Verlustabzug bei Körperschaften - 29. September 2016

Bleibt nichts, wie es war?

Die Regelung zur Beschränkung des Verlustabzugs bei Körperschaften wurde in der Vergangenheit vielfach geändert. Es ist gut möglich, dass es in nächster Zeit zu weiteren grundlegenden Änderungen kommen wird. Welche das sein könnten, lesen Sie hier.

Ursprünglich sollte die Beschränkung des Verlustabzugs die als missbräuchlich ange­sehenen Mantelkäufe verhindern.

§ 8c Körperschaftsteuergesetz (KStG), wonach be­stimmte Be­tei­li­gungs­ände­rungen zum Unter­gang steuer­licher Ver­luste führen, ist gerade Ge­gen­stand von Ver­fahren vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) und dem Euro­pä­ischen Ge­richts­hof (EuGH). Zu­dem hat der Ge­setz­geber im Rahmen des Steuer­än­de­rungs­ge­set­zes 2015 wichtige Än­de­rungen zu Um­struk­tu­rie­run­gen in Konzernen vorgenommen.
Hat eine Körperschaft steuerliche Verlust­vor­träge oder unter­jäh­rige Ver­luste, muss bei allen Än­de­run­gen der Be­tei­li­gungs­ver­hältnisse an das Risiko eines Verlustuntergangs gedacht werden. Dies gilt nicht nur bei der Übertragung von Anteilen, sondern auch bei vergleichbaren Sach­ver­halten, wie zum Beispiel Kapitalerhöhungen. Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 Prozent der Anteile an einer Körperschaft auf einen Erwerber, eine diesem nahe­stehende Person oder eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen übertragen oder liegt ein ver­gleich­barer Sachverhalt vor, kommt es nach § 8c Abs. 1 KStG zum anteiligen Verlustuntergang (schädlicher Be­tei­li­gungs­erwerb). Beträgt der schädliche Be­tei­li­gungs­erwerb mehr als 50 Prozent, kommt es zum Untergang aller vorhandenen Verluste. Dies betrifft unterjährige Verluste, Verlustvorträge nach § 10d Einkommensteuergesetz (EStG), ge­wer­be­steuer­liche Fehlbeträge nach § 10a Gewerbesteuergesetz (GewStG) und weitere Ver­lust­vorträge, zum Beispiel nach § 15a EStG.
Ursprünglich sollte die Beschränkung des Verlustabzugs bei Körperschaften die als missbräuchlich angesehenen Mantelkäufe verhindern. Dabei werden Körperschaften ohne Ge­schäfts­be­trieb, aber mit steuerlichen Verlustvorträgen erworben, um mit dieser Verlusthülle einen neuen Geschäfts­betrieb zu führen, von dessen Gewinnen die Verluste steuerlich abgezogen werden können. Von diesem ursprünglichen Zweck hat § 8c KStG sich recht weit entfernt. Die Vorschrift soll vor allem zusätzliche Steuereinnahmen bringen (so die Gesetzesbegründung). Neben dem schädlichen Beteiligungserwerb, dessen Schwelle mit mehr als 25 Prozent sehr niedrig angesetzt ist, bestehen keine weiteren Voraussetzungen. Es kommt zum Verlustuntergang, auch wenn der Be­tei­li­gungs­erwerb keinerlei Einfluss auf den Geschäftsbetrieb der Körperschaft hat. Ausnahmen gelten nur für bestimmte konzerninterne Umstrukturierungen (Konzernklausel) oder soweit im Be­triebs­ver­mögen der Körperschaft stille Reserven vorhanden sind (Stille-Reserven-Klausel).

Normenkontrolle durch das BVerfG

Das Finanzgericht Hamburg hat dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 8c Satz 1 KStG in der ur­sprüng­lichen Fas­sung aus dem Jahr 2007 mit dem Gleich­heits­grund­satz ver­ein­bar ist. Nach Ansicht des Fi­nanz­ge­richts Ham­burg führt § 8c KStG zu einer Ver­mi­schung der Ebenen des An­teils­eig­ners und der Ge­sell­schaft und damit zu einer Durch­bre­chung des Trennungsprinzips, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. Die Regelung sei nicht folgerichtig und verletze das Leistungsfähigkeitsprinzip. Diese Auf­fas­sung wird in der steuer­lichen Li­te­ra­tur über­wiegend ge­teilt. Das BVerfG hat an­ge­kün­digt, noch in diesem Jahr über die Vor­lage zu ent­schei­den. Sollte es zu dem gleichen Er­geb­nis kommen wie das Fi­nanz­ge­richt Ham­burg, wäre wohl eine um­fas­sende Reform von § 8c KStG er­forderlich.
Die Entscheidung des BVerfG zu § 8c KStG könnte allgemeine Bedeutung für die Besteuerung von Unternehmen haben, zum Beispiel für die ebenso beim BVerfG anhängige Prüfung der Zinsschranke. Anders als zur Besteuerung von Arbeitnehmern (Pendlerpauschale, häusliches Arbeitszimmer) gibt es im Bereich des Unternehmenssteuerrechts noch keine grundlegende Entscheidung des BVerfG zum Gebot der Folgerichtigkeit. Deshalb kann auch kaum vor­her­gesagt werden, wie das BVerfG entscheiden wird. Es kann gut sein, dass das BVerfG den Ge­setz­geber zu einer rück­wir­ken­den Neuregelung verpflichten wird. § 8c KStG gehört derzeit nicht zu den Vorschriften, bei denen die Finanzverwaltung automatisch einen Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 Abgabenordnung – AO) erteilt. Um von der Entscheidung des BVerfG profitieren zu können, müssen die betroffenen Unternehmen daher unbedingt Einspruch gegen die entsprechenden Steuerbescheide einlegen und das Ruhen des Verfahrens beantragen.

Sanierungsklausel als unzulässige Beihilfe?

Damit Sanierungen von Unternehmen, bei denen keine Missbrauchsgefahr besteht, steuerlich nicht unnötig behindert werden, hat der Gesetzgeber nachträglich einen Absatz 1a in § 8c KStG eingefügt (Sanierungsklausel). Danach führen Maßnahmen, um die Insolvenz des Unternehmens zu verhindern und die wesentlichen Betriebsstrukturen zu erhalten, nicht zum Verlustuntergang. Die Europäische Kommission hat die Sanierungsklausel als Verstoß gegen europäisches Bei­hilfe­recht gewertet. Es handele sich um eine selektive Beihilfe, da Unternehmen in der Krise gegenüber anderen Unternehmen bevorzugt würden. Deshalb ist § 8c Abs. 1a KStG derzeit nicht anwendbar. Gegen den Beschluss der Kommission haben mehrere deutsche Unternehmen geklagt. In zwei dieser Ver­fah­ren hat das Europäische Gericht (EuG) durch Urteile vom 4. Februar 2016 die Auffassung der Kommission bestätigt. Die betroffenen Unternehmen haben gegen die Urteile des EuG Revision zum EuGH eingelegt. Die Unternehmen gehen davon aus, dass die Kommission das falsche Referenzsystem gewählt hat. Sie argumentieren unterstützt von der Bundesregierung als Streithelfer, dass der Verlustvortrag die Regel (vgl. § 10d EStG) und der Verlustuntergang bei Beteiligungswechseln die Ausnahme ist. Demnach stellt die Sanierungsklausel für den Teilbereich der Anteilseignerwechsel aufgrund von Sanierungen wiederum die Grundregel des Ver­lust­vor­trags her und ist damit nicht selektiv.

Schönwetterregelung

In der derzeit geltenden Fassung ist § 8c KStG eine Schönwetterregelung. Befindet sich ein Unternehmen in der Krise, kann der drohende Verlustuntergang rettende Sa­nie­rungs­maß­nahmen, wie zum Beispiel Kapitalerhöhungen, unrentabel machen. Würde auch der EuGH die Sanierungsklausel als unzulässige Beihilfe ansehen, sollte der Gesetzgeber überlegen, wie er § 8c KStG sanierungsfreundlicher machen kann. Ansonsten besteht im nächsten Kon­junk­tur­ab­schwung die Gefahr vermehrter Unternehmensinsolvenzen. Unabhängig von einer Anregung aus Karlsruhe ließe sich diese Problematik lösen, indem § 8c KStG folgerichtig ausgestaltet wird. Verluste sollten nur untergehen, wenn es zu erheblichen Wechseln auf der Ebene der An­teils­eigner kommt und der Geschäftsbetrieb wesentlich geändert wird. Ein missbräuchlicher Mantelkauf setzt immer voraus, dass die erworbene Körperschaft als Träger eines im Wesentlichen neuen Betriebs genutzt wird. Sanierungen, die den Geschäftsbetrieb gerade erhalten sollen, würden dann nicht mehr zu Verlustabzugsbeschränkungen führen.

Erweiterung der Konzernklausel

Kommt es zu Umstrukturierungen innerhalb eines Konzerns, besteht keine Gefahr, dass Verlustverrechnungspotenzial missbräuchlich an außenstehende Personen übertragen wird. Aus diesem Grund wurde nachträglich für die Jahre ab 2010 eine Konzernklausel in § 8c KStG eingefügt. Danach liegt kein schädlicher Beteiligungserwerb vor, wenn an dem übertragenden und an dem übernehmenden Rechtsträger dieselbe Person zu 100 Prozent beteiligt ist. Diese Klausel wurde allgemein als zu eng angesehen, vor allem weil sie Fälle nicht erfasste, in denen die Person an der Konzernspitze als übertragender oder übernehmender Rechtsträger auftrat. Durch das Steueränderungsgesetz 2015 wurde die Konzernklausel entsprechend erweitert, sodass auch Fälle erfasst sind, in denen die Konzernspitze (die aus einer Körperschaft, natürlichen Person oder einer Personenhandelsgesellschaft bestehen kann) unmittelbar Anteile an der Verlustgesellschaft überträgt oder erwirbt. Für die Beratung ist wichtig, dass diese Erweiterung rückwirkend für Fälle ab dem Jahr 2010 eingeführt wurde. Es sollten daher auch vergangene Umstrukturierungen darauf geprüft werden, ob sie möglicherweise unter die erweiterte Konzernklausel fallen.

Fazit und Ausblick

In der praktischen Anwendung ist der Verlustabzug komplex und für Berater haftungsträchtig.

Neben den grundlegenden Fragen zur Ver­lust­ab­zugs­be­schrän­kung, die vom BVerfG und dem EuGH zu ent­schei­den sind, besteht auch bei vielen De­tail­fragen zu § 8c KStG Rechts­un­sicher­heit. In der prak­tischen An­wen­dung ist diese Norm über­aus kom­plex und für Be­rater haf­tungs­trächtig. Das An­wen­dungs­schrei­ben des Bun­des­fi­nanz­mi­nis­te­riums zu § 8c KStG aus dem Jahr 2008 ist teilweise veraltet. Dies gilt insbesondere für unterjährige schädliche Be­tei­li­gungs­erwerbe, bei denen der Bundesfinanzhof den Verlustabzug von unterjährigen Gewinnen bis zum schädlichen Beteiligungserwerb entgegen dem Schreiben zulässt, und die Stille-Reserven-Klausel, die erst Ende 2009 eingeführt wurde. Das Bundesfinanzministerium hat im April 2014 den Entwurf für ein überarbeitetes Schreiben zu § 8c KStG vorgestellt, in dem diese Themen adressiert werden. Dieser Entwurf wurde allerdings bisher nicht finalisiert. Vermutlich soll zunächst die Entscheidung des BVerfG abgewartet werden. Sollte das BVerfG § 8c KStG auch in der ge­gen­wär­ti­gen Fassung für gleichheitswidrig halten, wäre der Entwurf hinfällig.

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Zum Autor

Dr. Andreas Eggert

Rechtsanwalt und Steuerberater sowie Senior Associate bei Hogan Lovells International LLP, München

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