FG Münster, Mitteilung vom 17.07.2023 zu den Urteilen 8 K 259/21 G,F; 8 K 280/21 E,G; 8 K 328/21 E und 8 K 666/21 E,G vom 20.04.2023 (nrkr - BFH-Az.: VI R 10/23, VI R 11/23, VI R 8/23 und VI R 9/23)
Mit insgesamt vier Urteilen vom 20. April 2023 (Az. 8 K 259/21 G,F; 8 K 280/21 E,G; 8 K 328/21 E und 8 K 666/21 E,G) hat der 8. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass ein Landwirt keinen gewerblichen Grundstückshandel begründet, wenn die Kommune das Erschließungsunternehmen beauftragt und sich der Landwirt diesem gegenüber zur Übernahme der anfallenden Erschließungskosten verpflichtet.
Die Kläger der jeweiligen Verfahren erzielten Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Der land- und forstwirtschaftliche Betrieb umfasste jeweils Grundstücksflächen, die innerhalb eines von der örtlichen Kommune neu ausgewiesenen Bebauungsplangebiets lagen. Die Erschließung der jeweiligen Baugebiete erfolgte dadurch, dass die Kommune die Durchführung der Erschließung an einen privaten Erschließungsträger im eigenen Namen und auf eigene Rechnung übertrug. Der Erschließungsträger wiederum schloss mit den Klägern jeweils Verträge darüber ab, die die vollständige Übernahme der auf Seiten des Erschließungsträgers anfallenden Erschließungskosten (nebst der Gestellung von Sicherheiten) regelten.
Die Kläger veräußerten bzw. tauschten die Baugrundstücke, wobei die Erschließungskosten in den Gesamtkaufpreisen enthalten bzw. in den Tauschverträgen bei der Wertbestimmung berücksichtigt worden waren. Die daraus resultierenden Gewinne erfassten die Kläger im Rahmen der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft und bildeten (anteilig) Rücklagen nach § 6b EStG.
Das Finanzamt vertrat jeweils die Auffassung, dass die Erschließungen den Klägern aufgrund der Gewährleistung der finanziellen Abwicklung als aktive Tätigkeiten zuzurechnen seien. Die Grundstücksveräußerungen seien daher im Rahmen eines gewerblichen Grundstückshandels erfolgt, sodass die Gewinne nicht reinvestitionsbegünstigt seien und der Gewerbesteuer unterlägen.
Der 8. Senat hat allen vier Klagen stattgegeben. Die Veräußerung von Grund und Boden, der zum Anlagevermögen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes gehöre, sei grundsätzlich als Hilfsgeschäft der Land- und Forstwirtschaft einzuordnen. Ein gewerblicher Grundstückshandel werde erst dann eröffnet, wenn der Landwirt Aktivitäten entfalte, die auf die Schaffung einer anderen Marktgängigkeit des Grundbesitzes gerichtet seien. Dies sei bei der aktiven Mitwirkung an der Erschließung der Fall, jedoch nicht, wenn der Landwirt bloß die Erschließungskosten übernehme. Bediene er sich zur Erschließung eines Dritten, der Geschäfte dieser Art gewerblich betreibe, sei ihm dies als aktive Tätigkeit zuzurechnen. Keine Zurechnung erfolge hingegen, wenn der Dritte die Erschließung und Grundstücksvermarktung auf eigene Initiative und eigenes Risiko durchführe, sich der Landwirt also darauf beschränke, die gewerbliche Tätigkeit des Dritten zu ermöglichen.
Ausgehend von diesen Grundsätzen sei die Grenze zum gewerblichen Grundstückshandel jeweils nicht überschritten worden. Die Erschließung sei den Klägern nicht zuzurechnen, da die jeweilige Kommune die Durchführung der Erschließungsmaßnahmen durch einen eigenständigen Erschließungsvertrag beauftragt habe. Die Rechtsbeziehung zwischen dem Erschließungsträger und dem Grundstückseigentümer sei davon zu unterscheiden. Zwar bestehe eine „Akzessorietät“ zwischen dem Erschließungsvertrag und der Kostenvereinbarung. Diese führe jedoch nicht dazu, dass der jeweilige Kläger das gesamte wirtschaftliche Risiko der Erschließung übernommen habe. So seien die Risiken aus einer etwaigen Inanspruchnahme bei Sachmängelgewährleistungsansprüchen der Kommune sowie aus der für den Zeitraum der Erschließungsarbeiten vertraglich vereinbarten Übernahme der Verkehrssicherungspflichten beim Erschließungsträger verblieben.
Dass die Kläger – anders als im Urteilsfall des Bundesfinanzhofs vom 8. November 2007 (Az. IV R 35/06) – in ihrer Verfügungsmöglichkeit über die Grundstücke nicht eingeschränkt gewesen seien, rechtfertige kein anderes Ergebnis. Insbesondere könne es keinen Unterschied machen, ob die Kommune die Erschließung selbst übernehme, entsprechende Unternehmen beauftrage und den Steuerpflichtigen durch Erhebung eines Erschließungsbeitrags nach §§ 127 ff. BauGB zur Kostentragung heranziehe oder ob die Kommune einen Erschließungsträger zur Herstellung der Erschließung im Namen und auf Kosten des Erschließungsträgers beauftrage und der Erschließungsträger sich deshalb durch privatrechtlichen Vertrag beim Steuerpflichtigen refinanziere. Die bloße Kostenübernahme sei stets unschädlich.
Die vom Senat zugelassenen Revisionen werden beim Bundesfinanzhof unter den Aktenzeichen VI R 10/23, VI R 11/23, VI R 8/23 und VI R 9/23 geführt.
Quelle: Finanzgericht Münster, Newsletter Juli 2023