Platt­form­öko­nomie - 23. Mai 2018

Wirtschaft in Bewegung

Neue Geschäfts­modelle ver­ändern die Kom­mu­ni­ka­tion und die Be­zie­hun­gen zwischen Kunden und Anbietern – und das sehr erfolg­reich. Platt­formen sind auch ein Modell für Steuer­be­rater, Wirt­schafts­prüfer und Rechts­an­wälte, das viele neue Chancen er­öff­nen kann.

Wie kein anderes digitales Geschäftsmodell haben Plattformgeschäftsmodelle in den vergangenen Jahren die Machtverhältnisse in den Märkten verschoben. So ge­sche­hen bei Informationen (Google), in der Kom­mu­ni­ka­tion (Facebook), auf dem Reisemarkt (Booking.com, Airbnb) oder im Handel (Amazon, Alibaba). Sieben der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt arbeiten nach dem Plattformmodell, das längst nicht mehr auf Kon­su­men­ten­märkte beschränkt ist. Die Vorteile einer Plattform wie sinkende Transaktionskosten, mehr Transparenz und am Ende wachsende Märkte lassen sich auf beinahe alle Branchen übertragen – auch auf die Steuer­be­rater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte, die noch die Wahl haben, eigene Plattformmodelle aufzubauen, bevor Player aus angrenzenden Märkten wie das GLG-Netzwerk, Legalbase, Smartlaw, Sage oder Intuit die Gelegen­heit ergreifen.
Aufgrund ihrer Rahmenbedingungen ist die Steuerberatung gut für ein Plattformmodell geeignet. Ihre Dienst­leistungen sind komplex und die Anbieterstruktur heterogen. Entsprechend schwer fällt es den Kunden, den Markt zu überblicken und den besten Anbieter zu finden. Zudem unterliegen diese Dienstleistungen aufgrund der digitalen Technologien, vorhandener ­Informationssysteme, Standardisierungen und Auto­ma­ti­sierungen (wie Robotic-Process-Automation-Systeme bei der ­Beschaffung, Bearbeitung und Bereitstellung von Daten und Informationen) bei den Mandanten teilweise einem enormen Margendruck und müssen diesen durch höhere Einnahmen ausgleichen. Beide Aspekte liefern den aktuellen, aber noch mehr den künftigen Mandanten ge­nü­gend Anreize, eine Plattform zu nutzen.

Dominantes digitales Geschäftsmodell

Plattformen sind strategische Geschäfts­modelle mit viel­fältigen Märkten, Öko­systemen und Netz­werk­effekten, die Produkt­geschäfts­modelle ver­drängen und Markt­me­cha­nismen verändern.

Um den Erfolg der Plattformmodelle zu verstehen und den Markt­eintritt po­ten­zieller Konkurrenten zu antizipieren, lohnt zunächst ein Blick auf die Funktionsweise der Plattformen, bevor im Fol­gen­den die Einfallstore in den Markt der Steuer­be­rater, Wirt­schafts­prüfer oder Rechts­an­wälte geöffnet werden. Denn öko­no­mische Plattformen sind strategische Geschäftsmodelle mit vielfältigen Märkten, Öko­sys­temen und Netz­werk­effekten, die in der Regel Markt­me­cha­nismen ver­ändern. Um ihre Erfolge zu verstehen, müssen ihre Charakteristika klar sein:

  • Im Gegensatz zu den klassischen linearen Geschäftsmodellen basieren Platt­form­modelle auf Interaktionen zwischen Nachfrage und Angebot oder Produzent und Kunde. Obwohl klassische Produzenten weiterhin gebraucht werden, verlagert sich ein nicht zu unterschätzender Teil der Wertschöpfung von der Produktion auf die Interaktion. Somit werden klassische Pro­duk­tions­faktoren entwertet, das Wissen über Akteure und ihre Interaktionen dagegen aufgewertet.
  • Plattformen ziehen ihre Stärke aus den Interaktionsdaten und leiten daraus neue Ansätze für zwei- oder mehrseitige Märkte (inklusive der Netzwerkeffekte) ab. Nur wer voraussehen kann, wie eine Marktseite (Nachfrager) reagiert, kann das Geschehen auf der anderen Marktseite (Anbieter) anpassen. Eine Taxi-App wie Uber oder mytaxi muss wissen, wie stark ein Preisnachlass die Nachfrage ankurbelt, um parallel für genügend Angebot an Taxifahrern zu sorgen. Diese Auswirkung von einer auf die andere Marktseite wird als Netzwerkeffekt bezeichnet.
  • Plattformmodelle verändern die Märkte durch die Etablierung von Allianzen in den dynamischen Öko­sys­te­men und fokussieren auf die Elemente der Transaktion, Innovation und Interaktion. Oft schaffen gerade diese Allianzen die entscheidenden Wettbewerbsvorteile der Platt­formen gegenüber klassischen Anbietern, da sie nicht nur Kunden das Leben erheblich leichter machen, sondern neue Werteströme und neue Netz­werk­effekte zwischen den ­Anbietern erzeugen. Im Ergebnis machen alle Partner im Ökosystem mehr Geschäft als vorher und können die klassischen Anbieter vom Markt verdrängen.
  • Einmal etabliert sind Plattformen in der Lage, durch die Nutzung der dynamischen Ökosysteme und Allianzen neue Märkte zu modellieren und bestehende Me­cha­nis­men zu verändern, was in der Regel zu einer Ver­la­ge­rung der Handelsplätze und damit auch des Kapitals führt.

Plattformmodelle für den Berufsstand

In der Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung und Rechtsberatung etablieren sich derzeit ebenfalls moderne Plattform­modelle. Beispiele sind:

  • Plattformen für die Vermittlung von Experten
  • Billing-Plattformen mit angedocktem Management-Cockpit und Finanzplanungslösungen
  • Tax-Plattformen mit angedockten Ökosystemanbietern für Steuerberatung
  • Legaltech-Plattformen für einfache Produkte und Services im Bereich der Rechts­be­ratung mit Verbindung zu den Rechtsanwälten und Rechtsanwaltskanzleien
  • Personal-, Equity-Finance- oder Investment-Plattformen mit angedockten Dienst­leistern zu unterschiedlichen Bedürfnissen der Kunden wie Finanz- oder In­vest­ment­beratung.

Interessante Beispiele sind das GLG-Netzwerk, in dem unterschiedliche Beratungs­experten mit den Kunden zusammengebracht werden, Legalbase oder Smartlaw, die als Rechtsberatungsplattformen einfache Legal-Produkte standardisiert anbieten, Eden MacCallum, die als Plattform unterschiedliche Beratungskompetenzen in einem zwei- und mehrseitigen Markt zusammenbringt, CATALANT, eine Plattform, die mittlerweile 40.000 Topexperten mit den Kunden und einem entsprechenden Ökosystem verbindet, oder Softwareanbieter wie Sage, Xero oder Intuit, die mittels Software in Richtung Plattformökonomie vordringen.
Dabei können selbst kleine Plattformen durch intelligente Ökosystem­interaktionen und -netzwerkeffekte neue Märkte, Möglichkeiten und Geschäftsmodelle entstehen lassen oder die Branche verändern: Geschäfts­felder werden möglicherweise ersetzt, ver­än­dert oder erneuert.
Hierbei gibt es für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte sowohl Chancen als auch Risiken. Eine Plattform kann neben der herkömmlichen Geschäfts­an­bahnung etabliert werden. Sich ausschließlich auf das herkömmliche Modell zu konzentrieren und sich nicht mit Plattformökonomien zu beschäftigen, ist vor dem Hintergrund der bereits erfolgten Verschie­bungen in anderen Märkten nicht empfehlenswert.

Blueprint und Plattformgeschäftsmodelle

Grundsätzlich können unterschiedliche plattformökonomische Szenarien und Geschäftsmodelle in der Industrie etabliert werden, die je nach Ausprägung auch ein nicht destruktives Potenzial haben, sondern gemein­schaft­liche, praktisch ge­nos­sen­schaf­tliche Züge vorweisen. Die folgenden Szenarien sind Beispiele für Ansätze, die je nach Strategie miteinander kombiniert werden können.

  1. Plattformen mit Fokus auf Teilung der Ressourcen, Kapazitäten und Fähigkeiten
    Hier bilden komplementäre Partner aus dem zuvor analysierten Ökosystem eine Allianz, um folgende Kernelemente zu bündeln und zu teilen:

    • Bündelung und Teilung der Ressourcen der Shared-Services-Anbieter im Bereich Finance and Accounting, Human Resources oder sonstige steuerberatungs-, wirtschafts­prüfungs- oder rechtsberatungsnahe Querschnittsfunk­tionen
    • Kapazitäten der Anbieter aus Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung und Rechts­be­ratung (Fähigkeiten oder Ressourcen)
    • Fähigkeiten wie die Nutzung komplementärer Einheiten (Schulungen und Seminare), Teilung von Erfahrung im Rahmen einer Wertschöpfung
  2. Plattformen mit Fokus auf Produkt- und Serviceallianz
    Ein weiteres Szenario bilden die Allianzplattformen, die Produkte und Services der Ökosystempartner kom­ple­men­tär miteinander ergänzen. Der Plattformbetreiber ermöglicht den Ökosystempartnern, ihre Produkte und Services auf unterschiedlichen Ebenen und mit mehreren Diversifikationsansätzen (horizontal oder vertikal) gezielt über die Plattform miteinander zu kombinieren und ihren Kunden anzubieten. Diese Allianzen stärken auf der einen Seite die gemeinsame Wertschöpfung und auf der anderen Seite die Portfolio- und Sortimentsgestaltung der Partner. Mehr Port­fo­lio­angebot führt zu einer besseren Markt- und Bedarfs­ab­deckung der Kunden, was wiederum mehr In­ter­ak­tionen und zuletzt steigende Einnahmen durch mehr Netzwerkeffekte zur Folge hat.
    Neben den bestehenden Allianzen können über Plattformen ähnlich wie in Öko­systemen auch Allianzen mit Unternehmensberatungen, Gutachtern, Software-Anbietern, Asset- Management-Anbietern, Ver­siche­rungs­dienst­leistern und Banken etabliert werden, die unterschiedliche Varianten und Möglichkeiten der Kom­ple­men­tär­lösungen ermöglichen.
  3. Plattformen mit Fokus auf Veränderung der Markt­mechanismen und Ökosysteme
    Diese Plattformen zielen vorrangig auf die Verlagerung der Interaktions- und Handelsmechanismen ab: Der Platt­form­betreiber führt Ökosystempartner zusammen, die über Marktmacht und hohen Kundenzugang verfügen. Die Zu­sam­menführung solcher Allianzpartner erweitert den Marktzugang und die Anzahl der indirekten Kunden, also der Kunden des Ökosystempartners, noch weiter. Die Folge sind wiederum mehr Inter­ak­tionen bei den Kunden der Partner, was ebenfalls zu mehr Einnahmen durch die Netzwerkeffekte führt – die Marktmacht steigt, Wertschöpfung wird aus klassischen Geschäftsmodellen abgesaugt, klassische Player vom Markt verdrängt.
    Einige Plattformen, etwa CATALANT in den USA oder ­Alibaba in China, etwa mit Lösungen im Bereich Audit, verändern und verlagern solche Marktmechanismen auf durchaus aggressive Weise, um über die Verlagerung der Interaktionen und Transaktionen beispielsweise nicht regulierte Beratungs- oder Audit-Leistungen in­di­rekt durch die Netzwerkeffekte zu erhalten und klassische Märkte anzugreifen. Doch auch hier liegt eine Chance: Eine Plattform für alle Anbieter der Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung und Rechtsberatung könnte beispielsweise eine wesentliche Marktmacht etablieren, indem neue oder zusätzliche Allianzen (unter anderem aufbauend auf bestehende Lösungen) etabliert und damit alle Ökosystempartner gestärkt werden.
  4. Plattformen mit Fokus auf Software-Lösungen, Daten und Technologie
    Hier führt der Plattformbetreiber unterschiedliche Ökosystempartner mit IT-Fokus zusammen, die (unter Be­rück­sich­ti­gung der geltenden Datenschutzrichtlinien) ihre komplementären Daten wie anonymisierte Benchmarkdaten ge­mein­sam nutzen, analysieren, partnerübergreifend Erkenntnisse daraus erzielen und diese wiederum im Tages­ge­schäft einsetzen, um etwa datengetriebene Produkte und Services zu entwickeln.
    Ist das Plattformgeschäftsmodell ausgearbeitet, steht die Umsetzung an. Dabei gilt: Hoffnung ist keine Strategie!

Grundsätzlich sind folgende Modelle denkbar:

Ein eigenes Plattformgeschäftsmodell aufbauen: Empfehlenswert für Unternehmen, die als Plattforminitiator und Vorreiter auf dem Markt Plattformmodelle etablieren wollen.

  1. Eine Plattform mit weiteren Partnern aufbauen: Dieses Modell ist geeignet für Plattforminitiatoren, die im Vorfeld komplementäre Elemente miteinander verbinden und eine gemeinsame Strategie verfolgen.
  2. Bestehende Plattformen als Absatzkanal nutzen: Grundsätzlich empfiehlt es sich, dass jedes Unternehmen die existierenden Plattformen als einen weiteren Absatzkanal im Rahmen der Absatzkanalstrategie nutzt.
  3. Plattformen bieten also auch Chancen, klassische Geschäftsmodelle zu ergänzen und innerhalb einer Branche zum Nutzen aller zusammenzuarbeiten. Wer früher beginnt, hat bessere Chancen, den Veränderungen der Märkte aktiv entgegenzutreten.

Fotos: GlobalStock, jaroon, kupicoo / Getty Images

Zu den Autoren

HH
Hamidreza Hosseini

Experte für Plattformökonomie, Start-up-Gründer, Dozent an der WHU und Keynote Speaker. Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Beratung und als Manager in einem DAX-Konzern. 2016 gründete er die ECODYNAMICS GmbH mit den Schwerpunkten Plattformökonomie und digitale Geschäftsmodelle.

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Dr. Holger Schmidt

Digital Economist, General Manager der ECODYNAMICS GmbH, Dozent und Buchautor. Der Journalist war 15 Jahre Wirtschafts­redakteur der F.A.Z. Heute ist er Speaker für die digitale Ökonomie und lehrt an der TU Darmstadt. Seine Schwerpunktthemen sind Plattform­ökonomie und künstliche Intelligenz.

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