Ein Berufsbild im Umbruch - 28. Juli 2016

Auf dem Weg in neue Zeiten

Der Steuerberater – ein krisensicheres, zukunftsfestes Arbeitsgebiet, sagen die einen. Der Beruf des klassischen Buchhalters – vom Aussterben bedroht, sagen die anderen. Fest steht: Die Megatrends Digitalisierung und demografischer Wandel machen vor der Steuerberaterbranche nicht halt.Wer sich nicht darauf einstellt, verpasst vielleicht die Zukunft.

Der Büroschrank stammt noch aus dem vergangenen Jahrhundert – ein nostalgisches Er­in­ne­rungs­stück. Die Steuerberaterin zieht eine Schublade auf und rollt den flachen Bildschirm auseinander. Ein Fingerabdruck genügt, um die Daten freizugeben und die Aufgaben des Arbeitstags zu überblicken. Zugeteilt wird wie immer über die digitalen Assistenten der Kanzleimitarbeiter; die Steuerberaterin berührt einige Blüten auf der blassgrünen Tapete an der Wand, um ihren Angestellten die Tätigkeiten auf deren individuellen Diggies zuzuweisen. Für den Vormittag sind diverse virtuelle Beratungen mit Mandanten angesetzt. Die Steuerberaterin seufzt – für zwei Besprechungen musste das alte interaktive Smart Board wieder aus dem Archiv geholt werden. Nicht jeder Mandant geht mit der Zeit – mit den altertümlichen Geräten können die be­triebs­wirt­schaft­lichen Auswertungen wenigstens in Echtzeit interpretiert werden. Danach noch der Vortrag vor der Kammer über die Einführung der Block Chain: Deutschland hat nun doch eine Reform auf den Weg gebracht, um die Steuern mit digitalen, öffentlichen Konten zu erheben. Den Termin hatte sie fast vergessen – also noch schnell eine Nachricht an das digitale Heimnetzwerk, dass es etwas später wird mit dem Essen.

Der digitale Wandel und der Mandant

So oder ähnlich könnte der Arbeitsalltag von Steuerberatern im Jahr 2030 aussehen. Einer der großen Trends im Berufsstand ist die Digitalisierung, welche die Arbeitsprozesse schon jetzt beeinflusst und auf längere Sicht aus den Angeln heben wird. Technische Neuerungen sind für Steuerberater nichts Ungewöhnliches: Seit dem Einzug der ersten Computer in die Kanzleien Mitte der 1980er-Jahre hat sich die Technik rasant weiterentwickelt. Digitale Belege verändern den betrieblichen Alltag, auch die Finanzverwaltung macht sich auf den Weg in das elektronische Zeitalter. Das Verknüpfen der Schnittstellen und das Arbeiten mit intelligenten Ab­rech­nungs­sys­temen ist jedoch für so manchen Steuerberater noch Neuland. Der digitale Wandel fällt den Mandanten ebenfalls schwer: Laut einer aktuellen Studie schicken 41 Prozent der befragten Unternehmen ihre Unterlagen noch in Papierform an den Steuerberater. Lediglich elf Prozent der Mandanten erfassen ihre Daten online, sodass die Kanzlei unmittelbar darauf zugreifen kann. Medienbrüche, die Zeit kosten – und die außerdem eine ganzheitliche Beratung erschweren. Schließlich fehlt der Kanzlei der umfassende 1:1-Überblick über alle wichtigen Unternehmenskennzahlen.

Neue unternehmerische Geschäftsmodelle

Prof. Dr. Uwe Schramm ist davon überzeugt, dass sich diese Praxis in den nächsten Jahren ändern wird. „Ich gehe davon aus, dass mechanische Tätigkeiten wie das klassische Buchen auf absehbare Zeit ersetzt werden“, sagt der Leiter des Studiengangs Rechnungswesen, Steuern und Wirt­schafts­recht an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart. Neue unter­neh­me­rische Ge­schäfts­modelle, Mandanten, die wie selbstverständlich international und komplett im Netz unterwegs sind – eine Generation, welche die neuen technischen Möglichkeiten nutzen möchte. „Es kommen immer mehr junge Unternehmer auf den Markt, die völlig anders mit dem Digitalisierungsthema umgehen – und das auch von ihrem Steuerberater erwarten“, meint Christa Peters. Mit ihrer Firma direktconsult coacht die Kasseler Steuerberaterin mittelständische Betriebe, aber auch Kollegen aus dem eigenen Berufsstand. Ihre Erfahrung ist: „Der Mandats­bestand schrumpft, wenn ich stehen bleibe und mich nicht Richtung Digitalisierung bewege. Dann muss ich mir irgendwann darüber Gedanken machen, wie ich an lukrative Mandate komme.“ Auch die Verwaltung setzt zunehmend auf digitalisierte Arbeitsprozesse – und eine Ewigkeitsgarantie gibt es für keine Kanzlei. Schon jetzt sind in der Branche Konzentrationstendenzen festzustellen.

Die Dynamik des demografischen Wandels

„Für die Pflichten, die ein Unternehmer zu erfüllen hat, wird er immer Berater hinzuziehen – dies ist eine Chance für Steuerberater.“

Der demografische Wandel verschärft die Dy­namik dieser Ent­wick­lung: Die Kanz­lei­an­ge­stell­ten werden älter – und po­ten­zielle Mit­ar­beiter können sich aus­suchen, wo sie hin­gehen. Prof. Dr. Ulrich Sommer, Vize­prä­si­dent der Steuer­be­ra­ter­kammer Süd­baden und Bei­rats­vor­sit­zen­der der DWS Steuer­be­rater-Online-GmbH, fordert daher eine Per­so­nal­ent­wick­lungs­stra­te­gie, die den Be­rufs­stand Steuer­be­ra­tung span­nend und in­te­res­sant mache: „Auf re­gio­naler Ebene funk­tio­niert das zum Bei­spiel mit einer Schul­pa­ten­schaft. Wenn ich etwa mit einem Vortrag vermitteln kann, dass Steuerberater nicht im Kämmerchen sitzen und Zahlenkolonnen addieren, sondern dass wir Mandanten gegenüber dem Staat vertreten, ist schon viel gewonnen.“
Auch die Personalführung innerhalb der Kanzlei hält Sommer für verbesserungsfähig – vor allem bei der Digitalisierung der Prozesse: „Hier sind die Mid Ager vielleicht nicht gut vorbereitet auf das, was auf sie zukommt. Also muss ich mich auf diese Personengruppe konzentrieren, sie motivieren und positiv bestärken. Nicht nur bei den jungen Mitarbeitern schlummern Potenziale, sondern auch bei den langjährigen Angestellten.“ Die Unternehmensberaterin Christa Peters sieht hier ebenfalls Luft nach oben: „Auffällig ist, dass viele Inhaber teilweise noch wachgeküsst werden müssen. Wenn das Bewusstsein für die eigene strategische Ausrichtung und Personalentwicklung an die Oberfläche kommt, bin ich häufig erstaunt, welche Dynamik das Ganze dann entwickelt.“ Der positive Ansatz liege darin, das Ruder selbst in der Hand zu haben – und zugleich die organisatorischen Aufgaben auf viele Schultern zu verteilen. „Zum Beispiel dem IT-Crack in der Kanzlei es zu überlassen, die Digitalisierung anzuschieben“, ergänzt Prof. Dr. Uwe Schramm. Zudem machen nach Schramms Einschätzung ökonomische Notwendigkeiten ein generelles Umdenken erforderlich: „Jedes Unternehmen schaut darauf, wie es seine Kosten in den Griff bekommt und hinterfragt dabei Prozesse. Die Buchhaltung spielt hier eine große Rolle – und hier müssen wir Angebote machen.“ Schramms Ansatz: Je kreativer die Tätigkeit, umso weniger ist sie ersetzbar: „Der Unternehmer ist der Fachmann für sein Produkt. Für die Pflichten, die er sonst zu erfüllen hat, wird er immer Berater hinzuziehen – dies ist eine Chance für Steuerberater.“

Bedürfnis nach Nachhaltigkeit

Die aktive Beratung ist allerdings bislang ein vernachlässigtes Potenzial: Einer aktuellen Studie zufolge erwarten zwei Drittel der Mandanten, dass ihr Steuerberater sie aktiv auf steuerliche Sachverhalte und betriebswirtschaftliche Entwicklungen hinweist und berät. Steuerberater schätzen diesen Faktor jedoch wesentlich geringer ein: Nur zehn Prozent halten ihn für besonders wichtig, immerhin 31 Prozent für sehr wichtig.
Ulrich Sommer sieht in solchen Studien nicht den Wunsch nach dem vermeintlich heißen Steuertipp, sondern das Bedürfnis nach Nachhaltigkeit: „Auch eine Steuerberatungskanzlei sollte sich ganzheitlich mit dem Mandanten auseinandersetzen und das gesamte Umfeld mit ein­be­ziehen.“ Fachwissen sei hier genauso gefragt wie Methodenkompetenz. Fest steht: Die klas­sische Tä­tig­keit der Steuer­be­ratung – die Steuererklärung – wird zurückgehen, be­triebs­wirt­schaft­liche Beratung und Unternehmenssteuerung werden deutlich an Bedeutung gewinnen. Fest steht nach Ansicht von Uwe Schramm aber auch, dass sich nicht die ganze Wirtschaft auf einen Schlag ändert: „Nischen für Mandate wie den Bäcker oder die Fußpflege wird es weiterhin geben – aber der Anteil der klassischen Deklarationstätigkeit wird kleiner werden. Darauf muss ich mich als Steuerberater einstellen – und wenn es nicht mehr reicht, muss ich mich auch darauf einstellen.“ Am Ende gilt aber auch: Soll und Haben wird es immer geben.

Zur Autorin

Constanze Elter

Steuerjournalistin, Redakteurin und Podcasterin bei DATEV.

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