Berufsethik des Steuerberaters - 6. Dezember 2018

Anständig bleiben

Moral und Ethik, also letztlich unsere Inte­gri­tät im Leben sowie in der beruf­lichen Praxis, sind Dinge, mit denen wir alle täglich kon­fron­tiert sind. Die einen nehmen diese Werte wahr, andere je­doch gehen eher sorg­los damit um.

Nicht erst seit den Panama Papers werden Fragen der Berufsethik auch im steuerberatenden Bereich diskutiert. Während aber die einen seither mit dem Finger auf die steuerberatenden Berufe zeigen und sie als Steuervermeidungsindustrie und tendenziell kriminell diskreditieren, weisen die so Angegriffenen das vehement zurück und bestehen auf ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung, ihrer Gesetzestreue sowie ihrer Gemeinwohlorientierung. Wie ist dieser Konflikt zu bewerten? Welche Rolle spielen Moral und Ethik in der Steuerberatung?

Worüber sprechen wir?

Als Moral bezeichnet man die Vorstellung bestimmter Individuen, Gruppen oder Kulturen davon, was gut und richtig ist, sich gehört, Akzeptanz verdient. Demgegenüber steht Ethik mit einem Vorgang in Verbindung, nämlich mit der Reflexion darüber, was in moralischer Hinsicht akzeptabel, inakzeptabel oder geboten ist. Ethik ist also das Nachdenken über Moral. Das Ergebnis dieser Reflexion, dieses Ringens um das Richtige, mag ein Ethos sein, der von anderen – beispielsweise den Angehörigen desselben Berufs – geteilt wird, oder es mag auf eine individuelle, ethisch abgewogene Bewertung hinauslaufen, die eine persönliche Entscheidung hervorruft. Jedenfalls ist in den vergangenen Jahren, vielleicht bedingt durch das von vielen so empfundene Kompliziertwerden der Welt infolge Finanzkrise, Globalisierung und Werteverfall, eine zunehmende Befassung unterschiedlichster Berufsgruppen mit Fragen der beruflichen Ethik zu verzeichnen. Das gilt zum Beispiel für Pädagogen, Journalisten, Pflegekräfte und Betreuer, Polizisten, Dolmetscher sowie Forscher, ja sogar für Soldaten. All diese Berufe ringen, und zwar weltweit, um die Frage, wie sie sich in bestimmten Situationen richtigerweise verhalten sollen, was denn ihre Aufgabe ist, was im entscheidenden Moment von ihnen billigerweise erwartet werden darf und was sie tunlichst – auch, wenn das Gesetz es ihnen gestattet – unterlassen sollten.

Bedeutung der Berufsgesetze

Lange Zeit hielt man derartige Fragestellungen für gelöst. Man war der Meinung, dass die Berufsgesetze und Berufsordnungen alles Notwendige für die Bewältigung solcher Gewissenskonflikte enthielten. Auch im Bereich der Steuerberatung glaubten viele, mit der Kennzeichnung des Steuerberaters als Organ der Steuerrechtspflege und seiner gesetzlichen Verpflichtung auf die Prinzipien der Gewissenhaftigkeit und Eigenverantwortlichkeit sei alles getan, um dem Berufsträger die erforderliche Orientierung zu geben und die Beeinträchtigung anderer Menschen zu vermeiden. Das glaubte man umso bereitwilliger angesichts der Tatsache, dass Steuerberatung in vielen Ländern auch unreglementiert erfolgt und man sich selbst hier auf einem deutlich höheren Niveau verorten konnte. Zunehmend aber stellte sich heraus, was das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in den Bastille-Entscheidungen schon angedeutet hatte, dass Berufsgesetze nur den äußeren Rahmen dessen beschreiben, was als geboten oder verboten betrachtet wird, und dass sie viele Fragen offen lassen, die sich – quasi im Anschluss an diese Festlegungen – in Bezug auf moralische, rechtlich nicht entschiedene Dilemmata ergeben können. BVerfG-Entscheidungen aus letzter Zeit aber lassen zweifeln, ob die Besonderheit des Verhältnisses der freien Berufe zu ihren Mandanten noch ausreichend geschätzt und geachtet wird. So hat das BVerfG in drei Nichtannahmebeschlüssen Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die Beschlagnahme von Akten bei einer mit internen Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Dieselskandal eingeschalteten Anwaltskanzlei richteten (unter anderem BVerfG vom 27.06.2018, ­2 BvR 1405/17). Schon fragt man sich in der Anwaltschaft, ob es hier eine Zeitenwende gibt und ob das anwaltliche Berufsgeheimnis in Gefahr sei.

Die Fakten

Damit wird abgelenkt von der Verantwortung, welche die Politik und teilweise auch die Verwaltung selbst trifft.

Klar ist, dass Wirtschafts- und Steuerkriminalität bekämpft und einer Steuerumgehung im Sinne des § 42 der Abgabenordnung entgegengewirkt werden muss. Dabei wird aber vielfach übersehen, dass es die gesetzlich festgelegte Aufgabe der steuerberatenden Berufe ist, auf die für ihren Mandanten möglichst günstigste steuerliche Gestaltung hinzuwirken, und dass sich die Angehörigen dieser Berufe der Gefahr aussetzen, vom Mandanten in Haftung genommen zu werden, wo sie dies unterlassen. Außerdem wird übersehen, dass die meisten Maßnahmen, die jetzt politisch diskutiert werden, insbesondere die Anzeigepflicht, legale Steuergestaltungen betreffen, was aber häufig nicht deutlich gesagt wird, sondern – um Emotionen zu schüren und Zustimmung zu erheischen – hintangehalten wird. Damit wird abgelenkt von der Verantwortung, welche die Politik und teilweise auch die Verwaltung selbst trifft: Politiker, die Gesetze beschließen, welche die von ihnen kritisierten Verhaltensweisen zulassen, sowie die Steuerverwaltung, die teilweise jahrzehntelang tatenlos über rechtswidrige Praktiken hinwegsah, um danach die dadurch eingetretenen Steuerausfälle zu beklagen, sind nicht diejenigen, die den ersten Stein werfen sollten. Sie sollten sich ihrer Mitverantwortung für die zu lösenden Probleme bewusst werden und sich nicht einseitig als Ankläger betätigen. Dies zumal dann, wenn sie zur Rechtfertigung der die steuerberatenden Berufe und ihre Mandanten belastenden Maßnahmen auf das eigene Unvermögen verweisen, der ihnen selbst obliegenden parlamentarischen oder administrativen Aufgabe gerecht zu werden. Zu der (kollektiven) Aufgabenbewältigung in diesem Bereich würde es etwa gehören, für klarere inhaltliche Abgrenzungen unbestimmter Begriffe zu sorgen. Zu oft werden in der Debatte um Moral und Ethik mehrdeutige und teilweise in die Irre führende Begriffe verwendet. Ausdrücke wie aggressive Steuerplanung, Steuerschlupfloch, Steuerflucht, Steuervermeidung, Steuerumgehung oder Steuermissbrauch lassen Verständnisspielräume, welche die Debatte vernebeln und die Qualität daraus hervorgehender Regelungen beeinträchtigen. In keinem Falle ist es angemessen, in einer solchen Situation die moralische Keule gegen die steuerberatenden Berufe zu richten, um eigene Vorstellungen durchzusetzen oder mit Blick auf anstehende Wahlkämpfe publikumswirksam zu verbreiten. Maßlosigkeit gilt schon seit jeher als eine Untugend – auch in der Rhetorik.

Verantwortung der Berufsangehörigen

Natürlich müssen sich auch die Angehörigen der freien Berufe kritisch mit den hier im Raum stehenden Fragen auseinandersetzen. Die Diskussionen um die Berufsgesetze und die davon getrennt zu sehende Berufsethik haben gezeigt: Nicht alles, was rechtlich erlaubt ist, muss deshalb auch moralisch akzeptabel sein. Wenn Maßlosigkeit eine Untugend ist, dann ist es auch die Gier, und es stellt sich die Frage, wann ihr entgegenzutreten ist.
Dabei darf nicht verkannt werden, dass den freien Berufen ein Vertrauensvorschuss in Gestalt eines besonderen gesetzlichen Status gewährt worden ist, den es zu rechtfertigen gilt. Vertrauen muss man verdienen, wenn es erhalten bleiben soll. Dafür reicht nicht die Beteuerung, man verdiene Vertrauen, sondern es bedarf einer inneren Haltung, eines verantwortungsvollen Umgangs mit dem eingeräumten Vertrauen. Auch und gerade die Angehörigen freier Berufe haben sich dementsprechend für die Folgen ihres Handelns für ihre Mandanten, aber auch für die Gesellschaft insgesamt zu verantworten. Ethische Verantwortung bindet einen Beruf umso mehr, je höher das Ansehen ist, das er in der Öffentlichkeit genießt.

Initiativen der freien Berufe

Die Angehörigen der steuerberatenden und wirtschaftsprüfenden Berufe bemühen sich seit Langem, ethische Handlungsmaßstäbe zu entwickeln, also Maßstäbe für die Frage, welche Handlungsweise für sie in einer bestimmten Situation ethisch angemessen ist. Immer wieder hat es Anlässe gegeben, das zu tun. Zu erwähnen sind hier nicht nur die verschiedenen Ethikstandards und Compliance-Ansätze (auch in der EFAA und in der ETAF, wo gerade an einer Charter der regulierten Steuerberaterberufe Europas gearbeitet wird), sondern auch das Nachdenken über die Bedeutung der Berufsethik selbst. So hat etwa das Deutsche wissenschaftliche Institut der Steuerberater im Jahr 2007 ein Symposium über die Berufsethik der Steuerberater veranstaltet. Prof. Dr. Christoph Hommerich hat das Thema anschließend vertieft. Ähnliche Diskussionen gab es bei Wirtschaftsprüfern und Rechtsanwälten. Weitere Arbeiten folgten. Ausgehend von dem oben erwähnten Befund, dass das Berufsrecht allein moralische Dilemmata nicht lösen kann, veranstalten der Deutsche Steuerberaterverband und die Steuerberaterverbände Westfalen-Lippe und Düsseldorf seit vielen Jahren gemeinsam mit dem Erzbistum Paderborn Steuerberatertage zum Berufsethos. Sie stehen unter der Überschrift Beratung mit Rückgrat – zur ethischen Dimension steuerlicher Beratung. Dort wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Dilemmata behandelt, vor die sich Steuerberater im Zuge ihrer Alltagsarbeit gestellt sahen. Dabei ging es um ihr Verhältnis zu Mandanten, beispielsweise um

  • ihre Verpflichtungen gegenüber Mandanten und mögliche Auswirkungen auf Dritte,
  • Mandanten mit zweifelhaften Geschäftsinhalten,
  • die anzuwendende Honorarpolitik,
  • ihr Verhältnis zu den Finanzbehörden, etwa unter dem Motto: Steuerhinterziehung – sich nicht hineinziehen lassen,
  • die Reichweite der Aufklärungspflichten beim Umgang mit steuerunehrlichen Mandanten,
  • ihr Verhältnis zu Mitarbeitern, zum Beispiel im Rahmen der Schaffung einer verantwortlichen Steuerkanzlei,
  • Kanzleikultur und Ethik-Management,
  • Konfliktsituationen bei Erbschaft und Betriebsnachfolge,
  • die Bedeutung von Werten in der Kanzlei, beispielsweise im Hinblick auf Unparteilichkeit, Interessenkollisionen und Vergütungsfragen sowie
  • das Verhältnis zu Wettbewerbern, etwa in Bezug auf die Abwerbung von Mandanten und Mitarbeitern.
  • In jedem Fall unmoralisch ist es, mit falschen Behauptungen zu agieren, um seine eigenen Ziele durchzusetzen (erinnert sei an das achte Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten). Unmoralisch ist es, Menschen zu drangsalieren, die nichts verbrochen haben, nur wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Sippenhaft). Unmoralisch ist es, Menschen mit unverhältnismäßig belastenden Maßnahmen zu überziehen.

Fazit

Auch die freien Berufe haben Anlass, sich mit ethischen Fragen vertieft zu beschäftigen: Was ist legal – was ist noch legitim? Denn das ihnen zum Wohle ihrer Mandanten und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen will verdient sein, um aufrechterhalten zu bleiben. Die steuerberatenden Berufe haben sich stets von kriminellem, illegalem Handeln abgesetzt. Für solches Tun ist bei Freiberuflern per Definition kein Raum. Der Diskurs über diese Fragen sollte aber intensiviert und gefördert werden, schon während der Ausbildung und auch danach. Denn was noch legitim oder schon illegitim ist, ist eine Frage der Bewertung. Diese Bewertung beruht in vielen Fällen auf einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem anstehenden Konflikt. Die Maßstäbe hierfür sichtbar zu machen, bleibt die Aufgabe aller. Der Weg mag steinig erscheinen. Und dennoch. Jemand sagte: „Alles, was ich über Ethik wissen musste, lernte ich im Kindergarten.“ Daran sollten wir uns erinnern, beim beruflichen Tun und beim Sprechen darüber.

Fotos: hikdaigaku86 / Adobe Stock

Zum Autor

Prof. Dr. Axel Pestke

Prof. Dr. Axel Pestke, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, ist am 1.4.2019 als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Steuerberaterverbands (DStV) bzw. Direktor des Deutschen Steuerberaterinstituts (DStI), des Fachinstituts des DStV, in den Ruhestand getreten. Er hatte sich über 34 Jahre lang, davon 27 Jahre als Hauptgeschäftsführer, mit bewundernswertem Einsatz sowohl auf nationaler wie auch internationaler Ebene für den Berufsstand der Steuerberater engagiert.

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