Steuerstrafrecht - 17. Mai 2017

Was ist eine Briefkastenfirma?

Die Bundesregierung will gegen die so­ge­nannten Brief­kasten­­ge­sell­schaften vor­gehen, sofern diese rechts­miss­bräuch­lich sind. Doch die Bestimmung, wann dies der Fall ist, stößt in der Praxis auf Schwierig­keiten.

Durch die Veröffentlichung der Daten von mehr als 180.000 Briefkastenfirmen und Brief­kasten­stif­tungen im Jahr 2016 auf den Bahamas (Panama-Papers) sind die Brief­kasten­ge­sell­schaften erneut in den Fokus der staatlichen Steuerumgehungsbekämpfung gerückt. Der Entwurf des Steuer­um­ge­hungs­be­kämp­fungs­ge­setzes (vgl. Regierungs­entwurf XQ 1226835 zum StUmBG vom 30.12.2016, BR-Drs. 816/16) bringt leider keine Klarheit zur begrifflichen Einordnung der Brief­kastenfirmen. Deshalb muss dazu auf die einschlägigen Gesetzesnormen und die dazu ergangene Rechtsprechung ­zurück­­ge­griffen werden.

Das deutsche Steuergesetz kennt den Begriff der Briefkastenfirma nicht.

Das geltende deutsche Steuergesetz kennt den Begriff der Briefkasten- be­zie­hungs­weise Domizilgesellschaft nicht. Vom Bundesfinanzhof (BFH) wird der Begriff nur dahingehend definiert, dass die Briefkastengesellschaft lediglich ihren Sitz in einem ausländischen Staat hat oder nach dem dortigen Recht errichtet worden ist, die Gesellschaft selbst aber keine geschäftliche oder kommerzielle Tätigkeit ausübt, mithin über kein Personal oder keine Geschäftsräume oder -ausstattung verfügt (zuletzt BFH vom 10.11.1998 – I R 108/97, BStBl. II 1999, 121). ­Da­gegen soll eine ausländische Gesellschaft nicht als Briefkastenfirma zu qualifizieren sein, wenn sie ­Kapitalanlagegeschäfte betreibt, über ein Geschäftsführungsorgan verfügt, das Einfluss auf strategische Entscheidungen der Einkünfte­erzielung nimmt und auf eigene Rechnung und Gefahr Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überlässt (vgl. BFH vom 19.01.2000 – IR 94/97, DStR 2000, 511). Da diese vom BFH vorgegebenen Begrifflichkeiten inhaltlich weniger aussagekräftig sind und lediglich Indizien darstellen, werden die ausländischen Gesellschaften im Rahmen des ­Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 Abgabenordnung (AO) der rechtlichen Prüfung unterzogen und erst, wenn ein ­Gestaltungsmissbrauch vorliegt, als Briefkastenfirmen eingeordnet. Nach der Rechtsprechung des BFH liegt ein Gestaltungsmissbrauch dann vor, wenn eine Gestal­tung gewählt wird, die ­gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen ist, und wenn hierdurch ein steuerlicher Erfolg angestrebt wird, der bei sinnvoller, Zweck und Ziel der Rechts­ord­nung berück­sich­ti­gen­der Auslegung des Gesetzes missbilligt wird (ständige Rechtsprechung des BFH vgl. BFH vom 27.08.1997 – I R 8/97, BStBl. II 1998, 163).

Die Gestaltung an sich ist nicht missbräuchlich, denn der Steuer­pflichtige ist grundsätzlich frei, die Gestaltung zu wählen, die ihm steuerlich am günstigsten erscheint, sodass es auch ­keine Vermutung gibt, dass lediglich die bloße Errichtung einer ausländischen Gesellschaft stets für einen Rechtsmissbrauch spricht (vgl. BFH vom 19.02.1975 – I R 26/73, BStBl. II 1975, 584).
Es ist daher danach zu fragen, ob bei der Gestaltung der aus­ländischen Gesellschaft keine anderen Gründe als die einer Steuerersparnis vorlagen. Ist dies der Fall, wird von der Rechtsprechung des BFH ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO ­bejaht (vgl. BFH vom 28.01.1992 – VIII R 7/88, BStBl. II 1993, 84).

Versagung der Betriebsausgaben

Ist ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO anzunehmen, ist die betroffene ausländische Briefkastengesellschaft als rechtlich missbräuchlich anzusehen. Die steuerliche Folge dessen wäre, dass die Zahlungen an eine im Ausland ansässige Briefkastengesellschaft im Inland nicht als Betriebsausgaben an­erkannt werden.
Betriebsprüfer und Steuerfahnder fragen in der Regel bei der Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen (IZA) des Bundeszentralamts für Steuern (BZSt) bezüglich der Einordnung der ausländischen Gesellschaften als Brief­kasten­ge­sell­schaften an. Im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsver­fahren ist daher zu empfehlen, sich die Akten durch den Ver­teidiger im Rahmen des Akteneinsichtsrechts nach § 147 Strafprozessordnung (StPO) übermitteln zu lassen, um sich zu vergewissern, ob die ausländische Offshore-Gesellschaft von dem BZSt als Briefkastengesellschaft qualifiziert wurde. Ist dies der Fall, sollte man der Qualifizierung als Briefkastengesellschaft mit Einwendungen im Rahmen der erhöhten Mitwirkungspflichten nach ­§ 90 Abs. 2 AO ent­ge­gen­wirken, indem die wirtschaft­liche Aktivität anhand glaubhafter Dokumente (etwa Büromietverträge, Angestelltenverträge, Telefonrechnungen undsoweiter mit entsprechenden stichprobeweisen ­Zahlungsnachweisen in Form von originalen Bankbelegen) zu belegen ist. In der Praxis wird allerdings der Nachweis der wirtschaftlichen Aktivität in vielen Fällen nicht gelingen.
Sind keine steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren ein­geleitet worden, sollte man jedoch versuchen, bei dem zuständigen Finanzamt einen Antrag auf Akteneinsicht zu stellen. ­Sofern dadurch die Verhältnisse Dritter, insbesondere im Sinne des § 30 AO, nicht beeinträchtigt werden, wird diesem Antrag im Regelfall entsprochen. Zu berück­sichtigen ist jedoch, dass die Akten grundsätzlich beim zuständigen Finanzamt einzu­sehen sind und nicht auf dem Postweg an den Antragsteller versandt werden.

EuGH-Urteil, Finanzverwaltung und Außensteuergesetz

Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH vom 12.09.2006, C-196/04, Cadbury Schweppes, Slg 06, I-7995) darf ein Missbrauch nach § 42 AO nicht unterstellt, sondern dieser muss anhand einer konkreten Prüfung des Einzelfalls nachgewiesen werden. Ungeachtet steuerlicher Motive ist die Einschaltung einer ausländischen Gesellschaft dann rechtskonform, wenn diese tatsächlich im Ansässigkeitsstaat angesiedelt ist und dort wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgeht. Auf die Art der Betätigung der Gesellschaft kommt es nicht an. Nur „rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität fremde Gestaltungen“, die den Zweck haben, der Steuer zu entgehen, sind bekämpfenswert und damit als rechtlich missbräuchliche Briefkastenfirmen zu qualifizieren. Allerdings bezog sich das oben ­zitierte EuGH-Urteil auf die britische Hin­zu­rech­nungs­re­gelung. Auf das oben genannte Urteil hat die deutsche Finanzverwaltung bereits vor einer Neuregelung des § 8 Abs. 2 Außen­steuer­gesetz (AStG) durch das Jahressteuergesetz 2008 und ein BMF-Schreiben reagiert (vgl. BMF vom 08.01.2007– IV B 4-S 1351-1/2007, BStBl. I 2007, 99). Dabei wurde ein formaler Kriterienkatalog des Bundesministeriums der Finanzen (BMF)veröffentlicht, der dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit er­öffnet, den Nachweis zu führen, dass die Gestaltung nicht missbräuchlich ist. Das heißt, der Steuerpflichtige muss entsprechende Aktivitäten nachweisen. Das Finanzgericht Münster hat jedoch zwischenzeitlich in seinem Urteil ausgeführt, dass keine rechtsmissbräuchliche Briefkastengesellschaft vorliegt, wenn das ausländische Unternehmen über eine sachlich und per­sonell ­adäquat ausgestattete betriebliche Organisation verfügt (Urteil vom 20.11.2015, Az.: 10 K 1410/12 F, EFG 16, 453). ­Damit ist an der oben genannten formalen Be­trach­tungs­weise des BMF nicht festzuhalten.
Liegen bei einer Gesellschaft der Sitz oder der Ort der Geschäfts­leitung in einem EU-Mitgliedstaat mit niedriger ­Be­steuerung, muss der Steuerpflichtige nachweisen, dass diese Gesellschaft einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht (§ 8 Abs. 2 AStG). Gelingt der Nachweis, wird die Gesellschaft nicht als Zwischen- beziehungsweise Briefkasten­gesellschaft behandelt. Für Drittstaaten gilt der Entlastungs­beweis nicht.

Strafbares Verhalten

Der Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten und ­damit die Existenz einer ausländischen Briefkastenfirma sind als solche nicht strafbar. Deswegen liegt kein Fall der Erfüllung des objektiven Tatbestands der Steuerhinterziehung vor, wenn lediglich eine Briefkastengesellschaft involviert wurde (vgl. BGH 11.07.2008, 5 StR 156/2008). Werden diese erheblichen Tatsachen – rechtlich missbräuchliche Gestaltung – jedoch nicht oder nicht zutreffend von dem Steuer­pflichtigen mitgeteilt, sind seine Angaben im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO unvollständig. Allerdings ist im Hinblick auf die offene Formulierung des ­§ 42 AO sowie die widersprüchliche Rechtsprechung im Einzelfall schwierig festzustellen, wann eine Verurteilung wegen Steuer­hinter­ziehung vorliegt. So verneinte das Landgericht Frankfurt am Main daher im Fall der Gewinn­ver­la­ge­rung ins niedrig besteuernde Ausland eine Verurteilung wegen Steuerhinter­ziehung noch mit der Begründung, die Tatbestandsmerkmale des § 42 AO seien zu unbestimmt (vgl. Land­gericht Frankfurt vom 28.03.1996 – 5/13 Kls Js 36385/77 [M 3/96], wistra 1997, 152). Andererseits bestehen nach der Rechtsprechung des BGH jedoch gegen eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung aufgrund eines Gestaltungsmissbrauchs im Sinne des § 42 AO keine rechtsstaatlichen ­Bedenken wegen eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, da im Fall der Steuerverkürzung durch Gewinnverlagerung ins Ausland auf eine fest umschriebene Fallgruppe zurückgegriffen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 27.01.1982, 3 StR 217/1981, wistra 1982, 108).

Domizilgesellschaften

Der Regierungsentwurf zum Steuerumgehungsbekämpfungs­gesetz definiert nicht den Begriff der Domizilgesellschaft. Es wird allein auf das Vorhandensein einer Dritt­staaten­ge­sell­schaft abgestellt. Eine Drittstaatengesellschaft nach § 138 Abs. 3 AO-E liegt dann vor, wenn eine Personen­ge­sell­schaft, Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse ihren Sitz oder ihre Geschäfts­leitung nicht in einem EU- oder EWR-Staat oder in der Schweiz hat. Wird bei­spiels­weise der Sitz oder der Ort der Geschäftsleitung von einem Staat in einen Drittstaat verlegt, kann es, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO-E vorliegen, zu einer Anzeigepflicht kommen. Die Anzeige muss innerhalb von 14 Monaten nach Ablauf des jeweiligen Be­steue­rungs­zeit­raums erfolgen. Betriebsstätten sind ausdrücklich nicht erfasst. Anzeigepflichtig sind in­län­dische Steuerpflichtige mit Wohnsitz, gewöhnlichem Auf­ent­halt, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland.

Fazit

Eine ausländische Gesellschaft ist nur dann als Briefkastenfirma rechtlich miss­bräuch­lich nach § 42 AO, wenn sie eine rein künstliche Gesellschaft ohne jegliche wirtschaftliche Aktivitäten ist. Leider wird die Existenz einer Brief­kasten­firma im niedrig besteuernden Ausland von der Finanz­ver­wal­tung oft unterstellt. Der Vorwurf der Steuerhinterziehung kann nur bei rein künst­lichen Brief­kastenfirmen ohne Personal- und Geschäftsausstattung und ohne sonstige Gründe in Betracht kommen, wenn Steuer­er­sparnis das alleinige Ziel ist und der Steuerpflichtige die Finanz­ver­waltung über diese Tatsachen nicht oder nicht ­zutreffend aufgeklärt hat.

Foto: Creativ Studio Heinemann, mgs, teekid, Jorg Greuel, Hanis, Michael Betts / Getty Images

Zum Autor

Konstantin Weber

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Inhaber der WEBER RECHT & STEUERN Kanzlei mit Standorten in Karlsruhe und Baden-Baden; Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Umsatzsteuerrecht, Steuerstrafrecht und Steuerstreitrecht (Einspruchs- und Finanzgerichtsverfahren)

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