Bei elektronischen Aufzeichnungssystemen spielt die Verfahrensdokumentation eine besondere Rolle. Fehlt diese, kann es bei Betriebsprüfungen in vielen Fällen zu Zuschätzungen kommen. Aber warum legt die Finanzverwaltung so viel Wert darauf und ist die Pflicht zur Erstellung einer Verfahrensdokumentation für die Praxis ein Novum?
Nach § 238 Abs. 1 Satz 2 HGB muss die Buchführung von Kaufleuten einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln. Dieser Grundsatz der Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit gilt auch für die steuerlichen Aufzeichnungspflichten (siehe § 145 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung – AO), zu denen auch die Kassenaufzeichnungen zählen.
Die Verfahrensdokumentation ist für Prüfungszwecke zehn Jahre aufzubewahren.
Die Prüfungsdienste/Amtsträger der Finanzverwaltung müssen somit sowohl im Rahmen von Außenprüfungen im Sinne des § 193 AO (Betriebsprüfung, Umsatzsteuer-Sonderprüfung und Lohnsteuer-Außenprüfung) als auch bei Nachschauen (Umsatzsteuer-Nachschau, § 27b Umsatzsteuergesetz – UStG; Lohnsteuer-Nachschau, § 42g Einkommensteuergesetz – EStG; Kassen-Nachschau, § 146b AO) in der Lage sein, sowohl einzelne Geschäftsvorfälle (Einzelprüfung) zu prüfen als auch eine Verfahrens- oder Systemprüfung an den elektronischen Aufzeichnungssystemen vornehmen zu können. Zu den elektronischen Aufzeichnungssystemen gehören insbesondere elektronische und computergestützte Kassensysteme und Registrierkassen.
Die Verfahrensdokumentation ist somit die Basis, um dem Amtsträger den notwendigen Überblick über die eingerichteten und praktizierten Verfahrensabläufe zu verschaffen und auch den Grundsatz der Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit sicherzustellen. Sie gehört darüber hinaus zu den sonstigen Organisationsunterlagen nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO und ist somit für Prüfungszwecke zehn Jahre aufzubewahren.
Verfahrensdokumentation im digitalen Zeitalter
Wie hat sich die Anforderung an die Erstellung einer Verfahrensdokumentation durch die Digitalisierung im Bereich der elektronischen Aufzeichnungsgeräte entwickelt? Ein Novum ist sie wahrlich nicht.
Schon im Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 7. November 1995 (IV A 8-S 031652/95, FMNR481000095) zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme (GoBS) wird auf die Bedeutung einer aussagefähigen Verfahrensdokumentation hingewiesen. Danach müssen Inhalt, Aufbau und Ablauf des Abrechnungsverfahrens vollständig ersichtlich sein.
Die 1. Kassenrichtlinie (BMF-Schreiben vom 09.01.1996, IV A 8-S 0310-5/95, FMNR022000096) zum Verzicht auf die Aufbewahrung von Kassenstreifen bei Einsatz elektronischer Registrierkassen weist explizit darauf hin, dass nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO die zu elektronischen Kassen und somit auch zu den heutigen elektronischen Aufzeichnungssystemen gehörenden Organisationsunterlagen, insbesondere
- die Bedienungsanleitung,
- die Programmieranleitung,
- die Programmabrufe nach Änderungen (u. a. Artikelpreise),
- die Protokolle über die Einrichtung von Verkäufer-, Kellner- und Trainingsspeichern und Ähnlichem sowie
- alle weiteren Anweisungen zur Kassenprogrammierung (zum Beispiel Anweisungen zum maschinellen Ausdrucken von Proformarechnungen oder zum Unterdrücken von Daten und Speicherinhalten)
aufzubewahren sind.
Die 2. Kassenrichtlinie (BMF-Schreiben vom 26.11.2010, IV A 4-S 0316/08/10004-07, FMNR605000010) zur Aufbewahrung digitaler Unterlagen bei Bargeschäften verweist auch auf die wichtige Bedeutung der Aufzeichnung und Aufbewahrung im Rahmen einer Verfahrensdokumentation, ohne den Begriff als solchen explizit zu verwenden.
Im BMF-Schreiben vom 14.11.2014 (IV A 4-S 0316/13/10003, FMNR512000014) zu den Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) wurden die Anforderungen an eine aussagefähige Verfahrensdokumentation aktualisiert und für den Einsatz im digitalen Zeitalter konkretisiert.
Auch der Bundesfinanzhof kommt in seinem Urteil vom 25. März 2015 (X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743) zu dem Ergebnis, dass bei einem programmierbaren Kassensystem – was einem elektronischen Aufzeichnungssystem nach § 1 Abs. 1 KassSichV gleichzusetzen ist – das Fehlen der aufbewahrungspflichtigen Betriebsanleitung sowie der Protokolle nachträglicher Programmänderungen einen gravierenden formellen Mangel darstellt. Dieser Mangel allein berechtigt bereits zu einer Hinzuschätzung.
Die aufgeführten Verwaltungsanweisungen und höchstrichterliche Rechtsprechung zeigen die aktuell hohe Bedeutung der begleitenden organisatorischen Unterlagen und insbesondere des Vorhandenseins einer aussagefähigen Verfahrensdokumentation, um im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung oder einer Nachschau keine Überraschungen zu erleben.
Aufbau und wesentliche Inhalte einer Verfahrensdokumentation
Nach den GoBD (Tz. 152) kommt der Verfahrensdokumentation die Aufgabe zu, den organisatorisch und technisch gewollten Prozess von der Entstehung der Information über die Indizierung, Verarbeitung und Speicherung der elektronischen Dokumente, dem eindeutigen Wiederfinden und der maschinellen Auswertbarkeit, der Absicherung gegen Verlust und Verfälschung sowie der Reproduktion zu beschreiben.
Somit besteht eine aussagefähige vollständige Verfahrensdokumentation aus einer allgemeinen Beschreibung, einer Anwenderdokumentation, einer technischen Systemdokumentation und einer Betriebsdokumentation.
Wie die Grobgliederung unten zeigt, kann eine Verfahrensdokumentation sehr umfänglich sein. Der Umfang richtet sich nach der Komplexität der betrieblichen Abläufe und der eingesetzten elektronischen Aufzeichnungssysteme. Alle Verfahrensdokumentationen haben eines gemein: Sie müssen die Prüfungsdienste der Finanzverwaltung in die Lage versetzen, vom Beleg bis zur Steuererklärung und umgekehrt von der Steuererklärung bis zum Beleg jeden Schritt nachvollziehen zu können. Die progressive und retrograde Prüfbarkeit ist das A und O der Betriebsprüfung.
Verantwortlich für die Erstellung einer aussagefähigen Verfahrensdokumentation, die Ordnungsmäßigkeit elektronischer Bücher, Aufzeichnungssysteme und sonst erforderlicher elektronischer Aufzeichnungen ist allein der Steuerpflichtige.
Dies gilt auch bei einer teilweisen oder vollständigen organisatorischen und technischen Auslagerung von Buchführungs- und Aufzeichnungsaufgaben auf Dritte (zum Beispiel Steuerberater oder Rechenzentrum, siehe GoBD, Tz. 2). Der Steuerberater ist jedoch sicherlich der kompetente Partner bei der Erstellung der Dokumentation und der Überprüfung der betrieblichen Abläufe.
Die nachfolgende Grobgliederung ist ein Beispiel für einen möglichen Aufbau einer Verfahrensdokumentation im Bereich der ordnungsmäßigen Kassenführung. Sie stellt keine abschließende Aufzählung oder Checkliste dar und ist für den Einzelfall zu ergänzen:
- Vorbemerkung und Hinweise zur Verfahrensdokumentation
- Zielsetzung und Aufbau
- Zielsetzung und Anwendungsbereich
- Angaben zum Unternehmen und zur Branche
- Organisatorisches Umfeld
- Abgrenzung der Bearbeitungsbereiche
- Auflistung der Zuständigkeiten
- Unterweisung der Mitarbeiter bezüglich der betrieblichen Abläufe und auf den sicheren Umgang mit den Kassendaten
- Sonstiges
- Eingerichtete Verfahren und betriebliche Abläufe im Zusammenhang mit der Kassenführung
- Ablaufbeschreibung Barverkauf
- Ablaufbeschreibung Verkauf auf EC-Karte/Kreditkarte
- Integration mit nach-/vorgelagerten Aufzeichnungs-/Warenwirtschaftssystemen
- Kassensturzfähigkeit/Umgang mit Kassenfehlbeträgen
- Erstellung Kassenbericht/Kassenbuch
- Archivierung der Kasseneinzeldaten
- Sonstiges
- Eingesetzte Hard- und Software
- Registrier-/PC-Kassensystem (Master-/Slave-Systeme)
- Offene Ladenkasse
- Software Kassenbuch/Kassenbericht
- Buchhaltungs-Software
- Server-Systeme zur Archivierung der Kassendaten
- Externe Peripheriegeräte (Drucker, Scanner)
- Sonstiges
- Allgemeine technische und organisatorische Sicherheitsmaßnahmen
- Zutrittskontrollen Betriebsräume
- Technische (Kennwort-/Passwortschutz) und organisatorische (Benutzerstammsatz) Maßnahmen hinsichtlich der Benutzeridentifikation
- Eingerichtete Kontrollen für die Übertragung, Übermittlung oder Archivierung der Kassendaten
- Schutz der Daten vor zufälliger Zerstörung oder Verlust
- Organisationskontrolle, Gewährleistung der besonderen Anforderungen des Datenschutzgesetzes
- Sonstiges
- Mitgeltende Unterlagen und Verweise auf begleitenden Dokumentationen
- Bedienungsanleitung, User Manual, Handbuch
- Programmieranleitung
- Erläuterung Datenbankmanagementsystem, -tabellen, -prozeduren
- Verfahrensdokumentation zur Digitalisierung von Buchungsbelegen
- Verfahrensdokumentation zur Belegablage
- Bericht über die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der eingesetzten Software
- Sonstiges
- Änderungshistorie der Verfahrensdokumentation
Foto: guigaamartins, Natalie-art / Getty Images
MEHR DAZU
Aktuell steht der Praxis keine abgestimmte Muster-Verfahrensdokumentation zur ordnungsmäßigen Kassenführung zur Verfügung, wie beispielsweise für die Themen der Digitalisierung von Buchungsbelegen und der geordneten Belegablage. Der Deutsche Fachverband für Kassen- und Abrechnungssystemtechnik e. V. hat sich diesem Thema angenommen und wird in 2018 mit Experten der Wirtschaft und Verwaltung eine entsprechende Muster-Verfahrensdokumentation zur ordnungsgemäßen Kassenführung erarbeiten und als Orientierungshilfe allen Steuerpflichtigen zur Verfügung stellen.