Sicht der Wirtschaft - 14. Dezember 2017

Unternehmen vor dem Wandel

KI wird die Arbeit in Steuerabteilungen revolutionieren. Davon zeigt sich Fritz Esterer, Vorstand der international agierenden Steuerberatungsgesellschaft WTS, im Interview überzeugt.

Herr Esterer, Sie kooperieren mit dem Deutschen Forschungs­zentrum für Künstliche Intelligenz. Warum?

Künstliche Intelligenz, kurz KI, wird den Steuerbereich massiv verändern. Davon bin ich überzeugt. Beispiele für KI-Einsatzbereiche sind etwa die korrekte steuerliche Beur­teilung von Sachzuwendungen oder die umsatzsteuerliche Rechnungsprüfung. Unsere Kooperation mit dem DFKI dient dem Zweck, umsetzbare und einsatzbereite KI-Lö­sungen für Steuerabteilungen zu schaffen, aber auch die Potenziale von KI im Bereich Steuer generell zu ermitteln und auszuschöpfen, wie in unserer gemeinsamen Studie geschehen.

Welchem Zweck diente diese Studie?

In Konzernen oder größeren Unternehmen müssen die Steuerabteilungen tagtäglich enorme Datenmengen bearbeiten. Ich denke dabei an die Bereiche Lohn- und Um­satz­steuer sowie Zoll, aber auch Verrechnungspreise. Gleichzeitig werden die Unternehmen mit immer komplexeren gesetzlichen Regelungen konfrontiert und haben zudem strenge Compliance- Vorgaben zu erfüllen. Und genau an diesem Punkt haben wir angesetzt. Mit selbstlernenden KI-Systemen wollten wir klassische Tax Tools weiterentwickeln, um so die automatisierte Verarbeitung von steuerrelevanten Massendaten zu verbessern.

Wie ist die Studie inhaltlich aufgebaut?

Wir haben in enger Zusammenarbeit mit den Industriepartnern Audi, Bosch, E.ON und Henkel sowie dem DFKI untersucht, welche KI-Schlüsseltechnologien Stan­dard­auf­gaben, aber auch anspruchsvollere Tätigkeiten im Steuerbereich unterstützen und automatisieren können. Dazu haben wir die angesprochenen Steuerarten näher unter die Lupe genommen, konkrete Anwendungsszenarien für KI-Technologien ausgemacht und erste Software-Prototypen entwickelt.

Um welche Prototypen handelt es sich dabei?

Insgesamt sind es fünf Prototypen, namentlich die inhaltliche Analyse von Steuer­anfragen, die Spracherkennung beziehungsweise das Sprachverständnis im Bereich Steuer, die Identifikation von argumentativen Strukturen, die maschinelle Übersetzung von Steuerfachtexten sowie das Erkennen von unbekannten Fehlern in Massendaten.

Können Sie das Erkennen von Fehlern näher beschreiben?

Mit der Software Detection können unbekannte Fehler und Anomalien in Massendaten erkannt werden. Ein Beispiel sind die Transaktionen im Bereich der Zölle. Das Be­son­dere: Die darin verankerten KI-Algorithmen lernen automatisch aus großen Daten­mengen. Dadurch können wir Fehler aufdecken, an die zuvor niemand gedacht hat.

Und worum geht es beim Prototyp zur Spracherkennung?

Dieses Assistenzsystem unterstützt den Anwender, um per Spracheingabe schnell und einfach an relevante Steuerinformationen zu gelangen oder Befehle auszuführen. Dieses Frage-Antwort-System steht exemplarisch für einen Trend im Steuerbereich: Die Komplexität des Steuerrechts soll durch KI reduziert werden. Durch das System erhalten die Anwender von dieser KI-Lösung Entscheidungshilfen bei steuerlichen Fragen.

Und wie funktioniert das Tool zur automatisierten Übersetzung?

So ähnlich wie der Google-Übersetzer, allerdings mit einem Unterschied. Google ist praktisch Zehnkämpfer, unser Prototyp NeuMU startet nur in einer Disziplin, der Übersetzung von Steuerfachtexten, ist dabei aber hoch spezialisiert. Lassen Sie von Google zum Spaß mal die Begriffe Betriebs­aus­gaben­abzugs­verbot oder Gewinn­aus­schüt­tungen ins Englische übersetzen. Im Ergebnis ist der übersetzte Text sinnentstellt, während unser Tool eine einwandfreie, verständliche und vor allem richtige Übersetzung ermöglicht.

Welche Erkenntnisse ziehen Sie nun aus Ihrer Studie?

Dass der Einsatz von KI ein enormes Unterstützungs- und Auto­mati­sierungs­potenzial in der Steuerberatung liefert. Tätigkeiten, die nur eine geringe soziale Intelligenz, Krea­ti­vi­tät und Umgebungsinteraktion erfordern, können mithilfe von KI automatisiert werden, wodurch erhebliche Kostensenkungen und Qualitätssprünge möglich sind. Im Rahmen der Studie konnten wir zusammen mit dem DFKI große Potenziale der KI-Technologien identifizieren, vor allem in den Bereichen maschinelles Lernen, Process Mining, In­forma­tions­extrak­tion, Wissensmanagement, Sprachverarbeitung und multimodale Systeme. Wie die Ergebnisse zeigen, eignen sich die Lohn- und Umsatzsteuer, der Zoll und auch die Verrechnungspreise sehr gut für den Einsatz von KI, wenn es darum geht, komplexe Routineaufgaben auszuführen oder große Informations­mengen auszuwerten.

Wird die Zusammenarbeit fortgesetzt?

Ja, im Rahmen einer langfristig angelegten Partnerschaft wollen wir zusammen mit dem DFKI die wissenschaftliche Forschung zum Thema KI und Steuer vorantreiben. Die Partner aus Industrie, Beratung und Wissenschaft haben vor, weitere konkrete An­wen­dungs­szenar­ien zu erarbeiten, vorhandene Tax Tools mit KI-Elementen anzureichern und Software- Prototypen weiterzuentwickeln.

Es stellt sich die Frage, wohin die Reise des Berufsstands gehen wird.

Der Steuerberater der Zukunft wird ziemlich bester Business-Partner sein.

KI wird die Steuerprozesse beschleunigen und eine deutlich höhere Compliance-Sicherheit schaffen. Mit den kognitiven Systemen kann zudem eine horizontale Vernetzung mit weiteren Unter­nehmens­bereichen erzielt werden – ein Aspekt, der für Steuerabteilungen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Schließlich wird ein Echtzeitzugriff auf alle global vorhandenen steuerrelevanten Daten und Prozesse möglich werden.

Was bedeutet das für den Steuerberater von morgen?

Das Tätigkeitsfeld des Steuerberaters wird sich wandeln, insbesondere wird eine Konzentration und Ausweitung auf hochwertige Beratungstätigkeiten stattfinden. Der Steuerberater der Zukunft wird ziemlich bester Business-Partner sein. Er wird Ant­wort­vor­schläge auf diverse steuerliche Fragestellungen geben müssen und mit den Steuer­abteilungen der von ihm betreuten Unternehmen schnittstellenfrei vernetzt sein.

Zum Autor

Robert Brütting

Rechtsanwalt in Nürnberg und Fachjournalist Recht sowie Redakteur beim DATEV magazin

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