Arbeitsrecht aktuell - 19. Juni 2019

Neue Vorgaben, neue Fragen

Die Fortentwicklung der arbeitsrechtlichen Normen scheint sowohl den nationalen Gesetzgeber wie auch die Rechtsprechung zuweilen an Grenzen stoßen zu lassen.

Neue gesetzliche Vorschriften und die hiermit einhergehende Rechtsprechung aus Erfurt oder Luxemburg – etwa zur Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs, zur Brückenteilzeit, zu einer sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen sowie zum Urlaubsrecht oder zu einer Vererbbarkeit von Abgeltungsansprüchen – haben nicht alle Probleme in der arbeitsrechtlichen Praxis gelöst, sondern zum Teil sogar zu noch mehr Unsicherheiten geführt.

Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs

Die Forderung nach einer einheitlichen Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs wird sich also fortsetzen.

Seit 1. April 2017 ist der § 611a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Kraft. Die darin enthaltene Definition des Arbeitsvertrags soll als übergreifende Schutznorm verstanden werden. Sie dient der Umsetzung zweier europarechtlicher Richtlinien (76/207/EWG vom 09.02.1976 beziehungsweise 77/187/EWG vom 14.02.1977). Die Vorschrift dient zudem auch der Umsetzung wiederholter Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der unter anderem fordert, dass der Arbeitnehmerbegriff autonom und einheitlich ausgelegt werden muss (Urteil vom 09.07.2015 bezüglich der GmbH-Geschäftsführer in der Zählweise des § 17 Kündigungsschutzgesetz [KschG]). Der vom Gesetzgeber verwendete Text, der eigentlich das ausdrücken soll, was die Rechtsprechung zum Arbeitsverhältnis in den letzten Jahren entwickelt hat, lässt mächtig Spielraum. Im Erfurter Kommentar (ErfK) 2019 sind zur Kommentierung durch Preis immerhin 754 Randnummern nötig. Das heißt, dass zur Umsetzung der Richtlinien, also zur Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten, wohl noch einige Eingriffe des EuGH erwartet werden dürfen. Zu dem Gebiet, dem gespannte Erwartung gebührt, gehört dabei § 5 Abs. 1 Satz 3 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG). Die dortige Fiktion, die den (Fremd-)Geschäftsführer zum Nichtarbeitnehmer macht, ist durch die Entscheidung des EuGH vom 11. November 2010 (Danosa) bereits angesägt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) will die Sperre nur fallen lassen, nach­dem der Geschäftsführer abberufen ist oder selbst niedergelegt hat (Urteil vom 03.12.2014, 10 AZB 98/14, bzw. vom 08.09.2015, 9 AZB 21/15). Die Forderung nach einer einheitlichen Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs wird sich also fortsetzen.

Brückenzeit

Seit 1. Januar 2019 gilt die Regelung für die Brückenzeit als Ausweg aus der Teilzeitfalle. Diese soll darin bestanden haben, dass die Verwirklichung des Wunsches nach Teilzeit ein Weg ohne Umkehr gewesen sei. Auf die Rückkehr gab es keinen Anspruch. Die Lösung soll nun darin bestehen, dass der teilzeitwillige Arbeitnehmer schon in seinem Antrag die Zeit, für die er verkürzen will, festlegt. Sein Antrag muss Umfang und Zeitraum der Verringerung angeben. Er soll auch die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit nennen. Die Inanspruchnahme einer zeitlich begrenzten Verringerung der Arbeitszeit ist aber an Voraussetzungen geknüpft:

  • mindestens sechs Monate Bestand des ­Arbeitsverhältnisses,
  • mindestens drei Monate Vorlauf
  • Schwellenwert 45 für die Beschäftigtenzahl (allerdings nicht des Betriebs, sondern des Arbeitgebers).

Bei 45 bis 200 Arbeitnehmern kann der ­Arbeitgeber ablehnen, wenn er – gestaffelt nach Beschäftigtenzahl – schon vier (oder je nach Staffel des § 9a Teilzeitbefristungsgesetz [TzBfG]) Arbeitnehmer beschäftigt, die nach§ 9a Abs. 1 TzBfG die befristete Verringerung in Anspruch genommen haben. Im Übrigen verweist wegen eventueller Ablehnung des Antrags das Gesetz auch auf § 8 Abs. 4 TzBfG. In der Praxis wird der Haken für den Arbeitnehmer darin bestehen, dass er ohne ein Auskunftsverlangen die Hürden des Schwellenwerts durch eigene Beobachtung nicht wird nehmen können.

Sachgrundlose Befristung

Seit Dezember 2000 sagt § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zudem, dass die sachgrundlose Vereinbarung einer befristeten Dauer des Arbeitsverhältnisses unzulässig ist, wenn bereits zuvor zwischen den Vertragsparteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Die Regelung des „bereits zuvor“ gab und gibt erhebliche Unsicherheiten, weil eine effektive Kontrolle über ein eventuell früheres – vielleicht auch durch Namenswechsel nicht mehr feststellbares – Vertragsverhältnis bestanden haben könnte. Weil trotz lebhafter Diskussion der fehlenden Praktikabilität dieser Vorschrift der Gesetz­geber keine Notwendigkeit zu ­einer Korrektur sah, hat das BAG mit Urteil vom 6. April 2011 (7 AZR 716/09) einen mutigen Schritt getan und das Gesetz im Wege der Auslegung dahingehend einzuschränken versucht, dass die Formulierung „bereits zuvor“ auf drei Jahre zu beschränken sei. Eine Prüfung dieser Auffassung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) führte dazu, dass dem BAG vorgehalten wurde, es habe die Grenzen vertretbarer Auslegung gesetzlicher Vorgaben überschritten, denn der Gesetzgeber habe eine solche Karenzzeit erkennbar nicht regeln wollen (BVerfG, Urteil vom 06.06.2018). Aber nach Ansicht des BVerfG können und dürfen die Fach­ge­richte durch eine verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG wohl einschränken. Dies, soweit das Verbot einer sachgrundlosen Befristung unzumutbar ist, weil eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht bestehe und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich sei, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Das sei etwa der Fall, wenn die Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt (hier: acht Jahre) und ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Das BAG hat diese Hinweise nunmehr mit Urteil vom 23. Januar 2019 umgesetzt (7 AZR 733/16) und gleichzeitig eine Meinung des Landes­ar­beits­ge­richts (LAG) Düsseldorf (Urteil vom 10.10.2018) bekräftigt. Was geschieht in Fällen, in denen ein Arbeitsverhältnis im Vertrauen auf die Entscheidung vom 6. April­ 2011 begründet wurde, mit Arbeitnehmern, die bereits zuvor nur ein wenig mehr als drei Jahre beschäftigt waren? Die Antwort des BAG darauf ist für den Rechtsanwender sehr trostreich: Bei Abschluss des Vertrags mit dem Arbeitnehmer musste man jedenfalls die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die vom BAG vorgenommene verfassungskonforme Auslegung der Norm vor dem BVerfG keinen Bestand haben könnte. Also kein Vertrauen in die Rechts­prechung!

Urlaubsansprüche

Um zu veranschaulichen, welche Wandlung die deutsche Rechtsprechung durch die vom EuGH vorgegebenen Vorstellungen von Sinn und Zweck des Urlaubs erlebt hat, lohnt sich ein Rückblick. Am 22. Juni 1956 hatte das BAG entschieden: „Verlangt ein Arbeitnehmer, dem aus sozialen Rücksichten trotz langer Erkrankung vom Arbeit­geber nicht gekündigt worden ist, für ein Urlaubsjahr mehr Urlaubstage vergütet, als er in diesem Urlaubsjahr überhaupt gearbeitet hat, so ist sein Begehren wegen Rechtsmissbrauchs nicht begründet.“ Am ­27. September 1962 hatte sich an dieser Meinung nichts geändert. Der 5. Senat entschied: „Die Geltendmachung eines Urlaubs­ab­gel­tungs­an­spruchs kann ganz oder teilweise rechts­miss­bräuch­lich sein, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubs­jahr in kaum nennenswertem Umfang gearbeitet hat.“ Zusammengefasst heißt dies: ohne Arbeit kein Urlaub. Eine grundlegende Änderung der BAG-Recht­spre­chung wurde erst durch die Entscheidung des EuGH vom 20. Oktober 2009 (Schultz-Hoff) herbeigeführt. Artikel 7 Abs. 2 RL 2013/88/EG ist dahingehend auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften entgegenstehe, nach denen für nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt werde, wenn der Arbeitnehmer während des ganzen Bezugszeitraums und/oder Übertragungszeitraums teilweise oder umfassend krank gewesen sei und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Urlaub nicht habe ausüben können. Der Kern der Entscheidung stellt klar:

  1. Jahresurlaub ist ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts in der Europäischen Union (EU).
  2. Der Urlaubsanspruch ist nicht von einer tatsächlichen ­Arbeitsleistung abhängig.

Für die Anwendung des § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) bringt das Probleme. Zum einen geht es um die Übertragung nicht realisierter Ansprüche aus dem Urlaubsjahr in das Folgejahr. Sodann geht es um die Fragen der Befristung des Übertragungszeitraums, zum einen im bestehenden Arbeitsverhältnis (Gewährung oder Übergang in einen Ersatzurlaub), zum anderen im endenden Arbeitsverhältnis, hier die Abgeltung betreffend, und dies wiederum mit den Varianten einer Vererbbarkeit. Das BAG hat die Konsequenzen aus der Schultz-Hoff-Entscheidung mit Urteil vom 16. Oktober 2012 ­(9 AZR 63/11) gezogen: Der gesetzliche Urlaubsanspruch erlischt aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahrs und/oder eines Übertragungszeitraums von drei Monaten nach diesem Zeitpunkt krank und deshalb arbeitsunfähig ist. Der Anspruch geht jedoch bei Fort­be­stehen der Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahrs unter. Damit ist zunächst der Krankheitsfall geklärt. Wie aber ist in Fällen zu verfahren, in denen der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr seine Ansprüche nicht vollständig einbringt, obwohl ihn Krankheit nicht gehindert hat, und was gilt für den Fall der Übertragung? Mehrere LAG haben hierzu die Auffassung vertreten, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, den Urlaub anzuordnen, also den Arbeitnehmer – und sei es aus Gründen der Fürsorge für seine Gesundheit – in Urlaub zu schicken (LAG Berlin-Brandenburg vom 12.06.2014 – 21 Sa 221/14; LAG Hamm, Vorlagebeschluss 14.02.2013 – 16 Sa 1511/12). Der EuGH hat mit Urteil vom ­6. November 2018 (C-684/16) entschieden, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses laut der Richtlinie ein Rest­urlaub übrig bleibt. Die Richtlinie fordert aber nicht, dass der Arbeitnehmer einen Antrag gestellt haben muss. Das BAG hat seinerseits mit Urteil vom 19. Februar 2019 (2 AZR 541/15) der Auffassung, dass der Arbeitgeber zuweisen müsse, eine Absage erteilt, jedoch für den Arbeitgeber Obliegenheiten formuliert. Wenn der Arbeitgeber sehe, dass der Urlaub im Kalenderjahr nicht vollständig eingebracht werde und/oder wegen Ablaufs der Übertragungsfrist ein Verfall drohe, habe er zu belehren. Zwar werde der Arbeitgeber durch die Vorschrift nicht gezwungen, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren; allerdings obliege ihm unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG könne der Verfall von Urlaub nur eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert habe, den Urlaub zu nehmen, und er ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen habe, dass der Urlaub andernfalls mit Ablauf des Urlaubsjahrs oder des Übertragungszeitraums erlischt. Es gebe also zusätzliche Arbeit für den Arbeitgeber aufgrund der Pflicht, die Realisierung von Urlaubsansprüchen zu überwachen.

Vererbbarkeit eines Abgeltungsanspruchs

Bislang hatte das BAG unterschieden: Bei Ausscheiden zu Lebzeiten ist der mit dem Ausscheiden entstehende Anspruch im Fall des Todes des Arbeitnehmers nach dem Ausscheiden vererbbar (Urteil vom 22.09.2015, 9 AZR 170/14). Stirbt der Arbeitnehmer aber vor Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses, so könne ein Urlaubsabgeltungsanspruch nicht mehr vererbt werden (Urteil vom 12.03.2013, 9 AZR 532/11). Hier gibt es seit dem 22. Januar 2019 eine Umkehr der Recht­spre­chung, weil der Urlaubsabgeltungsanspruch bei einer richtlinienkonformen Auslegung von §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG einen Bestandteil des Vermögens des Arbeitsnehmers darstelle und damit zur Erbmasse gehöre. Dies gelte jedenfalls für den gesetzlichen Mindestanspruch. Der „besonders bedeutsame Grundsatz des Sozialrechts der Union macht den Urlaubsanspruch – oder den Abgeltungsanspruch – zum Bestandteil des Vermögens des Arbeitnehmers“.

Fotos: malerapaso / Getty Images

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Lesen Sie zur Vererbbarkeit von Abgeltungsansprüchen auch den Artikel „Verfall oder Abgeltung“ von Dr. Michael Au im DATEV magazin 09/2018

Zum Autor

UZ
Ulrich Zirnbauer

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in Nürnberg

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