlagemodells gibt der Hamburger Senat unter anderem „folgerichtige Belastungsentscheidungen“ sowie „Akzeptanz“ an. Nach Prof. Dr. Jahndorf (Folgerichtigkeit im Steuerrecht als Verfassungsgebot, StuW 3/2016, Seite 263, mit weiteren Nachweisen) ist der Grundsatz der Folgerichtigkeit kein freischwebendes Verfassungsgebot, sondern Bestandteil einer Grundrechtsprüfung. Er ist inhaltlich ein rationales Argumentationsmuster, dem ein Verfassungsrang zugesprochen wurde. Eine weitere inhaltliche Anforderung ist eng mit dem Transparenzgebot verknüpft. Dieses fordert die Sichtbarkeit einer folgerichtigen Ausgestaltung im Gesetzgebungsverfahren sowie im Gesetzestext. Auch dieses Verfassungsgebot ist nur dadurch zu erreichen, dass die Kosten, welche die Grundstücke zu Lasten der Kommunen verursachen, zunächst ermittelt werden und danach die Grundsteuerbelastung den einzelnen Grundstücken und wirtschaftlichen Einheiten zugeordnet wird.

Nichts anderes gilt auch hinsichtlich der Akzeptanz seitens der Bürger. Die Steuerreformkommission aus dem Jahr 1971 (vgl. Gutachten in Heft 17 der Schriftenreihe des BMF S. 713 ff.) führte dazu aus: „Die Grundsteuer ist infolgedessen geeignet, das Interesse der Gemeindeeinwohner an der kommunalen Selbstverwaltung zu verstärken. Die Gemeindeeinwohner werden dementsprechend auf ein sparsames Finanzgebaren ihrer Gemeinde achten, vor allem, wenn sie genötigt sind, über entsprechend erhöhte Hebesätze zur Finanzierung kommunaler Vorhaben beizutragen.“ Darauf achten können die Bürger aber nur dann, wenn eben die Kosten, welche die Grundstücke zu Lasten der Kommune verursachen, ermittelt und vorgelegt werden. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang aber, dass mir persönlich eine Gemeinde in Niedersachsen über deren externen Rechtsvertreter im Januar 2021 mitteilen ließ: „Im Übrigen haben Sie keinen gesetzlichen Auskunftsanspruch gegen die Gemeinde. Weder das Grundsteuergesetz noch die Abgabenordnung noch das Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz sehen einen solchen Auskunftsanspruch des Steuerschuldners gegen die Gemeinde vor.“    

Parallelen/Unterschiede zu Bayern

Aus der Öffnungsklausel in Artikel 72 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) – letztlich durchgesetzt vom Bundesland Bayern – ergibt sich die Möglichkeit für Hamburg, einen eigenen Weg zu gehen. Da keine Grenzen für Art und Umfang gesetzt wurden, sind somit gesetzliche Regelungen für den Stadtstaat Hamburg möglich, die vollständig vom Bundesrecht abweichen. Die neue Hamburger Grundsteuer soll im Übrigen im Verbund mit Bayern realisiert werden; ein behördenübergreifendes Umsetzungsprojekt mit Informationskampagne wird aktuell vorbereitet. Die Zusammenarbeit mit Bayern ist auch deshalb möglich, weil die Gesetzentwürfe beziehungsweise die Erläuterungen in nicht unerheblichem Umfang wortgleich sind und auch Bayern mit Äquivalenzzahlen und Äquivalenzbeträgen bezüglich der Grundstücke und wirtschaftlichen Einheiten arbeitet.  Auch  im bayerischen Gesetzentwurf wird übrigens mehrfach das Äquivalenzprinzip angeführt. In diesem Zusammenhang ist jedoch die Aussage, dass „hinsichtlich des Hebesatzes keine Begrenzungen in der Höhe bestehen“, nicht haltbar. Die Grundsteuer A soll in beiden Ländern beibehalten werden, während die Grundsteuer C lediglich in Hamburg beabsichtigt ist. Nur in Bayern soll insbesondere (1. Alternative) für Gemeinden ab 5.000 Einwohnern die Möglichkeit eröffnet werden, in deren Gemeindegebiet eine angemessene Anzahl von Hebesatzgebieten auszuweisen, die aus den örtlichen Gegebenheiten zu entwickeln sind, um für diese jeweils gesonderte Hebesätze festsetzen zu können.  

Grundsteuer A und C

In Anbetracht dessen, dass der Grundsteuerhebesatz für land- und forstwirtschaftliches Vermögen in Hamburg bereits seit längerer Zeit bei lediglich 225 Prozent verharrt, sollte die Grundsteuer A abgeschafft werden, da das geringe Steueraufkommen die Befolgungs- und Erhebungskosten nicht rechtfertigt. Schließlich ist die Abschaffung der Grundsteuer A auch ohnehin schon möglich, wie bereits in der Fachliteratur dargelegt wurde. Und bezüglich der Grundsteuer C ist zweifelhaft, ob damit die intendierten Lenkungsziele erreicht werden. Sehr bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass in Tübingen ein Baugebot verhängt wurde – und dies ist ja eigentlich anstatt der Grundsteuer C auch der richtige Weg.  

Fazit 

Das wertunabhängige Hamburger Wohnlagemodell ist selbstverständlich nicht so negativ zu bewerten wie das Bundesmodell. Gleichwohl kann es so aber noch nicht dem Äquivalenzprinzip und auch nicht der Folgerichtigkeit genügen. Im Übrigen darf das Wohnlagemodell auch nicht als Grundlage, sondern lediglich als Verteilungsmaßstab für eine Grundsteuer verwendet werden, deren Gesamthöhe, ausgehend vom Belastungsgrund – mithin von den von den Grundstücken verursachten Kosten – bereits vorab ermittelt wurde.

Zum Autor

HW
Hartmut Wipper

Steuerberater in eigener Kanzlei in Sassenburg (Niedersachsen)

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