Verhandlungstaktik - 18. Juli 2018

Verhandeln ist das halbe Leben

Wer ge­schickt und ef­fek­tiv ver­handelt, be­kommt, was er will. Ver­hand­lungs­taktiken sind auch für Steuer­be­rater im Umgang mit Man­danten, Finanz­beamten oder Bankern wichtig. Ein Gespräch mit dem Ver­hand­lungs­profi Prof. Dr. Jack Nasher über Orangen, schlechte Kom­pro­misse und darüber, was das alles mit einer guten Ehe zu tun hat.

DATEV magazin: Wie bereitet man sich am besten auf eine Verhandlung vor?

JACK NASHER: Bevor ich in eine Verhandlung gehe, muss ich zunächst wissen, wie die Alternative aussieht, wenn dieser Deal platzt. In Harvard hat man dafür den Terminus ­BATNA geprägt: Best Alternative To a Negotiated Agreement. Auf gut Deutsch: Plan B. Ich muss genau wissen, wie weit ich gehen kann. Und nach meiner Erfahrung ist das der wichtigste Punkt. Denn oft wissen die Leute gar nicht, was sie wollen, und reagieren nach Bauchgefühl am Verhandlungstisch und sagen oft Nein, wenn sie Ja sagen sollten, obwohl diese Alternative schlechter für sie ist, oder nur, weil sie die Person einfach nicht mögen.

Das Harvard-Konzept ist die Methode des sachbezogenen Verhandelns. Können Sie uns das bitte kurz erläutern?

Der Kern der Harvard-Methode ist schnell erklärt mit einem berühmten Beispiel: Zwei Schwestern streiten um eine Orange, es wird lauter und lauter, und schließlich greift die Mutter ein und schneidet die Orange in zwei Hälften – eine scheinbar gute Lösung. Aber eine Lose-lose-Situation, denn jede bekommt nur die Hälfte von dem, was sie eigentlich wollte. Und was wollen die beiden? Nun, die eine Schwester möchte sich einen Saft pressen, die andere aber möchte einen Kuchen backen und benötigt die Schale. Wie so oft in Verhandlungssituationen widersprechen sich die Interessen der beiden gar nicht – man muss nur fragen.

Was bedeutet das konkret?

Wichtig ist, die Interessen der beiden Verhandlungspartner zu ergründen, anstatt sich auf die Verhandlungspositionen zu kaprizieren. Positionen nämlich, so die Harvard-Methode, sind nichts anderes als Symptome von Interessen. Statt sich voreilig auf das zu konzentrieren, was ich oder der andere will, sollten wir einen Schritt zurücktreten und fragen, was unser eigentliches, dahinterstehendes Interesse ist.
Bei Verhandlungen in Anwaltskanzleien habe ich oft gehört: „Kommen Sie mir nicht mit dem Harvard-Konzept, das bedeutet Win-win. Wir vertreten aber nur eine Partei und möchten, dass diese gewinnt.“ Hier liegt häufig das grundlegende Missverständnis, dass wir denken, wenn der eine gewinnt, muss der andere verlieren.

Sie behaupten: „Jede Macht geht bei einem Deal von ­Ihnen aus.“ Eine gewagte These?

Wir neigen dazu, zu glauben, wir seien in der schwächeren Position. Beispiel: Als ich für Autozulieferer verhandelt habe, dachte ich, jetzt befinden wir uns in der ganz schwachen Position gegen mächtige Autohersteller wie BMW oder Daimler. Später habe ich für die mächtigen Autohersteller gearbeitet und gelernt, dass die sich gar nicht so mächtig fühlen. Die Autohersteller haben gesagt, wir können keine Autos bauen, wir sind völlig abhängig von den Zulieferern. Vielleicht beliefern die einen anderen Hersteller vor uns oder bieten denen ihre Innovationen zuerst an. Jeder denkt immer, der andere hätte mehr Macht in der Verhandlung.

Die Macht, die der andere über uns hat, ist immer die Macht, die wir ihm geben.

Woran liegt das?

An einer falschen Wahrnehmung. Wir sehen in Verhandlungen immer unsere eigenen Ängste und Zwänge und vergessen dabei, dass der andere einen guten Grund dafür hat, mit uns hier zu sitzen. Das ist in den meisten Fällen keine Gnade, sondern auch er will etwas von uns. Die Macht, die der andere über uns hat, ist immer die Macht, die wir ihm geben. Auch wenn er noch so hart verhandelt und mich einschüchtert: Wenn ich nicht mitspiele, hat er gar nichts.

Warum verlieren beide Seiten bei einem Kompromiss?

Die Definition von Kompromiss lautet, dass 100 Prozent aller Beteiligten 50 Prozent von dem aufgeben, was sie eigentlich wollen. Oder 40 oder 60 Prozent.
Ich habe den Virgin-Gründer Richard Branson einmal gefragt, wie er verhandelt und was für ihn eine gute Verhandlung ist. Er sagte, früher habe er den Fehler gemacht, sich auf Positionen zu beschränken und alles aus einem Deal herauspressen zu wollen. Jetzt weiß Branson, dass eine gute Verhandlung wie eine gute Ehe ist. Man sollte zusammen gedeihen und gegenseitig voneinander profitieren, also sich mit dem Verhandlungspartner hinsetzen und fragen, was kannst du mir geben, was für mich wertvoll aber für dich billig ist – und umgekehrt.

Warum ist die erste Zahl in einer Verhandlung entscheidend?

Egal, ob es um den Preis, Stundensatz oder die Anzahl an verkauften Beratungstagen geht. Man sollte den anderen niemals das erste Angebot machen lassen. Denn die erste Zahl, die im Raum steht, ist entscheidend. Am besten nennen Sie eine Zahl, die nahezu unverschämt ist. Ähnlich wie bei der Beweislastumkehr muss der Verhandlungspartner dann jeden Schritt nach unten begründen. Also, wenn ich die höchste Zahl – zum Beispiel einen Preis – in den Raum werfe, bin ich in der komfortablen Lage, dass der andere die Arbeit machen muss. Wenn umgekehrt jemand etwas von mir kaufen möchte, und er die erste sehr niedrige Zahl in den Raum wirft, dann wird es für mich sehr schwierig, die Zahl nach oben zu drücken.

Woran erkenne ich, dass ich gut verhandelt habe?

Ich habe gut verhandelt, wenn ich nahe an meinem Ziel bin. Ziele setzt man sich am besten sehr hoch. Mein Ziel erreiche ich fast nie. Wenn ich also besser als mein BATNA und relativ nah an meinem Ziel bin, dann war die Verhandlung erfolgreich. Wenn ich mein Ziel erreiche, dann ärgere ich mich, weil es dann zu niedrig gesetzt war.

Hört sich insgesamt an, als wäre Verhandeln etwas für ganz harte Jungs. Wie verhandeln denn Frauen?

Viele Frauen haben eine regelrechte Aversion gegen das Verhandeln. Es gibt irgendwie eine Bremse. Auch in der westlichen Welt. Es gilt nicht als ladylike, zu verhandeln und gerade Männern ihren Status streitig zu machen. Eine vielbeachtete Publikation mit dem Titel Women don‘t ask von Linda Babcock und Sara Laschever zeigt, dass 57 Prozent der Männer über ihr Einstiegsgehalt verhandeln, aber nur sieben Prozent der Frauen es ihnen gleichtun. Diejenigen, die handeln – ganz unabhängig vom Geschlecht – erhalten im Durchschnitt über 4.000 Dollar mehr im Jahr.

Wie lässt sich das ändern?

Ein einfacher Trick, um Frauen doch zum Verhandeln zu bringen, ist das Wort verhandeln zu vermeiden. „Fragen Sie nach mehr Gehalt“ statt „Verhandeln Sie über Ihr Gehalt“ klappt deutlich besser. Mit anderen Worten: Frauen handeln vor allem dann nicht, wenn der Begriff Verhandlung im Raum steht. Eine Reihe von Studien, wie die von Laura Kray und ihren Kollegen, haben gezeigt, dass Frauen viel besser darin sind, die Interessen des anderen zu ergründen – eine Schlüsselfähigkeit der effektiven Verhandlungsführung. Auch haben Frauen eher den Blick für das große Ganze, Männer hingegen wollen tendenziell gewinnen, was keine effektive Verhandlungsstrategie ist. Frauen sind eigentlich die besseren Verhandler, da sie sich nicht in Details und auf Nebenkriegsschauplätzen verzetteln. Sie müssen es nur tun.

Zum Schluss noch ein kurzer Ausblick: Wie werden wir in 20 Jahren verhandeln?

Einkäufer werden das sicher sehr technisch lösen, weil sie den menschlichen Faktor eliminieren wollen. Durch zwischenmenschliche Beziehungen kommt es oft zu Entgegenkommen. Ein Maß an Digitalisierung gibt es schon heute, gerade bei Großunternehmen, und sie wird in Zukunft sicher noch verstärkt auftreten. Aber sicherlich wird es noch viele Deals geben, bei denen die menschliche Komponente ausschlaggebend bleibt. Das will ich jedenfalls hoffen.

UNSER GESPRÄCHSPARTNER

PROF. DR. JACK NASHER

studierte und lehrte an der University of Oxford. Professor an der Munich Business School. Leitet das NASHER-Verhandlungsinstitut, das Seminare und Vorträge bietet, die Erkenntnisse aus den Bereichen Psychologie, Jura und Wirtschaft vermitteln. Er berät weltweit Unternehmen in Verhandlungsfragen. Seine Bücher erschienen von China bis Russland. Er war Gast in über 100 Radio- und TV-Sendungen, unter anderem Stern-TV, TV-Total und Planet Wissen.

Fotos: Jack Nasher

Zur Autorin

Monika Stuart-Houghton

Redaktion DATEV magazin

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