Steuerbetrug - 28. Juli 2016

Rotierend hinterziehen

Die Umsatzsteuer eignet sich in be­son­de­rem Maße für Hinter­zie­hungs­delikte. Die Täter agieren zumeist mit Ka­rus­sell­ge­schäften oder Um­satz­steuerketten.

Unser Alltag ist durchdrungen von Lieferungen und Leistungen und damit auch von Steuer­ge­setzen. Die wichtigste Steuerart – sowohl für den Fiskus als auch für den Unternehmer – ist die Umsatzsteuer. Bei dieser allgemeinen Verbrauchssteuer wird lediglich der Endverbraucher belastet. Der Unternehmer kann die Steuer daher auf seine Leistungsempfänger abwälzen. Stellt ein Unternehmer einem anderen Unternehmer Umsatzsteuer in Rechnung, so kann dieser sich durch den sogenannten Vorsteuerabzug entlasten. Er bekommt dann die gezahlte Umsatzsteuer erstattet. Die Umsatzsteuer wird durch diesen Vorgang zum Endverbraucher durchgereicht.

Ausgangslage

Die beliebteste Form wirtschaftskrimineller Handlungen im Bereich des Umsatzsteuerrechts stellen die sogenannten Umsatzsteuerkarussellgeschäfte dar. Diese verursachen als eine Form des Um­satz­steuer­betrugs in der gesamten Europäischen Union (EU) jährlich Steuerausfälle in Mil­liar­den­höhe (NJW-aktuell, 11/2010, S. 16; Gehm, Aktuelle strafrechtliche Aspekte beim Um­satz­steuer­ka­rus­sell, StraFo, 11/2015, S. 441). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in jüngster Ver­gan­gen­heit die EU-Mitgliedstaaten zum energischen Einschreiten gegen ent­spre­chen­de Be­trugs­sys­teme aufgefordert. Die nationalen Behörden und Gerichte sind verpflichtet, einem Steuer­pflich­ti­gen im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung das Recht auf Vor­steuer­ab­zug, auf Mehr­wert­steuer­be­freiung beziehungsweise Mehrwertsteuererstattung zu versagen, auch wenn das nationale Recht keine Bestimmungen enthält, die eine solche Versagung vorsehen. Dies gilt, sofern Folgendes anhand objektiver Umstände nachgewiesen ist: Der betroffene Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich durch den Umsatz, auf den er sich zur Begründung des betreffenden Rechts beruft, an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehr­wert­steuer­hin­ter­ziehung beteiligt hat (EuGH, Urt. v. 18.12.2014, C-131/13, Schoenimport „Italmoda“, EUGH-Az. C-163/13, 2. Leitsatz).

Risiko des Umsatzsteuersystems

Die Umsatzsteuer eignet sich aufgrund der Zweiteilung im Erhebungsverfahren ganz besonders für Hinterziehungsdelikte.

Die Umsatzsteuer eignet sich auf­grund der Zwei­tei­lung im Er­he­bungs­ver­fahren zwi­schen Steuer­schuld und Vor­steuer­ab­zug in be­son­de­rem Maße für Hin­ter­zie­hungs­delikte. Das Er­he­bungs­system be­wirkt, dass zur Be­steue­rung von Waren und Dienst­leis­tun­gen je­weils alle Glieder der Unter­neh­mer­kette he­ran­ge­zogen werden, jeder ein­zel­ne Unter­neh­mer aber nur die Steuer ab­füh­ren muss, die auf seine Menge – den von ihm er­wirt­schaf­te­ten Mehr­wert – ent­fällt. Das Recht zum Vor­steuer­ab­zug ergibt sich aus § 15 Abs. 1 Um­satz­steuer­gesetz (UStG). Zu den formalen Voraussetzungen gehört, dass der steuerpflichtige Unternehmer eine steuerpflichtige Leistung und eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis hierüber erhalten hat. Keine Voraussetzung ist hingegen, dass der Unternehmer die erhaltene Rechnung auch bezahlt hat, und auch nicht, dass die ausgewiesene Umsatzsteuer auch tatsächlich an das Finanzamt abgeführt wurde. Der Bundesgerichtshof (BGH) beschreibt diese Situation sehr plastisch und als denkbar verwerflichste Form des Steuerbetrugs beziehungsweise der Steuer­hin­ter­ziehung. Wenn der Täter steuer­min­dern­de Umstände vortäuscht, indem er nicht bestehende Vorsteuerbeträge geltend macht, unternimmt er einen Griff in die Kasse des Staats, weil die Tat zu einer Erstattung eines (tatsächlich nicht bestehenden) Steuerguthabens oder zum (scheinbaren) Erlöschen einer be­stehen­den Steuer­for­de­rung führen soll (BGH, Beschluss v. 15.12.2011, 1 StR 579/11 (LG Essen), 4. Leitsatz).

Umsatzsteuerkarussellgeschäfte

Im Allgemeinen werden Umsatzsteuerkarussellgeschäfte in einem weitverzweigten Netz von nationalen und europäischen Unternehmen betrieben. Oftmals werden einzelne Unternehmen nur kurzzeitig gegründet, um als Scheinlieferfirmem aufzutreten. Diese Firmen verschwinden innerhalb kürzester Zeit wieder aus dem Wirtschaftskreislauf. Die Wirkungsweise von Um­satz­steuer­ka­rus­sellen besteht darin, dass mindestens drei Unternehmen eingeschaltet werden, von denen eines mit ordnungsgemäßen Voranmeldungen hohe Vorsteuerüberhänge erklärt. Die anderen Beteiligten geben teilweise unrichtige oder gar keine Voranmeldungen ab. Durch die Wiederholung dieses Kreislaufs erlangen die Täter eine mehrfache Erstattung der Vorsteuern, die teilweise genutzt wird, die Waren endgültig an fremde Dritte zu konkurrenzlos günstigen Preisen verkaufen zu können.

Fallbeispiel

Das erste Glied in der Kette ist ein inländisches Unternehmen A. Dieses liefert meist kleine, aber sehr hochpreisige Waren, wie etwa Spirituosen, an den ebenfalls im Inland ansässigen Unter­nehmer B. Anschließend veräußert B die Waren an den sich im EU-Ausland befindlichen Unter­nehmer C. Von C werden die Wirtschaftsgüter zurück an A geliefert. Der Kreislauf wird beliebig fortgesetzt. Die erste Lieferung von A an B ist eine steuerpflichtige Lieferung in Deutschland, für die der Empfänger B eine ordnungsgemäße Rechnung mit Ausweis von Umsatzsteuer erhält. Da die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung von B an den im EU-Ausland ansässigen C steuerbefreit ist (§§ 4 Nr.1b, 6a UStG), erklärt B regelmäßig hohe Verlustüberhänge, die ihm erstattet werden (§ 15 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2, 3 Nr. 1a UStG). Die ebenfalls steuerfreie Rückveräußerung der Waren von C an A wird ordnungsgemäß erklärt. Der Gewinn der Beteiligten ergibt sich daraus, dass A die Lieferungen an B nicht in den Voranmeldungen erklärt und die entstandene Umsatzsteuer nicht abführt, während B sämtliche Vorsteuerbeträge vom Fiskus ausbezahlt werden.

Umsatzsteuerketten

Ein weiteres betrügerisches System im Bereich der Umsatzsteuer stellen die sogenannten Umsatzsteuerketten dar. Diese unterscheiden sich von Umsatzsteuerkarussellen lediglich dadurch, dass die Ware nicht an ihren Ausgangsort zurückkehrt und sich damit der Kreislauf nicht zu einem Karussell schließt. Die Gefahr dieser speziellen Form des wirtschaftsdelinquenten Verhaltens liegt damit nicht nur in der Steuerhinterziehung an sich, sondern vor allem im Schaffen einer parallelen Wirtschaftswelt mit den damit einhergehenden Strukturen von Einkaufskartellen und Mono­pol­stel­lun­gen. Dementsprechend liegt ein doppelter volkswirtschaftlicher Schaden vor.

Steuerstrafrechtliche Einschätzung

Wird keine Ware geliefert beziehungsweise sonstige Leistung erbracht, ist zu beachten, dass der Vorsteuerbetrag nur aufgrund von Rechnungen geltend gemacht werden kann, denen tatsächlich ausgeführte Lieferungen zugrunde liegen. Wer trotz vorliegender Scheingeschäfte aus solchen Rechnungen Vorsteuer geltend macht, täuscht die Finanzverwaltung wiederum über steuer­er­heb­liche Tatsachen im Sinne des § 370 Abs.1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Hinsichtlich des Wissens beziehungsweise Wissenmüssens um die Einbringung in ein Um­satz­steuer­be­trugs­system kommt es nach Ansicht des BGH darauf an, ob dieses subjektive Element, namentlich die Täu­schung, bei Bezug der Leistung vorliegt. Das ist damit der maßgebliche Zeitpunkt. Eine spätere Bösgläubigkeit verhindert nicht die Berechtigung zur Geltendmachung von Vorsteuer und begründet somit keine Strafbarkeit nach § 370 AO (BGH, Beschluss v. 02.09.2015, 1 StR 239/15, BeckRS 2015). Auf die Frage, ob der Händler wissentlich oder unwissentlich an dem Um­satz­steuer­ka­rus­sell teil­ge­nommen hat, kommt es aber dann gar nicht mehr an. Rein strafprozessual ist die Tatfrage bei Fällen der Umsatzsteuerkarusselle recht simpel: Es geht meist lediglich um den Vorsatz der beteiligten Unternehmer. Aufgrund vielfältiger staats­an­walt­schaft­licher Er­mitt­lungs­maß­nahmen, wie etwa Telefon- und Videoüberwachungen und oftmals sogar des Einsatzes von verdeckten Ermittlern, kann der objektive Tatnachweis relativ einfach geführt werden. Je ver­zweigter jedoch das internationale Firmennetz gesponnen wird, desto mehr verwischen die Grenzen zwischen Kenntnis und Kennenmüssen der Tatbeteiligten.

Rechte des Beschuldigten im Steuerstrafverfahren

Steuerpflichtige sind im Besteuerungsverfahren zur Mitwirkung verpflichtet, selbst wenn gegen sie ein Strafverfahren eingeleitet ist.

Interessant sind die teilweise divergierenden Rechte des Beschuldigten im Spannungsfeld zwischen Straf­pro­zess­recht und Steuer­recht. Gemäß § 385 AO gel­ten für das Steuer­straf­ver­fahren im We­sent­lichen die all­ge­meinen Re­geln des Straf­pro­zess­rechts, soweit sich aus den be­son­de­ren Vor­schrif­ten der AO nichts an­deres er­gibt. Der steuer­pflich­tige Be­schul­digte bleibt trotz Ein­lei­tung des Straf­ver­fah­rens im Be­steue­rungs­ver­fahren gemäß § 393 Abs. 1 AO grund­sätz­lich weiter­hin zur Mit­wir­kung ver­pflichtet. Die Finanzbehörde kann zur Durchsetzung der be­ste­hen­den Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren jedoch keine Zwangsmittel anwenden, wozu sie grundsätzlich nach § 328 AO berechtigt wäre. Das gilt aber nur soweit, als der Beschuldigte durch die Mitwirkungspflicht gezwungen wäre, sich selbst zu belasten. Der Finanzbehörde ist es aber dennoch unbenommen, die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO zu schätzen, da der Steuerpflichtige seiner Pflicht zur Mitwirkung im Besteuerungsverfahren nicht nachgekommen ist.
Tatsachen oder Beweismittel, die der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in einem Straf­ver­fah­ren aus den Steuerakten bekannt werden und die der Steuerpflichtige der Fi­nanz­be­hörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Straf­ver­fah­rens in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat, dürfen gemäß § 393 Abs. 2 AO nicht für die Verfolgung einer Tat verwendet werden, die keine Steuerstraftat ist. Dieses Verwertungsverbot ist auch auf Polizeibehörden anzuwenden, da die Staatsanwaltschaft die Norm ansonsten durch deren Betrauung mit den Ermittlungen umgehen könnte (Rogall, FS Kohlmann, S. 465, 487; Hübsch­mann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 393, Stand: Dezember 2014, Rn. 130). Ein strafrechtliches Verwertungsverbot soll im Übrigen wohl auch dann bestehen, wenn die Behörde das Straf­ver­fahren pflicht­wid­rig nicht einleitet, um die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen weiter zwangsweise durchsetzen zu können (Rüping, Die Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27 b UStG, S. 129; Bilsdorfer in: Praxis Steuerstrafrecht, 11/2001, S. 238).

Fazit

Die Spannung zwischen dem Besteuerungsverfahren und dem Steuerstrafverfahren liegt vor allem darin, dass der Steuerpflichtige im Besteuerungsverfahren und mit besonderer Ausprägung während der Außenprüfung sowie der Umsatzsteuer-Nachschau zur Mitwirkung verpflichtet ist und diese auch zwangsweise durch die Finanzbehörde durchgesetzt werden kann. Da dies aber dem strafrechtlichen Grundsatz, dass sich niemand selbst belasten muss, widerspricht, bleibt zwar die Mitwirkungspflicht formal auch dann bestehen, wenn zusätzlich zum Besteuerungsverfahren ein Strafverfahren eingeleitet ist. Dieses kann dann allerdings nicht mehr mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

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Fachliteratur zum Thema Umsatzsteuerhinterziehung:

Kompaktwissen für Berater: Be­ra­tungs­an­lass Steuer­hin­ter­ziehung, 2. Auflage, Art.-Nr. 36448

Kompaktwissen für Berater: Die straf­be­frei­ende Selbst­an­zeige, Art.-Nr. 36881

Mandanten-Info-Broschüre: Man­dan­ten­schutz im Steuer­straf­recht, Art.-Nr. 32334

Mandanten-Info-Karte: Man­dan­ten­schutz im Steuer­straf­recht, Art.-Nr. 31132

Fachseminar online
„Besonders schwere Steuer­hinter­ziehung gemäß § 370 Abs. 3 AO“, Risi­ken und Ge­fahren in komplexen Steuer­straf­ver­fahren, Art.-Nr. 76846, Buchung unter: www.telelex.de, Termin: 8. Dezember 2016

Dialogseminare online der TeleTax:

Der Gastwirt zwischen Be­triebs­prü­fung und Steuer­fahn­dung, Art.-Nr. 76464

Steuerfahndung – das Wichtigste aus Sicht des Steuer­be­raters, Art.-Nr. 76463

Zur Autorin

Dr. Susana Campos-Nave

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Strafrecht und Senior Associate bei Rödl & Partner, Rechtsanwaltsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft mbH, Berlin

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