Adele Spitzeder - 18. September 2019

Die Klaviatur der Gier

Eine zwei­stellige Rendite pro Monat – nicht nur heute der Traum vieler Anleger. Vor knapp 150 Jahren hoff­ten viele Menschen in Bayern auf das schnelle Geld und gingen damit Adele Spitz­eder und ihrer „Dachauer Bank“ auf den Leim. Die ge­schei­ter­te Schau­spielerin lieh sich Geld und ver­sprach phä­no­me­nale Erträge. Das brachte sie letztlich nicht auf die Bretter, die die Welt bedeuten, sondern vor Gericht – und 30.000 Anleger um ihr Geld.

Nach wenig erfolgreichen Schauspielengagements in verschiedenen deutschen Städten kehrte Adele Spitzeder 1868 finanziell am Ende nach München zurück. Die Schulden der 36-Jährigen wuchsen weiter an, auch wegen ihres teuren Lebensstils samt Privatangestellten und Hotelaufenthalten. Auf das Geld von Kreditgebern angewiesen, fing sie im Frühjahr 1869 damit an, Geld gegen exorbitante Zinsversprechen zu leihen. Erster Kunde war ein Zimmermann, der das gesamte Ersparte seiner Familie Adele Spitzeder anvertraute. Diese versprach im Gegenzug monatliche Zinsen von zehn Prozent und bezahlte dem Zimmermann gleich die Zinsen für die ersten beiden Monate aus – bar auf die Hand. Rasch verbreitete sich die Nachricht. Bald kamen die Menschen nicht nur aus München, sondern aus ganz Bayern und vertrauten ihr Geld Spitzeder und ihrer Bank an. Ein Großteil davon stammte aus dem landwirtschaftlich geprägten Umland von Dachau, was der Bank im Volksmund den Namen „Dachauer Bank“ verlieh.

Es kam vor, dass Bauern Haus und Hof verkauften, da die versprochene Rendite so verführerisch hoch war.

Das Geschäft führte binnen kürzester Zeit zu einem enormen Andrang. Jeder hoffte auf das schnelle Geld. Vor allem ärmere Leute wie Arbeiter, Dienstboten, Handwerker, Kellnerinnen oder Mägde brachten ihr sauer Verdientes auf die „Spitzedersche Volksbank“. Es kam vor, dass Bauern Haus und Hof verkauften, da die versprochene Rendite so verführerisch hoch war. Aus der gescheiterten Schauspielerin wurde so eine der reichsten Frauen der Stadt. Das Geld ihrer Kunden betrachtete sie dabei einfach als das ihrige – so schnell wie es kam, so schnell wurde es wieder ausgegeben. Spitzeder kaufte sich teure Spieluhren, Ölgemälde und Kutschen sowie insgesamt 16 Häuser.

Vergebliche Warnungen

Das Geschäftsmodell der Dachauer Bank nutzte die wirtschaftliche Unerfahrenheit der ärmeren Bevölkerungsschicht aus, die an der damaligen allgemeinen wirtschaftlichen Hochphase teilhaben wollte. Die Selfmade-Bankerin ließ ihre Kunden dabei geschickt im Ungewissen darüber, dass der versprochene Zinssatz von bis zu zehn Prozent völlig unrealistisch war und dass dafür jegliche Deckung fehlte. Nur der ständige Geldfluss ließ das Geschäft weiterlaufen. Darüber hinaus konnten die meisten Kunden weder lesen noch schreiben, wodurch Warnungen der Behörden vor Spekulanten und Betrügern nicht zu ihnen durchdrangen. Viele Gläubiger unterschrieben in den Quittungsbüchern der Dachauer Bank lediglich mit drei Kreuzen.
Andere ließen sich durch Spitzeders Öffentlichkeitsarbeit überzeugen. Um positive Berichterstattung bemüht, bestach sie Redakteure von Zeitungen, die die Landbevölkerung gerne las und die dann Neuigkeiten und Erkenntnisse auch mündlich an ihre Nachbarn weitergaben. Während die gekauften Zeitungsredakteure über die Sicherheit und Beständigkeit der Dachauer Bank schrieben, wurden Kritiker hingegen angegriffen und beschimpft.
Geschickt inszenierte sich Spitzeder als großzügige Wohltäterin: Sie spendete an Kirche und Kriegsversehrte, eröffnete die Münchner Volksküche, in der arme Menschen verköstigt wurden, und war mindestens 200-mal Tauf- und Firmpatin. Die Folge: In der Münchener Arbeitervorstadt Haidhausen erhielt jedes dritte Mädchen den Namen Adele. Einen Freisinger Geistlichen sollen die Wohltätigkeiten zu folgendem Ausruf verleitet haben: „Vertraut zunächst auf Gott und dann auf Fräulein Adele!“

Finanzieller Ruin

Fräulein Adele war klug und zudem nicht auf den Mund gefallen. Hinsichtlich ihrer Geschäftsorganisation tat sie alles, um nicht als Kauffrau ins Handelsregister eingetragen zu werden, da sonst ihr Vermögen offengelegt worden wäre. Juristisch war sie schwer zu fassen. Sie führte nur deshalb Quittungsbücher, um wenigstens den Anschein einer vertrauensvollen Bank aufrechtzuerhalten. Die unzureichende Buchhaltung von Spitzeder und ihren bis zu 40 Mitarbeitern hinderte die Kunden nicht daran, weiterhin Unsummen bei der Dachauer Bank anzulegen. Noch bis eine Woche vor dem Zusammenbruch florierten die Geschäfte, trotz der immer lauter werdenden Kritik.
Als es Gegnern der Bank gelang, mehrere Gläubiger zu organisieren, die sich gleichzeitig ihr Geld ausbezahlen lassen wollten, brach das Geschäft am 12. November 1872 schließlich in sich zusammen. Spitzeder konnte die Summe nicht aufbringen, obwohl sich das Bargeld in den Räumen der Bank stapelte. Sogar im Tresor eines benachbarten Friseurehepaars hatte sie Säcke voller Münzen, Gold und Schmuck deponiert. Nichtsdestotrotz konnte der geforderte Betrag nicht aufgebracht werden und Spitzeder wurde noch am selben Tag wegen Betrugs verhaftet, die Bank wenige Tage später geschlossen. Etwa 30.000 Gläubiger standen vor dem finanziellen Ruin. Das Defizit der Bank belief sich auf rund acht Millionen bayerische Gulden – zum Vergleich: Für einen Gulden konnte ein durstiger Gasthausbesucher damals zehn Maß Bier trinken.
Das Gericht verurteilte Adele Spitzeder am 21. Juli 1873 zu drei Jahren und zehn Monaten Zuchthaus. Während dieser Zeit schrieb sie ihre Memoiren. Nach ihrer Entlassung versuchte sie erneut, ein Geldinstitut zu gründen, scheiterte aber am Widerstand der Behörden. Danach probierte sie sich als Volkssängerin, doch mit bescheidenem Erfolg. Völlig mittellos verstarb sie im Oktober 1895, kurz vor ihrem 63. Geburtstag. Begraben wurde sie auf dem Alten Südfriedhof in München – unter falschem Namen, um einen Ansturm auf das Grab zu verhindern.

MEHR DAZU

Bachmann, Christoph: Kriminalfälle (19./20. Jahrhundert), publiziert am 30.07.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns.

Freiberger, Harald: Diese Frau hat den Betrug per „Schneeballsystem“ groß gemacht, in: Süddeutsche Zeitung, 11. November 2017.

Nebel, Julian: Adele Spitzeder: Der größte Bankenbetrug aller Zeiten, München 2017.

Spitzeder, Adele: Geschichte meines Lebens, Stuttgart 1878 (Nachdruck München 1996).

Zu den Autoren

TB
Tobias Birken

Neumann & Kamp Historische Projekte

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MS
Manuel Sommer

Neumann & Kamp, Historische Projekte, München

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