Unter uns - 25. Mai 2023

Stufenweise auf 32 Stunden

Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Torsten Genrich und Torsten Werner gehen bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiten ganz neue Wege.

Es gibt Ideen, die auf den ersten Blick revolutionär anmuten, die aber bei genauer Durchdringung und akribischer Planung nicht nur tatsächlich funktionieren, sondern geradezu Modellcharakter erlangen können. Die Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Torsten Genrich und Torsten Werner betreiben in Bünde im nordöstlichen Nordrhein-Westfalen gemeinsam eine erfolgreiche mittelständische Kanzlei mit zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und gehen bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiten ganz neue Wege.

Profiteure der Digitalisierung

Am Anfang stand eine Erkenntnis: „Wir sind“, sagt Torsten Genrich, „Profiteure der Digitalisierung. Sie vereinfacht und beschleunigt unsere Geschäftsvorfälle, steigert die Effizienz unserer Arbeit und damit die Wertschöpfung pro Zeiteinheit.“ Dieser Zugewinn schafft freie Kapazitäten, und diese lassen sich nun auf zweierlei Weise nutzen, entweder durch die Ausweitung der Geschäftstätigkeit – dies führt zu mehr Umsatz und Gewinn – oder durch ein Mehr an freier Zeit und damit an Lebensqualität. Dieser letzte Gedanke ließ die beiden nicht mehr los und so war die Idee geboren, den Effizienzgewinn – wenn möglich – so weit auszubauen, dass am Ende eine Reduktion der Arbeitszeit für alle Beschäftigten stehen sollte.

Ziel: 20 Prozent Effizienzgewinn

So bestechend dieser Gedanke auch sein mag, so lang war doch der Weg dorthin. „Zunächst nahmen wir die Idee zum Anlass, sämtliche Workflows in der Kanzlei auf den Prüfstand zu stellen“, berichtet Torsten Werner. „Wir haben buchstäblich jeden Stein umgedreht. Was können wir weglassen, was muss bleiben? Wo können wir durch Routine schneller werden und ganz wichtig: Sind unsere Angestellten bereit, den Weg mitzugehen?“ Entsprechend wurde das Vorhaben in der Kanzlei im Plenum ausführlich diskutiert und das Ziel auf einer Kick-off-Veranstaltung im Sommer 2022 konkretisiert: 32 Stunden Wochenarbeitszeit für alle. Bedingung: Alle müssen bereit sein, ihren Teil zur Produktivitätssteigerung beizutragen. Im Raum stand entweder eine Reduktion der Tagesarbeitszeit oder ein zusätzlicher freier Tag pro Woche. Nachdem der Plan an sich einstimmig und die zweite Option – freier Freitag – mit einfacher Mehrheit angenommen und damit das Ziel festgelegt war, ging es darum, mit vereinten Kräften jene 20 Prozent Effizienzgewinn auch tatsächlich zu realisieren, die Voraussetzung für die Gewinnung eines freien Tages waren. Das Arbeitsaufkommen blieb dasselbe, es galt nun, es unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Digitalisierung in 80 Prozent der bisherigen Zeit zu bewältigen.

Abschied von der Komfortzone

„Der Weg dorthin ist alles andere als ein Selbstläufer“, so Torsten Genrich. „Eine ganze Reihe von Arbeitsprozessen wurde grundlegend umgekrempelt. Lieb gewonnene Gewohnheiten mussten weichen, beispielsweise die ständige Erreichbarkeit auf dem privaten Smartphone.“ Die Devise lautet seither: Handys aus! – Notfälle ausgenommen. „Auch der Plausch auf dem Gang muss konsequent in die Pausenzeiten verlegt werden, um eine ruhige und voll konzentrierte Arbeitsatmosphäre zu erzeugen. Ohne eine solche – das hat sich rasch gezeigt – kann der Effizienzgewinn in dem angestrebten Maß nicht erzielt werden“, bestätigt Torsten Werner. Die Arbeitsreduktion erfolgt peu à peu in dem Maße, in dem es gelingt, die Produktivität anzuheben. „Die Reduzierung begann stufenweise ab dem 1. Januar“, so Torsten Werner. „Seit April haben wir auf 34 Stunden reduziert und erst ab August sind wir bei den angestrebten 32 Stunden und einem regulär freien Freitag für alle. Bis zum 1. August hoffen wir, dass alles komplett rundläuft, was natürlich einschließt, dass unter besonderen Umständen Einzelne auch mal an einem Freitag arbeiten müssen, dafür aber an einem anderen Tag freibekommen.“ Und Torsten Genrich ergänzt: „Ein weiterer Benefit dieses Projekts: Es spricht sich herum! Wir suchen nicht aktiv nach neuen Mitarbeitern, erhalten aber Anfragen von Fachkräften, für die die Aussicht auf eine zwar stark fokussierte, voll konzentrierte Arbeitswoche, die dafür aber nur vier Tage dauert, sehr attraktiv ist. Jetzt muss sich das Ganze also auf Dauer bewähren – aber wir sind nach unseren bisherigen Erfahrungen absolut optimistisch.“

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Carsten Seebass

Redaktion DATEV magazin

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