Umsatzsteuerliche Organschaft - 13. Februar 2019

Teil wider Willen

Da sich der Kreis poten­ziell be­tei­lig­ter Rechts­formen stark erweitert hat, können mitt­ler­weile auch Per­so­nen­ge­sell­schaften un­ge­wollt zu Organ­ge­sell­schaften werden.

Anders als körperschaftliche oder gewerbesteuerliche Organschaften entstehen umsatzsteuerliche Organschaften nicht Kraft eines formellen und ausdrücklichen Unternehmensvertrags – zumeist in Form eines Ergebnisabführungsvertrags gemäß § 291 Aktiengesetz (AktG), sondern bereits dann, wenn alle gesetzlichen Tatbestandsmerkmale tatsächlich vorliegen. Es besteht insoweit kein Wahlrecht für den Eintritt der Rechtsfolgen einer umsatzsteuerlichen Organschaft. Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) verliert eine juristische Person ihre Selbstständigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse wirtschaftlich, organisatorisch und finanziell in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist.

Wirtschaftliche Eingliederung

Die wirtschaftliche Eingliederung in das Unternehmen des Organ­trägers ist gegeben, wenn die Organgesellschaft nach dem Willen des Organträgers in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit ihr wirtschaftlich tätig wird. Hierzu muss zwischen der Organgesellschaft sowie dem Organträger ein vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung bestehen (Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.06.1998, V R 76/97, BFH/NV 1998, 1534). Für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Eingliederung ist bereits ausreichend, dass zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft aufgrund gegenseitiger Förderung und Ergänzung mehr als nur unerhebliche wirtschaftliche Beziehungen bestehen. Die organisatorische Eingliederung setzt ­voraus, dass der Organträger die laufenden Geschäfte der Gesellschaft beherrscht. Es kommt hierbei darauf an, dass der Organträger die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrscht und seinen Willen in der Organ­gesellschaft durchsetzen kann. Es ist nicht ausreichend, dass eine vom Organträger abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft ausgeschlossen ist. Die organisatorische Eingliederung ist insbesondere bei einer personellen Verflechtung der Geschäftsführungen des Organträgers sowie der ­Organgesellschaft gegeben, beispielsweise bei einer Personenidentität in den Leitungsgremien oder bei Abschluss eines Beherrschungsvertrags.

Finanzielle Eingliederung

Nach Auffassung der Finanzverwaltung kann sich eine Stimmrechtsmehrheit auch durch mittelbare Beteiligungen begründen.

Die finanzielle Eingliederung setzt voraus, dass die Organ­trägerin (Muttergesellschaft) an der Organgesellschaft (Tochtergesellschaft) in der Art beteiligt ist, dass sie durch Mehrheitsbeschlüsse ihren Willen in der Organgesellschaft durchsetzen kann. Die Organträgerin muss somit mindestens 50 Prozent der Stimmrechte halten. Zu beachten ist, dass sich eine Stimmrechtsmehrheit nach Auffassung der Finanzverwaltung – die bislang noch nicht vom BFH bestätigt wurde – auch durch mittelbare Beteiligungen begründen kann, also über die ­Zu­rech­nung der über eine nicht unternehmerisch tätige Tochtergesellschaft gehaltenen Beteiligung. Die nicht unternehmerisch tätige Tochtergesellschaft wird dabei nicht Bestandteil des Organkreises. Der Organkreis legt sich gemäß der sogenannten Blasentheorie vielmehr um diese Tochtergesellschaft; es wird somit zwischen der Mutter- und der Enkelgesellschaft eine direkte Organschaft begründet.

Personengesellschaften als Organgesellschaften

Nach dem Wortlaut des (deutschen) Gesetzes können ausschließlich Kapitalgesellschaften bei Vorliegen der vorgenannten Eingliederungsvoraussetzungen Organgesellschaften sein. Demgegenüber sieht der BFH – entgegen seiner früheren Rechtsprechung – die Beschränkung der Wirkung der umsatzsteuerlichen Organschaft auf Kapitalgesellschaften als zu eng, weil nicht unionsrechtskonform, an. Zuvor hatte der BFH mit zwei inhaltsgleichen Beschlüssen vom 11. Dezember 2013 (BFH XI R 17/11 und XI R 38/12) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Organschaft bei Personengesellschaften vorgelegt (EuGH C-108/14 und C-109/14). In seiner Vorlagefrage begehrte der BFH zu wissen, ob die Bestimmung über die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Steuerpflichtigen in Art. 11 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) einer nationalen Regelung entgegenstehe, nach der nur eine juristische Person Organgesellschaft sein kann. Der EuGH hat hierzu in seinem Urteil vom 16. Juli 2015, (Rs. C-108/14, C-109/14, Larentia + Minerva und Marenave) entschieden, dass der Ausschluss von Personengesellschaften allein aufgrund der Rechtsform unionsrechtswidrig sei.

Teleologische Extension

In seinem Urteil vom 2. Dezember 2015 (Az. V R 25/13) hat der BFH durch sogenannte teleologische Extension des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG die EuGH-Vorabentscheidung in der Form in das deutsche Recht übertragen, dass zumindest solche Personengesellschaften Organgesellschaften sein können, bei denen neben dem Organträger ausschließlich Gesellschafter beteiligt sind, die wiederum nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, wie etwa eine kapitalistisch strukturierte GmbH & Co. KG. Nicht nur der Gesetzeswortlaut stand nach bisheriger Auffassung des BFH einer Einbeziehung von Personengesellschaften als Organgesellschaft entgegen, sondern insbesondere das Erfordernis der finanziellen Eingliederung, bei der durch Beschlussfassung der Wille der Organträgerin bei der Tochtergesellschaft durchgesetzt werden können muss. Anders als bei Kapitalgesellschaften, bei denen sich die Stimmrechte anhand der Beteiligungsquote bemessen und die finanzielle Eingliederung daher rechtssicher, einfach und ohne Nachweisschwierigkeiten überprüft werden kann, gilt bei Personengesellschaften grundsätzlich das Einstimmigkeitsprinzip gemäß § 119 Abs. 1 Handelsgesetzbuch (HGB) beziehungsweise § 709 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch. Damit können ausweislich der Urteilsbegründung aus Gründen der Rechtsklarheit Personengesellschaften nicht finanziell in das Unternehmen der Organträgerin eingegliedert werden.

Einstimmigkeitsprinzip ersetzt

Bei kapitalistisch strukturierten Personengesellschaften in Form der GmbH & Co. KG besteht der gesamte Gesellschafterkreis aus juristischen Personen. Wenn diese Mitgesellschafter ebenfalls finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind, ist auch bei bestehendem Einstimmigkeitsprinzip die Eingriffsmöglichkeit der Organträgerin in die Geschäftsführung der Personengesellschaft gewährleistet. Die Organträgerin macht dabei von ihren Beteiligungen an den Kapitalgesellschaft-Mitgesellschaftern der Personengesellschaft Gebrauch, bei denen die finanzielle Eingliederung rechtssicher und einfach nachzuweisen ist. Durch diese Form der Bündelung der Stimmrechte ist das Einstimmigkeitsprinzip der Personengesellschaft durch ein Ein-Stimmen-Prinzip ersetzt. Somit blieb auf Basis des zuletzt zitierten BFH-Urteils der aufgrund mangelnder Nachweisbarkeit einer finanziellen Eingliederung von Personengesellschaften bestehende Ausschluss von Personengesellschaften als Organgesellschaften im Grundsatz bestehen. Allein aufgrund einer kapitalistischen Struktur bei gleichzeitiger Eingliederung aller gegebenenfalls beteiligter Drittgesellschafter war nach Ansicht des V. Senats des BFH eine finanzielle Eingliederung ausnahmsweise möglich. Eine Personengesellschaft, deren Gesellschafterkreis auch aus natürlichen Personen besteht, sollte demgegenüber nicht Organgesellschaft werden, da die Drittgesellschafter nicht im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sein können und die Organträgerin in Hinblick auf das Einstimmigkeitsprinzip somit nicht durch Mehrheitsbeschluss ihren Willen durchsetzen könne.

Organgesellschaftsfähigkeit bestätigt

In seinem Urteil vom 19. Januar 2016 (Az. XI R 38/12) entschied allerdings der XI. Senat des BFH, dass der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG richtlinienkonform so auszulegen sei, dass er auch eine GmbH & Co. KG umfasst. Denn der Ausschluss einer derartigen Gesellschaft als Organgesellschaft diene weder der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken, noch sei er zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen erforderlich oder angemessen. Anders als der V. Senat des BFH sah das Gericht in seiner Entscheidung die Organgesellschaftsfähigkeit der GmbH & Co. KG bestätigt, obwohl neben der Organträgerin ein weiterer Gesellschafter beteiligt war, der nicht in das Unternehmen der Organträgerin eingegliedert gewesen ist. Somit ist das Einstimmigkeitsprinzip der Personalgesellschaft nicht durch den Einbezug der Fremdanteile in das Unternehmen der Organträgerin ersetzt worden.

Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses

In seinem Schreiben vom 26. Mai 2017 (veröffentlicht am 01.06.2017) hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) die geänderte BFH-Rechtsprechung durch Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) umgesetzt und lässt Personengesellschaften nun als Organgesellschaften zu. Nach dem insoweit eingefügten Abschnitt 2.8 Abs. 5a UStAE können Personengesellschaften finanziell eingegliedert sein, wenn Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, sodass die erforderliche Durchgriffsmöglichkeit selbst bei der stets möglichen Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips gewährleistet ist. Damit folgt das BMF der strengeren Auffassung des V. Senats des BFH und nennt zur Abgrenzung das nachfolgende Beispiel:
Gesellschafter einer GmbH & Co. KG sind die Komplementär-GmbH K1 und die GmbH K2 sowie eine weitere Person P (Beteiligungsquote 0,1 Prozent) als Kommanditisten. Die A-AG hält an K1 und K2 jeweils einen Anteil von mehr als 50 Prozent. An P ist die A-AG nicht beteiligt. Da nicht alle Gesellschafter der GmbH & Co. KG finanziell in das Unternehmen der A-AG eingegliedert sind, ist auch die GmbH & Co. KG nicht finanziell in das Unternehmen der A-AG eingegliedert.
Gleichzeitig bekräftigt das BMF die von ihm vertretene Blasentheorie und ergänzt, dass für notwendige Beteiligung des Organträgers mittelbare Beteiligungen ausreichend sind (vgl. Abschnitt 2.8 Abs. 5b UStAE).

Handlungsbedarf

Für diese Änderung des UStAE, die bereits im Juni 2017 veröffentlicht wurde, galt seitdem eine Übergangsfrist, nach der die freiwillige Anwendung nicht zu beanstanden war. Für ab dem Jahr 2019 ausgeführte Umsätze ist eine entsprechende GmbH & Co. KG hingegen zwingend in Organschaften einzubeziehen. Dabei ist zu beachten, dass die Neuregelung auch zur Begründung einer Organschaft führen kann, auch wenn lediglich eine Enkelpersonengesellschaft als finanziell eingegliedert gilt. Im Ergebnis besteht nun einerseits die Möglichkeit, durch Einbezug von Personengesellschaften in den Organkreis die finanzielle Belastung aufgrund von auf Leistungsbeziehungen zwischen den Gesellschaften erhobene Umsatzsteuer zu vermeiden. Das dürfte insbesondere für Unternehmen relevant sein, die steuerfreie Leistungen erbringen und somit keine Möglichkeit haben, die ihnen in Rechnung gestellte Vorsteuer in Abzug zu bringen. Andererseits sollte das Auslaufen der Übergangsfrist dringend zum Anlass genommen werden, um gegebenenfalls schädliche Beteiligungsstrukturen zu identifizieren und einem unerwünschten, verpflichtenden Einbezug von Personengesellschaften entgegenzuwirken. Gemeint sind Gestaltungen von Personengesellschaften als Beteiligungsgesellschaft, die bislang bewusst zur Begrenzung von Organschaften und damit verbundenen Haftungsrisiken gewählt wurden. Eine solche Analyse ist auch geboten, um Nachteile zu vermeiden, die dadurch entstehen, dass bestehende Organschaften nicht identifiziert werden und ein Leistungsempfänger, der sich in einer Organschaft befindet, einen unberechtigten Vorsteuerabzug aus der Rechnung anderer Gesellschaften des Organkreises vornimmt. Ein solcher Vorsteuerabzug würde mindestens zu einer Verzinsung des ungerechtfertigt vorgenommenen Vorsteuerabzugs gemäß § 233a Abgabenordnung (AO) führen, wird aber auch Zweifel an der Funktionsfähigkeit eines steuerlichen innerbetrieblichen Kontrollsystems (Steuer-IKS) begründen.

Zu den Autoren

JS
Jürgen Scholz

Steuerberater und Leiter der Umsatzsteuerberatung bei WTS in Deutschland

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LM
Lea Marburg

Consultant in der Umsatzsteuerberatung von WTS in Düsseldorf

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