Sicht der Steuerberatung - 14. Dezember 2017

Buchhalter angezählt

Die rasante technologische Entwicklung wird die Arbeitswelt im Allgemeinen sowie den Beruf der Steuerberater - speziell die Buchführung - nachhaltig verändern.

Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI) – das sind Begriffe, die momentan die Seiten diverser Publikationen füllen und auch fester Bestandteil von Fachtagungen sind. So überraschte es nicht, dass sich der Steuerberatertag 2017 in Berlin ebenfalls mit dieser Thematik beschäftigte und versuchte, die drängendsten Fragen zu beantworten. „Die Geister, die ich rief – oder: wie die Digitalisierung unser Leben verändert“. Unter diesem Motto stand der eindrucksvolle Vortrag von Bitkom-Präsident Achim Berg. Er nahm die Zuhörer mit auf eine Reise in eine nicht allzu ferne Zukunft, in der sich die digitale Abwicklung in allen Bereichen, in allen Prozess- und Arbeitsschritten durchgesetzt haben wird. „Noch haben wir ruhige Zeiten, aber wir stehen unmittelbar vor dem Beginn ganz rasanter Entwicklungen“, so Berg weiter. Welche Auswirkungen dies auf die tägliche Arbeit der Steuerberatungskanzleien in den kommenden Jahren haben wird, diskutierten dann zwei Berufsträger mit zwei ITDienstleistern im Experten-Panel „Potenziale sehen und nutzen“.

Digitaler Wandel

Die Unsicherheit bei den anwesenden Berufsträgern konnte dadurch aber nicht beseitigt werden. Daher lohnt sich ein Blick zurück ins Jahr 2000. Lediglich elf Prozent der Deutschen nutzten damals Online-Banking. Es gab weder Facebook (ab 2004) noch You-Tube (ab 2005) noch iPhones (ab 2007) – alles Dinge, die heute wie selbstverständlich unser Leben bereichern. Die technologische Entwicklung in den letzten 16 Jahren verlief rasant. Doch nach Ansicht aller Experten ist diese Entwicklung nichts im Vergleich zu dem, was noch auf uns zukommt. Es wird die gleiche Veränderungsdichte der letzten 20 Jahre alleinfür die nächsten drei bis fünf Jahre prognostiziert. Wer sich also mit den Auswirkungen des digitalen Wandels nicht auseinandersetzt, handelt fast schon fahrlässig.

Ernsthafte Bedrohung

Je mehr Arbeitsschritte entfallen, desto weniger menschliche Arbeit verbleibt.

Schon beim Deutschen Steuerberatertag 2016 in Dresden brachte es Harald Elster, Präsident des Deutschen Steuerberaterverbands, auf den Punkt: „Wer sich als Unternehmer – und da schließe ich den Berufsstand ein – auf dem Erreichten ausruht, kann bereits morgen von der Entwicklung abgehängt sein.“ Man sollte die Aussage ernst nehmen. Studien zufolge befinden sich die Steuerberater und Buchhalter unter den Top Ten der von Automatisierung bedrohten Berufe. Im Job-Futuromaten der ARD kommen die Steuerberater noch auf fast beruhigende 45 Prozent an Automatisierungswahrscheinlichkeit, während die Steuerfachangestellten bei 83 Prozent stehen. Und in dem viel beachteten Artikel „The Future of Employment“ von Frey & Osborne der Universität Oxford aus dem Jahr 2013 wurde die Wahrscheinlichkeit, dass der Beruf des Finanzbuchhalters in den nächsten 20 Jahren durch KI ersetzt wird, auf 97,6 Prozent geschätzt.

Abgrenzung der Begriffe

Um eine Entwicklung zu verstehen, die offensichtlich unausweichlich ist, muss man zunächst die verschiedenen Begriffe gegeneinander abgrenzen Digitalisierung wird heute regelmäßig als Sammelbegriff für die derzeitige technologische Entwicklung verwendet, die auch vor den Steuerberatungskanzleien nicht Halt macht. Tatsächlich aber steht der Begriff lediglich für die Be- und Verarbeitung von Daten und Informationen in digitaler Form mit entsprechender Technik beziehungsweise elektronischen Systemen. Automatisierung ist demgegenüber laut einer Definition des Deutschen Unternehmens für Normung e.V. nach DIN V 19233 das Ausrüsten einer Einrichtung, so dass sie ganz oder teilweise ohne Mitwirkung des Menschen bestimmungsgemäß arbeitet. Voraussetzung dabei ist, dass der zu automatisierende Arbeitsschritt zuvor durchgehend digitalisiert wurde. Für den Begriff KI gibt es leider keine klare Definition, was zur allgemeinen Verunsicherung beiträgt. Mit Blick auf Steuerberatungskanzleien bedeutet KI aber, dass eine Software aus bekannten Regeln lernen, generalisieren und das Gelernte auf neue Sachverhalte anwenden kann – ohne menschliche Unterstützung.

Intelligente Maschinen

Die Forschungsbereiche zur KI haben es sich daher zur Aufgabe gemacht, die menschliche Intelligenz auf Maschinen zu übertragen. Die entsprechenden Technologien haben sich in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt. Anfang der 1950er Jahre des vergangenen Jahrhunderts entwickelte Alan Turing ein erstes Modell zur Entscheidung, ob eine Maschine intelligent ist. Im sogenannten Turing- Test kommunizierte ein Mensch mit einem unbekannten Dritten. Dieser Dritte konnte sowohl ein Mensch als auch eine Maschine sein. Wenn für die beurteilende Person keine Unterscheidung mehr möglich war, handelte es sich bei der beteiligten Maschine um eine intelligente Maschine. Um das System „intelligent“ zu machen, hätte man bei der damaligen Technik aber ein Regelwerk mit hunderttausenden Einträgen erstellen und laufend pflegen müssen. Ein seinerzeit unmögliches Unterfangen!

Neuronale Netze

Erst die Leistungssteigerung der Computer eröffnete ungeahnte Möglichkeiten. Durch technologische Innovationen wurde die Forschung auf ein neues Level gehoben. Die Entwicklung ging hin zu selbstlernenden Systemen, die – vergleichbar mit dem Menschen – ihre Regeln individuell lernen. Man spricht insoweit von neuronalen Netzen. Sie haben die methodische Fähigkeit, von sich aus zu lernen und zu folgern. Praktische Anwendungsbeispiele sind selbstfahrende Autos, die Krebstherapie sowie die benutzerabhängige Spracherkennung oder das Erkennen von Texten und deren Zusammenhängen. Aber auch in der Robotik werden mittlerweile Entscheidungen zur Fortbewegung automatisiert getroffen. Durch die alltägliche Präsenz von digitalen Helfern, wie etwa dem Smartphone, sind heute bereits konkrete wirtschaftliche Anwendungen Realität.

Kognitive Systeme

In den vergangenen Jahren wurde die Forschung schließlich auf die Verarbeitung unstrukturierter Daten ausgeweitet. Der Zusammenschluss angrenzender Disziplinen mündete im Forschungsfeld des sogenannten Cognitive Computing. Systeme, die an das ursprüngliche Programm angeschlossen werden, nehmen Analysen und Prognosen auf, verarbeiten diese und leiten sie selbständig weiter. Sogenannte Quality Gates führen an Schnittstellen automatisierte Prüfungen durch. Dadurch wird die Stimmigkeit der Daten sichergestellt, bevor die Verarbeitung der Informationen fortgesetzt wird.

Auswirkungen für den Berufsstand

Bei der Steuerberatung aber stecke diese Entwicklung noch in den Kinderschuhen, hört man zuweilen. Weit gefehlt! Die Forschung hat das Entwicklungsstadium längst hinter sich. Ein Beispiel ist das System Watson von IBM, das heute bereits für Analysezwecke von auch unstrukturierten Daten verwendet wird. Die Einführung der E-Bilanz war hierzulande der erste Schritt in Richtung KI. Parallel dazu nimmt die Verwendung von Kennziffern im Zusammenhang mit Daten stetig zu – auch im Bereich der Finanzverwaltung, die mittlerweile auf Big Data setzt und das Besteuerungsverfahren automatisiert. Schließlich wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst, zuletzt mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens.

Neue Geschäftsfelder

Laut der EMC-Studie „Das digitale Universum“ aus dem Jahr 2010 betrug die im Internet vorhandene Datenmenge seinerzeit 1.227 Exabyte (= 1 Milliarde Gigabyte), im Jahr 2020 werden es bereits 40.026 Exabyte sein. Mithilfe von KI wird es möglich sein, diese Daten sinnvoll zu verarbeiten und nutzbar zu machen. Inzwischen gibt es Angebote, mit denen sich eigene Datenbestände analysieren und Auswertungen sowie Vorhersagen daraus erstellen lassen. Mittels belastbarer Daten können künftig Risikoanalysen, Umsatzprognosen oder Investitionsentscheidungen präzise und zeitnah erstellt werden. Zwar wird das Informationswissen an Wert verlieren, dafür aber der Bedarf an Interpretation, Entscheidungshilfe und Begleitung bei der Umsetzung zunehmen. Unter diesem Gesichtspunkt könnten sich die Steuerberater zu Risikoanalysten entwickeln und das Beratungsfeld Betriebsprüfung vorverlagern. Der Betriebsprüfungs- Stresstest wäre – so gesehen – ein sinnvolles neues Beratungsangebot. Jedenfalls sollten sich die Berater heute schon Gedanken machen, wie sie ihre Kanzlei im Zeitalter von KI neu positionieren.

Echtzeitberater

Beim Rechnungswesen gehört den Cloud-Lösungen die Zukunft. Die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten, die gemeinsam auf einen zentralen Datenbestand zugreifen, wird durch die Online-Verfügbarkeit der Daten vereinfacht. Die elektronische Rechnung und weitere Vorschriften sorgen dafür, dass die automatisierte Verbuchung von Geschäftsvorfällen vorangetrieben wird. Und die umfangreiche Automatisierung mittels KI wird dazu führen, dass die manuelle Erstellung der Buchführung in Zukunft nahezu vollständig entfällt. Daher wird es eine der Hauptaufgaben der Steuerberater in den nächsten Jahren sein, die Mandanten auf dem Weg in die Cloud zu unterstützen und ihre Verwaltungsprozesse zu digitalisieren. Die Arbeit des Beraters verlagert sich vom Buchführungsprozess in der Kanzlei hin zum Mandanten, wobei der Steuerberater immer und überall auf die Unternehmensdaten zugreifen kann. Wenn die Vorarbeiten beim Mandanten und die Verbuchung automatisiert sind, wird der Steuerberater zum Echtzeitberater, weil er auf der einheitlichen Software-Plattform auf tagesaktuelle Daten zugreifen kann. Die Kanzlei steht dann deutlich mehr als bisher für komplexe Sachverhalte oder umsatzsteuerliche Fragen zur Verfügung. Darüber hinaus können Liquidität und Erfolg wesentlich effektiver beobachtet und gesteuert werden.

Blick in die Zukunft

Die klassische Steuerdeklaration wird mittelfristig an Bedeutung verlieren, denn der Automatisierungsgrad in diesem Bereich liegt Prognosen zufolge bei 80 bis 90 Prozent. Mehr und mehr Arbeitsabläufe werden digital sein und die Mitwirkung des Menschen sukzessive entfallen Buchhalterische Sachverhalte wiederholen sich etwa zu 75 Prozent und lassen sich durch Regeln automatisieren. Das wird spürbare Auswirkungen auf die Praxis beziehungsweise Buchführung in den Steuerberatungskanzleien haben. Da sich auch das regulatorische Umfeld der neuen Realität anpassen wird, müssen die Berater den zu erwartenden Rückgang bei ihren klassischen Tätigkeiten anderweitig kompensieren.

Zum Autor

Robert Brütting

Rechtsanwalt in Nürnberg und Fachjournalist Recht sowie Redakteur beim DATEV magazin

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