Organschaft - 20. September 2018

Präzision im Recht der Ertragsteuer

In Er­man­ge­lung eines deutschen Kon­zern­steuer­rechts ist die Or­gan­schaft ein in der Praxis äußerst be­deut­sames Rechts­ins­ti­tut. Seine Konturen wurden im ver­gan­ge­nen Jahr durch mehrere Ent­schei­dun­gen des Bun­des­fi­nanz­hofs präzisiert.

Ziel der ertragsteuerlichen Organschaft ist es, das steuerliche Einkommen beziehungsweise den Gewerbeertrag der Organgesellschaft der Organträgerin zuzurechnen. Damit kann ein Ausgleich von Gewinnen mit Verlusten innerhalb des Konzerns erreicht werden. Dass die Organschaft als steuerliches Institut (Einkommenszurechnung) tatbestandlich auf das Zivilrecht (Abschluss eines wirksamen Ergebnisabführungsvertrags – EAV) sowie das Handelsrecht (ordnungsgemäße Ergebnisermittlung und Durchführung des EAV über die gesamte Mindestlaufzeit) rekurriert, birgt zahlreiche Fallstricke für die Praxis. 2017 hat der Bundesfinanzhof (BFH) daher in drei Revisionsverfahren die Konturen des Rechtsinstituts der Organschaft präzisiert.

Zivilrechtlich wirksamer Ergebnisabführungsvertrag

Im Zentrum des ersten BFH-Urteils (Urteil vom 23.08.2017 – ­I R 80/15) steht die Bedeutung eines zivilrechtlich wirksamen EAV für die ertragsteuerliche Organschaft. Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde. Die Klägerin schloss mit ihrer Alleingesellschafterin im März 2006 einen EAV, mit dem ab dem Wirtschaftsjahr 2006 eine Organschaft begründet werden sollte. Die Gesellschafterversammlungen der beiden Gesellschaften stimmten dem Vertrag im September / Oktober 2006 zu. Am 24. Oktober 2006 wurde beim Registergericht die Eintragung des EAV angemeldet. Aufgrund einer Verkettung verschiedener Umstände, die allesamt vom Registergericht zu verantworten waren, erfolgte die Eintragung des EAV indes erst im Januar 2007.
Eine ertragsteuerliche Organschaft setzt einen zivilrechtlich wirksamen EAV voraus. Zivilrechtlich wirksam wird ein EAV (erst) mit seiner Eintragung im Handelsregister (§ 294 Abs. 2 Aktiengesetz – AktG, gilt für die GmbH analog). Die Eintragung hat konstitutive Wirkung und wirkt weder auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags noch auf den Zeitpunkt der Handelsregisteranmeldung zurück. Indes kann die Laufzeit des EAV auf den Beginn des Wirtschaftsjahrs zurückbezogen werden, in dem er im Handelsregister eingetragen wird (§ 14 Abs. 1 Satz 2 KStG).

Entscheidungsgründe

Dem stehe zum einen der eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegen, der sich auch nicht teleologisch erweitern lasse.

Vor diesem Hintergrund lehnte der BFH den Beginn der Organschaft ab dem Wirtschaftsjahr 2006 ab. Dem stehe zum einen der eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegen, der sich auch nicht teleologisch erweitern lasse. Auch scheitere mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG eine Billigkeitsregelung: So habe sich der Gesetzgeber mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 16. Mai 2003 (BGBl. I 2003, S. 660) bewusst von der seinerzeit geltenden Rechtslage verabschiedet, die eine Eintragung des EAV im folgenden Wirtschaftsjahr als ausreichend erachtete. Damit mangele es auch an dem für eine sachliche Billigkeitsmaßnahme erforderlichen Überhang des Gesetzes über die Wertungen des Gesetzgebers. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Verzögerung der Eintragung des EAV ins Handelsregister durch das Registergericht zu verantworten war (infolge der Verlegung von Akten oder von Verzögerungen aufgrund der Umstellung auf eine elektronische Registerführung).

Praxis- und Beratungshinweise

War in dem EAV eine erstmalige Kündigungsmöglichkeit des Vertrags (nach fünf Zeitjahren) auf den 31. Dezember 2010 vereinbart, hätte der EAV formwirksam geändert und neuerlich zur Eintragung im Handelsregister angemeldet werden müssen, weil er andernfalls das Merkmal der Mindestlaufzeit (fünf Zeitjahre) nicht mehr erfüllte (da die Organschaft nicht ab dem Wirtschaftsjahr 01.01.2006 begann).

Mindestlaufzeit und finanzielle Eingliederung

Gegenstand des zweiten Urteils (BFH, Urteil vom 10.05.2017 – I R 19/15) ist die Reichweite der umwandlungssteuerlichen Rückwirkungsfiktion für das Merkmal der Mindestlaufzeit eines EAV und der finanziellen Eingliederung. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die A-GmbH (Organgesellschaft) wurde mit notariellem Vertrag vom Februar 2005 neu als Vorratsgesellschaft gegründet. Im August 2005 kaufte die B-Holding-GmbH (Organträger) sämtliche Anteile an der ­A-GmbH und schloss mit ihr einen Beherrschungs- und Gewinn­abführungsvertrag ab, der noch 2005 im Handelsregister eingetragen wurde. Der EAV sollte ab dem 1. Januar 2005 gelten und konnte erstmals mit Ablauf des 31. Dezember 2009 gekündigt werden. Zudem hatte die B-Holding-GmbH im August 2005 mit steuerlicher Rückwirkung zum 1. Januar 2005, 0 Uhr, einen steuerlichen Teilbetrieb nach § 20 Umwandlungssteuergesetz (UmwStG) auf die Organgesellschaft ausgegliedert. Die Organschaft sollte ab dem Wirtschaftsjahr 2005 beginnen. Das Finanzamt versagte die Anerkennung der Organschaft, da – infolge des Rumpfwirtschaftsjahrs für die A-GmbH in 2005 – die Mindestlaufzeit von fünf (Zeit-)Jahren für den EAV nicht erfüllt sei. Zudem hatte die Vorinstanz, das FG Düsseldorf (Urteil vom 03.03.2015 – 6 K 4332/12 K, F), die Wirksamkeit einer Organschaft für einen Zeitraum vor zivilrechtlicher Existenz der Organgesellschaft abgelehnt.

Entscheidungsgründe

Dem erteilte der BFH – unter Hinweis auf die umwandlungssteuerliche Rückwirkungsfiktion – zunächst eine Absage. Zwar sei das erste Wirtschaftsjahr der neu gegründeten A-GmbH ein Rumpfwirtschaftsjahr. Jedoch unterliege die Rückwirkung eines EAV auf den Beginn des Wirtschaftsjahrs des Vertragsabschlusses auch dann weder zivil- noch steuerrechtlichen Bedenken, wenn die Rückwirkungsfiktion auf einen Zeitpunkt vor der (unterjährigen) Gründung der Organgesellschaft, also vor ihrer zivilrechtlichen Entstehung, wirke. Die Besonderheit des Streitfalls war, dass Teil des abzuführenden Gewinns der A-GmbH auch das dieser zuzurechnende Ergebnis des ausgegliederten Teilbetriebs der B-Holding-GmbH für den Rückwirkungszeitraum – also vom 1. Januar 2005 bis zum Beginn des Rumpfwirtschaftsjahrs der A-GmbH – war. Damit führe die Organgesellschaft ihr gesamtes Einkommen für das (gesamte) Wirtschaftsjahr ab, in dem der EAV wirksam werde.
Dennoch scheiterte die Organschaft für 2005 an der finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft in die Organträgerin. Denn nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG muss der Organträger an der Organgesellschaft auch vom Beginn ihres Wirtschaftsjahrs an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht. Im konkreten Fall erwies sich als Fallstrick, dass die B-Holding-GmbH die Anteile der A-GmbH im August 2005 entgeltlich erwarb (Kauf) und sie – anders als bei einer umwandlungssteuerlichen Übertragung – nicht in die Rechtsstellung des Veräußerers der Anteile (Gesamtrechtsnachfolge) eintrat.

Praxis- und Beratungshinweise

Die finanzielle Eingliederung ist ein tatsächliches Verhältnis, das einer Rückwirkung nicht zugänglich ist.

Ausgleichszahlungen und Verlustübernahme

In dem dritten Urteil (BFH, Urteil vom 10.05.2017 – I R 93/15) befasste sich der BFH mit der Zulässigkeit variabler Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter sowie einer unterbliebenen Anpassung der erforderlichen Verlustübernahme-vereinbarung im EAV (hier: § 302 Abs. 4 AktG) mit einer Organgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Als Mehrheitsgsellschafterin (51 Prozent) schloss die A-GmbH mit der C-GmbH am 30. November 2004 einen EAV ab. Die B-GmbH als Minderheitsgesellschafterin (49 Prozent) der C-GmbH erhielt eine jährliche Ausgleichszahlung bestehend aus einem Fixbetrag und einem variablen Betrag, der sich nach dem Ertrag der Organgesellschaft (nicht: des Organträgers) bestimmte. Zudem wurde in dem EAV entsprechend dem seinerzeitigen Rechtsstand nur die entsprechende Anwendung des § 302 Abs. 1 und 3 AktG vereinbart (Verlustübernahme). Eine Anpassung des EAV an die vom Gesetzgeber mit Wirkung zum 15. Dezember 2004 neu eingefügte Verjährungsregelung des § 302 Abs. 4 AktG unterblieb. Das Finanzamt lehnte die Anerkennung der Organschaft ab, da die C-GmbH in den Streitjahren 2004 bis 2007 nicht ihren gesamten Gewinn an die A-GmbH abgeführt habe. Die Ausgleichszahlungen zwischen 56 und 63 Prozent des gesamten Jahresüberschusses der C-GmbH entsprachen realiter einer Art Gewinnverwendung an die B-GmbH.

Entscheidungsgründe

Der BFH stellt zunächst klar, dass die Vereinbarung variabler Ausgleichszahlungen der Anerkennung einer Organschaft grundsätzlich nicht entgegenstehe. Indes dürfe die tatsächliche Durchführung der Gewinnabführungsverpflichtung durch eine Koppelung der Ausgleichszahlung an das Ergebnis der Organgesellschaft vor Gewinnabführung nicht konterkariert werden. Jedenfalls dann, wenn – wie im Streitfall – die Regelung der Ausgleichszahlung bei wertender Betrachtung darauf abziele, die Gesellschafter des Organträgers finanziell im Wesentlichen so zu stellen, wie sie ohne Organschaft gestanden hätten, mangele es an einer Abführung des ganzen Gewinns an den Organträger.
Darüber hinaus muss ein EAV nach § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG a. F. eine dem § 302 AktG entsprechende Regelung zur Verlust-übernahme durch den Organträger enthalten und während der gesamten fünfjährigen Geltungsdauer des EAV durchgeführt werden. Seit Einfügung von Abs. 4 in § 302 AktG ist auch dieser explizit in die Verlustübernahmevereinbarung mit einzubeziehen. Dies gelte auch für eine GmbH (§ 301 AktG analog). Die für diese Fälle eingeführte Heilungsmöglichkeit hätte bis zum 31. Dezember 2014 erfolgen müssen (§ 34 Abs. 10b Satz 2 KStG). Eine von der Finanzverwaltung eröffnete Nichtbeanstandungsregelung (BMF-Schreiben vom 16.12.2015, BStBl. I 2006, S. 12) für vor dem 1. Januar 2006 geschlossene (Alt-) EAV, die keinen ausdrücklichen Verweis auf § 302 Abs. 4 AktG enthalten, binde die Gerichte nicht. Die Entscheidung betrifft insoweit nur Alt-EAV. Seit dem 26. Februar 2013 neu abgeschlossene EAV‚ mit einer Organgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH müssen einen dynamischen Verweis auf § 302 AktG enthalten (eine wörtliche Wiedergabe des § 302 AktG ist nicht per se schädlich, birgt aber Risiken).

Praxis- und Beratungshinweise

Bei variablen Ausgleichszahlungen an außenstehende Anteilseigner ist Vorsicht geboten. Das gilt umso mehr, als die Formel des BFH (Minderheitsgesellschafter des Organträgers dürfen finanziell im Wesentlichen nicht so gestellt werden, wie sie ohne Organschaft gestanden hätten) zu unscharf und streitanfällig ist. Empfehlenswerter erscheint deshalb die Vereinbarung einer ausschließlich fixen Ausgleichszahlung, die sich am Jahresüberschuss des Organträgers bemisst und gegebenenfalls in regelmäßigen Abständen angepasst wird. Der Gesetzgeber hat inzwischen auf das betreffende BFH-Urteil reagiert. Mit dem Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2018 soll in § 14 Abs. 2 KStG-E eine weitere Fiktion der ordnungsgemäßen Gewinnabführung für den Mindestbetrag nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG überschießende Ausgleichszahlungen eingeführt werden. Diese knüpft tatbestandlich an einen sogenannten Kaufmannstest an, der erkennbar zu künftigen (außer)gerichtlichen Auseinandersetzungen führen dürfte.

Resümee und Ausblick

Das Recht der ertragsteuerlichen Organschaft ist für deutsche Konzerne ein bedeutsames Rechtsinstitut. Für Steuerpflichtige und deren Berater jedoch birgt es zahlreiche Fallstricke mit erheblichen finanziellen (Haftungs-)Risiken. Die drei beleuchteten BFH-Entscheidungen haben zwar das Recht der Organschaft präzisiert. Sie fördern auch dessen „hochgradige Ausdifferenzierung“ und „Zersplitterung“ (Prinz/Keller, DB 2018, S. 401). Zu wünschen wäre aber, dass der Gesetzgeber das Recht der Organschaft vereinfacht, etwa durch eine Anknüpfung des Beginns der Organschaft an die Handelsregisteranmeldung (nicht: Eintragung!) oder eine Korrektur der Förmelei des BFH zu § 302 AktG.

Foto: RuthBlack / Getty Images

Zum Autor

PO
Prof. Dr. Peter Oser

Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in Stuttgart

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