Der Bundes­finanz­hof - 18. Oktober 2018

Jubiläum mit Beigeschmack

Ein runder Ge­burts­tag ist stets Anlass dafür, aus­gie­big zu feiern. Da der Jubilar aber auf eine wechsel­volle Geschichte zurück­blickt, wird die Freude mit Blick auf die dunklen Zeiten des Steuer­rechts etwas getrübt.

Ein oberstes deutsches Gericht feiert Geburtstag, einen runden zudem. 100 Jahre Steuerrechtsprechung, auf die man allerdings nicht durchgehend stolz sein kann. Gemeint sind weniger Entscheidungen, die so manchem Steuerpflichtigen noch heute die Zornesröte ins Gesicht treiben, sondern vielmehr die Rolle, die das Gericht – damals noch als Reichsfinanzhof (RFH) – in den zwölf Jahren zwischen 1933 und 1945 spielte. Natürlich, der Gerichtshof hat in den letzten knapp 70 Jahren die Ansprüche der Steuerpflichtigen auf gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns – dies ist unbestritten – qualitativ hochwertig erfüllt. Der Bundesfinanzhof (BFH) gewährleistet in der heutigen Zeit einen rechtsstaatlich unabhängigen und an die Verfassung gebundenen Steuerrechtsschutz, der auch die Vorgaben des europäischen Rechts berücksichtigt. Diese Tatsache darf aber nicht dazu führen, dass man das dunkelste Kapitel des Gerichtshofs verdrängt, das im Dritten Reich geschrieben wurde. Nicht zuletzt deshalb fordert der heutige Präsident des BFH, Prof. Dr. Mellinghoff, weiterhin, dass im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung durch Rechtshistoriker die Tätigkeit des RFH in der Zeit des Nationalsozialismus aufgearbeitet wird.

Die Geschichte des Bundesfinanzhofs

Die Geschichte des RFH begann gegen Ende des Ersten Weltkriegs, als das Reich dringend Geld brauchte und die Umsatzsteuer einführen wollte, damals noch als „Reichs- und Stempelsteuer“. So wurde der RFH praktisch im Felde gegründet und von Kaiser Wilhelm II. am 26. Juni 1918 durch das Gesetz über die Errichtung eines Reichsfinanzhofs und über die Reichsaufsicht für Zölle und Steuern mit Standort in München ins Leben gerufen. Dahinter stand die Intention, bei Zweifelsfragen im Bereich des rechtseinheitlich geltenden Umsatzsteuergesetzes die Regeln zum Wohle der Steuerpflichtigen einheitlich beziehungsweise verbindlich auszulegen. Der RFH war seinerzeit noch kein vollständig unabhängiges Gericht. Man muss ihm aber zugutehalten, dass der RFH die Dogmatik des Steuerrechts, vor allem aber auch die des Bilanzrechts maßgeblich geprägt hat. In Zeiten aber, in denen sogar in der Europäischen Union (EU) in einigen Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet ist beziehungsweise Richter gegen ihren Willen entlassen werden, kann bei einem historischen Rückblick die Zeit des Nationalsozialismus leider nicht ausgeblendet werden. Ab 1933 jedenfalls nahm das Gericht seine Aufgabe als unabhängig wirkendes Organ nicht mehr wahr. Es ordnete sich zunehmend dem Reichsfinanzministerium (RFM) unter. In dieser Zeit betätigte sich der RFH quasi als verlängerter Arm des RFM und bejahte abstruse und menschenverachtende Rechtsvorstellungen. Neben Entscheidungen zum Nachteil von Steuerpflichtigen jüdischer Abstammung ergingen die Unrechtsurteile schwerpunktmäßig bei der steuerlichen Beurteilung von Kirchen, Religionsgemeinschaften und geistlichen Orden. Mit den verabscheuungswürdigen Unrechtsurteilen gegen Juden sowie der unsäglichen Rolle bei der Benachteiligung und Enteignung von Klöstern und Kirchen allein war es aber nicht getan. Während dieses verstörenden Teils der 100-jährigen Geschichte des Gerichtshofs, als das Steuerrecht zur Vertreibung der Juden missbraucht wurde, wirkte der RFH insgesamt dabei mit, das Recht nach des Führers Wünschen zu brechen. Die Willkür der Nazis traf auch die Richter selbst. Prof. Dr. Herbert Dorn, ein hoch angesehener Jurist und Wirtschaftswissenschaftler sowie Mitentwickler der Doppelbesteuerungsabkommen, war ab 1931 Präsident des RFH. Nach der Machtergreifung Hitlers wurde er aber aufgrund seiner jüdischen Abstammung aus dem Amt gejagt und entkam über die Schweiz und Kuba nach Amerika. Weitere Richter mussten das Gericht aus dem gleichen Grund verlassen. Zwei von ihnen wurden in Konzentrationslager deportiert, Rolf Grabower überlebte Theresienstadt, Franz Oppens hingegen kam in Auschwitz um. So wurde mit Dr. Ludwig Mirre am 1. April 1935 bereits der vierte Gerichtspräsident ernannt. Kurze Zeit vor seiner Ernennung erteilte Mirre die Weisung, Hitler steuerfrei zu belassen, dessen Steuerakten wegzuschließen, weil sein Status als Führer eine Veranlagung unmöglich mache. Als Gegenleistung dafür erhielt Mirre aus dem Reichskanzleramt jährliche Zuwendungen. Auf einer Ausstellung im historischen Gebäude des BFH, die noch bis zum Jahresende für die Öffentlichkeit zugänglich ist und auf der Personen, die Rechtsprechung sowie Gebäude aus 100 Jahren gezeigt werden, wird natürlich auch auf dieses dunkelste Kapitel der deutschen Steuerrechtsprechung eingegangen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Oberste Finanzgerichtshof (OFH) ab Juli 1945 in der amerikanischen Besatzungszone, zunächst unter alliiertem Recht stehend, als Beschwerdeinstanz tätig und führte so die Steuerrechtsprechung in den Gebäuden des RFH fort. Der damalige Präsident, Dr. Heinrich Schmittmann, hatte die Aufgabe, eine unabhängige Finanzgerichtsbarkeit wieder aufzubauen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und zudem für die Entnazifizierung zu sorgen. 1950 schließlich wurde der BFH als erster der insgesamt fünf obersten Gerichtshöfe des Bunds nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland errichtet, er war jedoch immer noch nicht vollständig unabhängig. Dies wurde erst mit Inkrafttreten der Finanzgerichtsordnung im Jahre 1965 erreicht, als man eine dem Grundgesetz (GG) in jeder Hinsicht entsprechende Gerichtsverfassung verwirklichte.

Die Bedeutung des Bundesfinanzhofs

In heutiger Zeit hat das Gericht, über Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verfassungsrechtlich legitimiert, eine enorme Bedeutung, vor allem bei der Auslegung von Steuergesetzen. Über 2.000 Verfahren gehen pro Jahr neu beim BFH ein, der mit Blick auf das immer komplexer werdende Steuerrecht sowohl als Antreiber für neue Differenzierungen wie auch als pragmatisches Korrektiv dient. 59 Richter am BFH sind angehalten, Planungssicherheit zu schaffen. Manche Fragen muss das Bundesverfassungsgericht klären, wiederum andere sind gar dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen. Bekannte Entscheidungen des BFH waren die Urteile zur Pendlerpauschale, zu den häuslichen Arbeitszimmern oder zur doppelten Haushaltsführung. Mehr und mehr aber betreffen die zu klärenden Fragen auch Aspekte aus der Wirtschaft. Eines der wichtigsten Urteile der jüngsten Vergangenheit war die des Großen Senats und hatte weitreichende Auswirkungen auf die Sanierung von Unternehmen. Bei dieser Entscheidung stellte sich der BFH gegen das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und warf ihm auch vor, die Gewaltenteilung zu missachten. Insgesamt aber ist das Verhältnis zwischen Exekutive und Judikative als entspannt zu bezeichnen, denn das BMF hält sich spürbar zurück, die BFH-Urteile durch Nichtanwendungserlasse zu konterkarieren. So darf man dem BFH zu seinem runden Geburtstag tatsächlich gratulieren – aber ist er wirklich erst 100 Jahre alt? Denn eine Finanzrechtsprechung gibt es eigentlich schon seit dem Mittelalter. 1495 wurde beim damaligen Reichskammergericht der sogenannte Untertanenprozess eingeführt. Historische Quellen belegen, dass rund zehn Prozent des Arbeitsaufkommens auf Streitigkeiten der Bürger zurückgingen. Dabei ging es um die Festsetzung des sogenannten Gemeinen Pfennigs. Daher lautet mein (nicht ganz ernst gemeinter) Glückwunsch: Alles Gute BFH zum 523. Geburtstag!

Fotos: egal, rclassenlayouts / Getty Images

Zum Autor

Robert Brütting

Rechtsanwalt in Nürnberg und Fachjournalist Recht sowie Redakteur beim DATEV magazin

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