Künstliche Intelligenz bei DATEV - 25. Februar 2021

Auftrag für die Zukunft

In einem faszinierenden technologischen Bereich geht es nicht nur darum, Verfahren zu implementieren. Vielmehr muss sich die Genossenschaft daran ausrichten, dieses spannende Thema über die nächsten Jahrzehnte weiter voranzutreiben. Ein Interview mit DATEV-CTO Prof. Dr. Peter Krug.

DATEV magazin: Herr Prof. Dr. Krug, der Begriff der künstlichen Intelligenz – kurz KI – ist gegenwärtig in aller Munde. Wie definieren Sie, wie definiert DATEV KI?

PROF. DR. KRUG: Wenn wir heute von KI sprechen, meinen wir das, was man wissenschaftlich als schwache KI bezeichnet, nämlich Mustererkennungsprozesse mit bedingten Wahrscheinlichkeiten. Abhängig von diesen Wahrscheinlichkeiten werden entweder nur Muster in vorgegebenen Bildern oder Daten erkannt oder abhängig von den erkannten Mustern Aktionen ausgelöst. Eine starke KI wäre tatsächlich das Nachempfinden des menschlichen Gehirns mit all seinen Fähigkeiten – auch der Emotionalität. Diese Art der KI wird es aber nach Ansicht aller Experten frühestens in 30 bis 50 Jahren geben.

Sie haben eine langjährige Verbindung zur KI. Können Sie diese bitte kurz skizzieren?

Das Thema verfolgt und fasziniert mich seit meiner Studienzeit. Im Rahmen meiner Promotion habe ich mich mit finanzwirtschaftlichen Expertensystemen beschäftigt, die bei DATEV Ende der 1980er-Jahre auch produktiv eingesetzt wurden. Seither hat sich aber der Bereich enorm weiterentwickelt. Insbesondere die Verarbeitungsmöglichkeiten moderner Hardware lassen nunmehr weitaus komplexere Anwendungsbereiche, wie etwa die Bild- und Spracherkennung, zu. Aufgrund meiner langjährigen Berührungspunkte mit diesem Thema ist mir stets eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen der Technologie wichtig. Denn es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass aus einer Euphorie um KI aufgrund der zu hohen Erwartungen eine Depression wird. Weder eine Idealisierung noch eine überzogene Skepsis in Bezug auf diese Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts ist für uns als DATEV oder als Gesellschaft zielführend.

Wo kann die Anwendung von Methoden der künstlichen Intelligenz einen Mehrwert für unsere Mitglieder und Kunden schaffen?

Zunächst ist wichtig zu wissen, dass die Begriffe Big Data Analytics und KI oft gemeinsam vorkommen, aber als zwei verschiedene Werkzeuge beziehungsweise Methoden zusammen ihren größten Nutzen entfalten. KI ohne Daten ist wie ein Schwimmbad ohne Wasser. Umgekehrt bedeutet es, je mehr Daten Sie haben, desto mehr Anwendungsgebiete erschließen sich durch KI. Die möglichen Anwendungsbereiche sind vielfältig und reichen von der Verbesserung bestehender Programme bis hin zu eigenen neuen Produkten. So unterstützen zum Beispiel die neuen Automatisierungsservices Rechnungswesen durch die Nutzung umfangreicher Datensätze bei der Durchführung der Finanzbuchführung; der erste verfügbare Automatisierungsservice Rechnungen generiert für ausgewählte Buchungsvorfälle auf der Basis von digitalen Rechnungen automatisiert Buchungen. Dabei werden auf der Grundlage früherer Buchungen KI-Modelle trainiert, die auf neue Belege angewendet werden. Die automatische Belegbearbeitung soll aber erst der Anfang sein.

Welche weiteren Produkte oder Anwendungen plant DATEV?

Wir als DATEV sind uns der Notwendigkeit bewusst, dass unsere Mitglieder ihren Mandanten eine datenbasierte Beratung zukommen lassen wollen. Neben individuellen Auswertungen bieten wir mit DATEV Personal-Benchmark online ein Werkzeug für die Gehaltsberatung der Unternehmensmandate an. Wir nutzen hierfür – natürlich unter Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen Vorgaben – den umfangreichen Bestand an Lohnabrechnungen, um unseren Mitgliedern Vergleichsdaten für Beschäftigte zur Verfügung zu stellen. KI-Anwendungen unterstützen heute bereits bei Serviceanfragen zu den Produkten. Der intelligente Servicekontakt und Chat Bots sind Beispiele dafür. Intelligente Datenanalysen können zudem auch das Produkterlebnis bestehender Anwendungen spürbar verbessern. Beispielsweise nutzen wir im Rahmen der Programmstatistik Anwenderdaten, um herauszuarbeiten, welche Funktionen wie intensiv genutzt werden. Das leistet einen erheblichen Beitrag dazu, unsere Anwendungen intuitiver und einfacher zu gestalten. Schließlich ermöglicht die KI-Unterstützung im Rahmen von Informationsdatenbanken eine effizientere Suche, indem trotz einfacher Tippfehler die gewünschten Dokumente angezeigt werden.

Ein Engagement im Bereich KI ist mit erheblichen Investitionen verbunden. Wie stellt DATEV sicher, dass sich diese als wirtschaftlich erweisen?

Natürlich handelt es sich bei Entwicklungen, die stark auf den Einsatz von KI ausgerichtet sind, um komplexe und riskante Vorhaben, weil technisch, rechtlich und auch hinsichtlich der Akzeptanz der Kunden Neuland betreten wird. Dabei werden aber von Seiten DATEV verschiedenste Maßnahmen getroffen, um Misserfolge möglichst zu vermeiden. Einerseits legen wir ein Augenmerk darauf, dass wir hinsichtlich des Einsatzes der Technologie mit verschiedensten Akteuren im Austausch sind. Eine enge Kooperation mit Hochschulen und Forschungsnetzwerken hilft uns dabei, stets den aktuellen Stand der Wissenschaft zu berücksichtigen. Zudem versuchen wir permanent, die klügsten Köpfe in diesem Bereich zu rekrutieren. Darüber hinaus setzen wir auf einen zügigen Kundeneinbezug, um Akzeptanz des Kunden zu gewährleisten. Denn wenn unsere Produkte nicht hinreichend verständlich und die Ergebnisse erklärbar sind, wird kein vertrauensvolles Arbeiten mit der KI-unterstützten Software stattfinden können.

Der Begriff der künstlichen Intelligenz ist nicht immer positiv besetzt. Zum Teil wird sogar der Verlust von Arbeitsplätzen prognostiziert, wenn eine Vielzahl von Tätigkeiten durch die Automatisierung überflüssig wird. Wie sehen Sie das?

In der Vergangenheit haben sich immer schon Tätigkeiten in verschiedenen Aufgabengebieten verändert. Die Älteren unter uns werden sich an DESY und NESY zum Erfassen von Buchhaltungen erinnern, bevor Kanzlei-Rechnungswesen auf den Markt kam. Plötzlich stand nicht mehr die schnelle Massendatenerfassung vorkontierter Belege im Mittelpunkt, sondern das Dialogbuchen mit anderen Anforderungen an die jeweiligen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter. Mit den Automatisierungsservices im Rechnungswesen passiert die nächste Veränderung. Stupides Einklopfen von Rechnungen und den Ausgleich der Zahlungen übernimmt das System, und Sachbearbeiter gewinnen diese Zeit für anspruchsvollere Buchungssachverhalte oder weitere Mandanten. Gerade in Zeiten fehlender Arbeitskräfte in den Steuerberatungskanzleien wird das für viele Mitglieder erst einmal zu einer Entlastung führen. Natürlich können wir nicht voraussagen, welche Potenziale in der Anwendung künstlicher Intelligenz in zehn, 20 oder 50 Jahren stecken. Persönlich glaube ich aber nicht an Szenarien wie Massenarbeitslosigkeit oder den Wegfall ganzer Berufsgruppen.

Wie begründen Sie diese Hoffnung?

Hier möchte ich gerne den steuerberatenden Berufsstand als Beispiel heranziehen. Denn gerade das vergangene Jahr hat gezeigt, wie facettenreich die Tätigkeiten sind und welcher organisatorische Aufwand daraus resultieren kann. Persönliche Beratung sowie eine vorausschauende Planung werden auf lange Sicht in den Aufgabenbereich des steuerlichen Beraters fallen.

Unsere Mitglieder sehen aber die Gefahr, dass Honorare aus der Buchhaltung beziehungsweise Lohnabrechnung infolge der Automatisierung entfallen. Wie ist Ihre Meinung hierzu?

Aufgrund des gestiegenen Beratungsbedarfs sehe ich für unsere Mitglieder eher positiv in die Zukunft. Hinsichtlich möglicher Honorarverluste durch die Automatisierung möchte ich die Situation mit der Einführung von Robotern bei der Automobilproduktion vergleichen. Der weitgehende Wegfall manueller Tätigkeit führte hier nicht zu einem Preisverfall bei den Autos, weil die Art der Produktion die Kaufbereitschaft der Konsumenten aufgrund gleichzeitig steigender Qualität und größerem Produktumfang nicht negativ beeinflusste. Dem Käufer eines Autos ist es letztendlich egal, ob sein hochwertiges Fahrzeug durch Menschen oder teure Roboter produziert wird. Kein Autokäufer würde so argumentieren: „Weil du dein Auto mit Robotern fertigst, müsste es doch deutlich billiger sein.“ Auch Automatisierungsservices sind nicht kostenlos, und die Entscheidung Mensch oder Maschine kann jede Kanzlei für sich selbst treffen – wenn sie denn die Menschen bekommt. Darüber hinaus wird auch bei der Bearbeitung der monatlichen Buchhaltung weiterhin manuelle Arbeit erforderlich sein, weil eine vollständige steuerliche Einordnung von Sachverhalten durch die bloße Verarbeitung von Belegen nicht immer möglich ist.

Sie haben also mit Blick auf die künftige technologische Entwicklung gar keine Bedenken?

Doch, aber ich sehe eher die Gefahr für den Berufsstand der steuerlichen Berater, aber auch für unsere Gesellschaft, dass wir uns mit diesen Themen nicht ausreichend intensiv beschäftigen. Gerade daraus könnte eine noch stärkere Abhängigkeit von den großen Internetkonzernen resultieren als bisher und dies den Wohlstand in Europa gefährden. Darüber hinaus ist sicher, dass sich die digitale Welt weiter verändern wird. Dies wird DATEV, dem steuerlichen Berufsstand, den Mitarbeitern in den Kanzleien und auch den Mandanten der Berater eine große Anpassungsfähigkeit abfordern. Ich bin mir aber sicher, dass wir diese Herausforderung mit unserem genossenschaftlichen Ansatz gemeinsam erfolgreich meistern werden.

Die künstliche Intelligenz ist für Sie also mehr eine Chance als ein Risiko?

Absolut. Die Berücksichtigung aller steuerlichen Besonderheiten wird immer aufwendiger. Ein Paradebeispiel hierfür ist das geltende Umsatzsteuerrecht. Aus der früher belächelten Buchhaltersteuer erwächst nunmehr insbesondere bei grenzüberschreitenden digitalen Geschäftsmodellen eine kaum mehr zu bewältigende Komplexität, die sich zudem dynamisch ändert. Infolgedessen glaube ich eher daran, dass wir auf KI-gestützte Methoden angewiesen sind, weil vor dem Hintergrund des akuten Fachkräftemangels eine manuelle Abarbeitung aller Sachverhalte nicht mehr möglich sein wird. Es wird sich daher die Tätigkeit von einfachen repetitiven hin zu komplexen Aufgaben weiterentwickeln.

Glauben Sie, dass sich DATEV bei diesem Trend wegen der strengen datenschutz- und berufsrechtlichen Anforderungen überhaupt beteiligen kann?

Ja, und gerade deshalb. Natürlich ist die Prüfung rechtlicher Fragestellungen im Rahmen der Entwicklung derartiger Angebote für uns eine Herausforderung und bindet entsprechend Ressourcen. Aber dies ist zwingend notwendig, um die datenschutz- und berufsrechtlichen Besonderheiten unserer Mitglieder uneingeschränkt zu erfüllen. Darüber hinaus bieten die hohen Standards auch eine große Chance, bei diesem Thema Akzeptanz zu erreichen. Aufgrund verschiedener Datenskandale ist der Begriff Big Data regelmäßig negativ vorbelegt. Gerade hier können wir als DATEV mit unserer besonderen Vertrauensstellung die Vorteile von KI und Big Data nutzen, ohne dass vertrauliche Informationen an Außenstehende geraten oder aus Profitstreben genutzt werden. Hier zeigt sich wiederum der Vorteil unserer Organisationsform als Genossenschaft. Denn gerade unsere Transparenz sowie die Möglichkeit der Mitbestimmung unserer Mitglieder schaffen das notwendige Vertrauen, die Daten der Kanzleien im Kreis der Mitglieder zur Verfügung zu stellen und auf diese Weise gemeinsam davon zu profitieren.

Wie lautet Ihr persönliches Fazit, verbunden mit einem kurzen Ausblick in die Zukunft?

Mir ist wichtig zu betonen, dass die Themen Daten und KI eine erhebliche Komplexität aufweisen. Es geht nicht nur darum, ein Verfahren zu implementieren. Vielmehr muss sich die gesamte Unternehmensorganisation daran ausrichten, datengetriebene Geschäftsmodelle zu identifizieren. Ferner sind Algorithmen zu entwickeln, die Daten mit Methoden wie Anonymisierung und Pseudonymisierung umfassend und rechtssicher verarbeiten und betriebswirtschaftlich zielführend auswerten, um sie dann benutzerfreundlich zur Verfügung zu stellen. Wir werden hier weiterhin Erfolge und Misserfolge erleben und das Thema über Jahrzehnte hinweg vorantreiben müssen. Wir werden dafür sorgen, dass dies beharrlich und konsequent erfolgt. Ein Treiber dafür wird stets meine eigene Faszination für dieses hochspannende Themengebiet sein.

Zu den Autoren

TG
Thomas Günther

Redaktion DATEV magazin

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Robert Brütting

Rechtsanwalt in Nürnberg und Fachjournalist Recht sowie Redakteur beim DATEV magazin

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