Vor Überraschungen sicher - 25. August 2016

Erst prüfen, dann kaufen

Wer etwas kauft, möchte sicher­gehen, dass das Objekt der Wahl ein­wand­frei ist. Das gilt auch für die Über­tra­gung von Kanz­leien. Doch zu­min­dest die Man­dats­ver­hältnisse sind nur beg­renzt prüf­bar. Der Kanzlei­kauf ähnelt somit einem Auto­kauf ohne Probe­fahrt, sofern der In­te­res­sent nicht in recht­lich zu­läs­siger Weise In­nen­ein­blick erhält. Al­ter­nativ kann der Verkäufer ein aus­sa­ge­kräf­tiges Kanzlei­check­heft erstellen.

Kanzleiübergänge sind stets unterschiedlich. Dennoch gibt es eine übliche Vorgehensweise, die im Normalfall zum beiderseitigen Erfolg führt. Mit kurzen Checklisten ist der Ablauf der Übertragung einer Einzelpraxis zu beleuchten.

Festlegung der Gestaltungsziele

Vor den Vertragsverhandlungen sollten die individuellen Gestaltungsziele klar definiert sein. Fehlende Vorbereitung schlagen sich meist in interessenwidrigen Vertragsregelungen oder langwierigen beziehungsweise gescheiterten Verhandlungsgesprächen nieder.

Verkäufercheck:

  1. Wann und warum will ich meine Kanzlei verkaufen?
  2. Bin ich wirklich schon bereit für den Ausstieg?
  3. Was will ich unbedingt vertraglich durchsetzen?
  4. Wie präsentiere ich die Leistungsfähigkeit meiner Mitarbeiter?
  5. Wie stelle ich das Potenzial meines Mandantenstamms dar?
  6. Welche Kanzlei- und Organisationsstrukturen biete ich an?

Käufercheck:

  1. Wann und warum will ich in eine fremde Kanzlei investieren?
  2. Bin ich wirklich schon bereit für den Einstieg?
  3. Was will ich unbedingt vertraglich durchsetzen?
  4. Welchen Geldbetrag bin ich bereit zu investieren?
  5. Freue ich mich auf meine Rolle als Arbeitgeber?
  6. Was will ich als zukünftiger Kanzleiinhaber bewirken?

Verhandlungsvorbereitungen

Zur Vorbereitung der Vertragsgespräche sind die erforderlichen Verhandlungsunterlagen zu erstellen.

Verkäufercheck:

  1. Darstellung des Personals mit Qualifizierungsentwicklung und der Kanzleiorganisation
  2. Anonymisierte Mandantenliste mit Honorarumsätzen mit Bereinigung bezüglich doppelter, nicht wiederkehrender, auslaufender und personenbezogener Mandatsumsätze
  3. Erläuterung der Honorarabrechnung und -politik
  4. Auflistung der kanzleibezogenen Vertragsverhältnisse
  5. Kanzlei-EÜR/-bilanzen sowie aktueller Zwischenabschluss
  6. Berufshaftpflichtversicherung der letzten zehn Jahre

Käufercheck:

  1. Aussagekräftiger beruflicher Lebenslauf
  2. Informationsbeschaffung bezüglich Finanzierung/Besicherung des Kaufpreisrahmens und staatlicher Förderprogramme

Erstkontakt mit externen Interessenten

Der Verkäufer muss berücksichtigen, dass er gegenüber den Mandanten zur umfassenden Ver­schwie­gen­heit verpflichtet ist. Dies gilt auch gegenüber externen Berufsträgern. Bei der Kanzlei­dar­stel­lung sind somit alle Mandantendaten zu anonymisieren, sofern keine Man­dan­ten­zu­stim­mung zur Offen­legung der Daten vorliegt. Das Schweigen des Mandanten auf die Nach­frage zur Ver­schwie­gen­heits­entbindung ist hierbei keine Zustimmung. Ein Verstoß gegen die Ver­schwie­gen­heits­pflicht kann zur Rechtsunwirksamkeit des Praxisübertagungsvertrags führen.

Verkäufercheck:

  1. Mandantenliste anonymisieren
  2. Überreichte Unterlagen (zum Beispiel SuSa-Liste der Kanzlei mit den Kreditoren) dürfen keine Mandantennamen enthalten.

Übernahmeverhandlungen mit Mitarbeitern

Ein fest angestellter oder freier Mitarbeiter ist bereits in den Verschwiegenheitsverbund der Kanzlei eingebunden. Sofern dieser als Erwerber alle Mandanteninterna bereits zulässigerweise kennt, stellt sich die Problematik der Verletzung der Verschwiegenheit nicht. Bei einer Praxis­über­tra­gung können sich die Vertragsparteien auf diesem Wege wechselseitig ein rea­lis­tisches Bild von der Nachhaltigkeit der Kanzleiübertragung machen. Eine Grenze ist bei ausdrücklich vertraulichen Mandatsinformationen zu ziehen, die nur für den Kanzleiinhaber bestimmt sind.

Verkäufercheck:

  1. Dem Mitarbeiter bekannte Mandantennamen sind nicht zu anonymisieren – sofern die Namen nicht in Dritthände geraten.
  2. Eine Mandantenzustimmung zur Mandatsüberleitung ist trotzdem erforderlich.

Aushandeln und Besicherung des Kaufpreises

Der Kaufpreis steht meist im Fokus. Die Vertragsparteien sollten sich frühzeitig auf die Kauf­preis­er­mitt­lungs­methode verständigen, bevor wilde Zahlenspiele beginnen. In der Praxis wird über­wiegend das Um­satz­wert­ver­fahren angewendet. Der bereinigte Durchschnittsumsatz ist mit einem Kanzleiwertfaktor zu multiplizieren (0,6 bis 1,4). Ferner sind die Zahlungsmodalitäten fest­zu­legen. Einer Kaufpreisbesicherung für den Zeitraum zwischen Vertragsabschluss und Über­tra­gungs­stich­tag kann durch eine Bankbürgschaft erfolgen.

Käufer-/Verkäufercheck:

  1. Festlegung der Kaufpreisermittlungsmethode und dementsprechendes Aushandeln der Kaufpreishöhe
  2. Festlegung der Zahlungsmodalitäten (Anzahlung/Einmalzahlung/Ratenzahlung)
  3. Besicherung des Kaufpreises durch Bankbürgschaft
  4. Risikolebensversicherung in Höhe der Finanzierung

Kaufpreisanpassungen

Es ist vertraglich festzulegen, ob verweigerte Mandatsüberleitungen zu Kaufpreisanpassungen führen. Zugleich sollte geregelt werden, ob und wann Mandanten, die keine Rückmeldung gegeben haben, zu kündigen sind. Ferner ist auszuhandeln, ob und in welcher Höhe der Verkäufer sich zeitlich begrenzt an dem Risiko nachträglicher Mandatskündigungen beteiligt. Etwaige Rückforderungen des Käufers können hierbei durch eine Kaufpreisstundung oder Bankbürgschaft abgesichert werden.

Käufer-/Verkäufercheck:

  1. Was passiert, wenn Mandate nicht übergeleitet werden?
  2. Beteiligt sich der Verkäufer an dem nachträglichen Mandatskündigungsrisiko?
  3. Sind etwaige Kaufpreisminderungen zu besichern?

Weitere Vertragsregelungen

Die Leistungspflichten und Honoraransprüche sind abzugrenzen. Die Übertragung des Kanzlei­in­ventars und der Vertragsverhältnisse sind zu regeln. Sofern gewünscht ist ein Wett­be­werbs­verbot des Verkäufers zu vereinbaren.

Käufer-/Verkäufercheck:

  1. Honoraransprüche und Leistungspflichten sind zum Übertragungsstichtag abzugrenzen – besonders bei unterjährigen Abschlagszahlungen auf die Finanz- und Lohnbuchhaltung.
  2. Vorschüsse sollten dem Leistungserbringer zustehen.
  3. Das Sachinventar ist aufzulisten und zu bepreisen.
  4. Fortbestehende Vertragsverhältnisse der Kanzlei (insbesondere Kanzleimietvertrag) sind mit Zustimmung des jeweiligen Vertragspartners zu übertragen. Sofern zulässig, kann hilfsweise eine Leistungsweitergabe durch den Verkäufer geregelt werden (beispielsweise durch Unter­miete).
  5. Bei einem Wettbewerb ist zu vereinbaren, in welchem strafbewehrten Umfang der Verkäufer zeitlich und örtlich gegenüber welchen Mandanten welche Leistungen nicht mehr erbringen darf.

Vertragsabschluss und -umsetzung

Nach dem schriftlichen Vertragsabschluss sind vorrangig die Mitarbeiter für die Kanzleinachfolge zu gewinnen. Die Mandantenzustimmungen sind vor dem Übertragungsstichtag vollzählig einzuholen. Der zu übertragende Datenbestand ist zu bereinigen. Für diese umfangreichen organisatorischen Tätigkeiten ist genügend Zeit einzuplanen.

Käufer-/Verkäufercheck:

  1. Informationsschreiben für die Mitarbeiter bezüglich des gesetzlichen Betriebsübergangs (§ 613a BGB) erstellen
  2. Mitarbeiter gleichzeitig in einem Gespräch unter Übergabe der Informationsschreiben und unter Vorstellung des Erwerbers unterrichten
  3. Ordnungsgemäß informierte Mitarbeiter können auf ihr einmonatiges Widerspruchsrecht verzichten
  4. Die wichtigsten Mandanten in einem persönlichen Gespräch über die Praxisnachfolge informieren – bei Teilnahme des Erwerbers hat der Mandant der Offenlegung seiner Identität zuzustimmen
  5. Mandanten, zu denen kein gehobener Bezug besteht, schriftlich um Zustimmung zur Praxisnachfolge bitten
  6. Aus dem zu übertragenden Datenbestand Mandatsleichen ausgliedern
  7. Sicherstellen, dass der Erwerber erst nach Mandantenzustimmung Zugriff auf die Mandatsdaten erhält

Übertragungsstichtag und Happy End

Nach Kaufpreiszahlung und zulässiger Übergabe der Schlüssel kann der Kanzleierwerber seine neue berufliche Mobilität ausleben. Es ist hierbei ratsam, dass der Verkäufer für eine Über­gangs­zeit mit Rat und Tat noch als Beifahrer zur Verfügung steht.

Käufer-/Verkäufercheck:

  1. Umsetzung der Vertragsregelungen
  2. Eventuell nachvertragliche Unterstützung durch den Verkäufer.

Zum Autor

Bernhard Kürschner

Rechtsanwalt und Inhaber der KÜRSCHNER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Nürnberg mit Spezialisierung auf die rechtliche Beratung von Steuerberatern | www.ra-kuerschner.de
 
Partner der Kürschner & Luzius Partnerschaftsgesellschaft mit Spezialisierung auf Kanzleitraining

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