Demografischer Wandel - 30. Juni 2016

Klarer Kurs auf rauer See

Der Steuerberater der Gegen­wart muss sich be­reits heute neu er­fin­den, um morgen noch Ka­pi­tän in seiner Kanz­lei zu sein. Der Wind bläst ihm näm­lich nicht nur Zah­len­ko­lon­nen und Sta­tis­ti­ken ins Ge­sicht, sondern auch den de­mo­gra­fischen Wan­del. Dieser ent­fes­selt di­ver­se Kräfte, die be­herrscht werden wollen.

Wie kommt es eigentlich, dass so viele Menschen gleich Ja und Amen sagen, sobald jemand exakte Zahlen in den Raum wirft? Es ist immer wieder verblüffend: Sagen wir, dass im Jahre 2050 etwa jeder Dritte in Deutschland fünfundsechzig und älter sein wird, ernten wir skeptische Blicke. Sprechen wir dagegen von 32,5 Prozent Senioren, glaubt man uns andächtig. Das ist seltsam, denn in Wirklichkeit kann niemand auch nur ungefähr wissen, wie viele junge und ältere Leute es in vierzig Jahren geben wird. Was man 1970 für heute prognostiziert hat, ist schon lange Makulatur. Aber trotzdem glauben die meisten einer unehrlich exakten Zahl eher als einer ehrlichen Schätzung“ (Gerd Bosbach/Jens Jürgen Korff: Lügen mit Zahlen – Wie wir mit Statistiken manipuliert werden, Wilhelm Heyne Verlag München, 2012).

Ruhe bewahren

Ein guter Kapitän bleibt immer auf der Kommandobrücke, schaut gen Horizont, bewahrt selbst bei größtem Sturm und Wind die Ruhe. Diese Haltung ist auch jetzt gefragt, wenn es um das Metier der nüchternen Zahlen und der abstrakten Betriebswirtschaft geht. Der Steuerberater der Gegenwart muss sich bereits heute neu erfinden, um morgen noch Kapitän in der eigenen Kanzlei sein zu können. Der Wind bläst ihm nämlich Zahlenkolonnen und Statistiken ins Gesicht, der demografische Wandel entfesselt diverse Kräfte, die nun beherrscht werden wollen. Ja, Deutsch­land liegt bei den Geburtenraten irgendwo ganz hinten, nur wenige Kinder in den Familien sind der unschöne Normalfall geworden. Sicher, das Land wird demografisch betrachtet immer älter, bunter und weniger. Auch klar ist, dass wir inzwischen etliche Regionen haben – von bayerischen Landkreisen bis Sachsen-Anhalt, wo sich mehr Wölfe als Menschen ansiedeln und alte Dörfer und Bahnstrecken verfallen und verwesen. Aber nun auch noch der millionenfache Zustrom von Menschen aus fernen Kulturen und Zivilisationen, die integriert und „arbeitsmarkttauglich“ gemacht werden sollen. Hilfe, wo soll denn das alles noch hinführen?

Aleppo und Damaskus

„Unter den Asylsuchenden des vergangenen Jahres hatten 15 Prozent eigenen Angaben zufolge eine Hochschule besucht. 16 Prozent waren auf einem Gymnasium und 35 Prozent gaben an, eine Mittelschulbildung zu haben … Jeder sechste Flüchtling ging auf die Uni“ (Die Welt). Geschichte wird gemacht, in guten wie in schlechten Zeiten. Chancen und Risiken gehören zu den meisten Berufsbildern, der Fachkräftemangel aber sollte den Blick schärfen. Steht die Zukunft bereits vor der Tür? Kommt der nächste Mitarbeiter aus Aleppo, die nächste Mitarbeiterin aus Damaskus? Das Berufsbild eines Steuerfachmanns passt erst einmal wenig zu den Herkunftsländern der neuen deutschen Zuwanderer. Sprachhürden, Bürokratie, von der Wiege bis zu Bahre – Formulare, Formulare – kann man sich da schnell einleben und mitmachen in dieser Fremde? Warum nicht? Konzentrieren wir uns doch auf jene, die bleiben wollen und dürfen, der demografische Wandel zwingt uns zu Flexibilität und unkonventionellen Maßnahmen.

Staatlich finanzierte Aufgaben

Der blinde Glaube an das statistische Elend hilft nicht weiter.

Weder der blinde Glaube an das statistische Elend der deutschen Demografie noch die zeitgenössische Hysterie angesichts dramatischer Entwicklungen rund um Flüchtlinge und offene Grenzen helfen weiter. Sicher hingegen sind nur klare ökonomische Wegmarken und eindeutige Prognosen. Unsere Gesellschaft wandelt sich – so what? Das ganze Leben ist ein steter Wandel! Aber hier beginnt der aufregende Beruf des Steuerberaters, wenn der denn sämtliche Türen und Fenster öffnet und bei quasi gesellschaftlichem Durchzug arbeitet und sich als Teil des öffentlichen Lebens begreift. Zum Beispiel: Das Anwachsen des Sozialstaats und mächtiger Verbände und Institutionen, wie etwa der riesigen Caritas, zu großen Arbeitgebern, die wundersame Vermehrung von gemeinnützigen und weniger gemeinnützigen GmbHs in diesem Umfeld, all das markiert die progressive Lage in staatlich finanzierten Aufgabenfeldern, die zunehmend privatisiert werden – und dann ebenfalls Steuerberatung benötigen. Gleichzeitig gibt es einen drastischen Rückgang der beruflichen Selbstständigkeit im Lande auf inzwischen nur noch knapp vier Millionen Freiberufler – und das bei einem mehr als 80-Millionen-Volk. Die Zunahme von Regularien für Mittelstand und Start-ups, welche Zeit und Geld kosten, nicht nur bei den Mindestlöhnen, sind ebenso alarmierend für die Zukunft der freien Marktwirtschaft. Hier braucht der Kunde des Steuerberaters mehr denn je qualifizierte Hilfe über den rein steuerrechtlichen Rahmen hinaus. Nur drei ausgewählte Hinweise auf Ereignisse, die beweisen, dass der Steuerberater von heute Aktuelles und Kleingedrucktes mehr denn je vor Augen haben sollte, wenn er denn fit für den Job in sich teils drastisch änderndem Umfeld sein will. Der all das begleitende und nun lauthals beklagte demografische Wandel ist dabei noch zusätzlicher Wegbegleiter, der alles beschleunigt und noch weitaus größere Unsicherheiten produziert.

Fulminanter Wandel

Schleichende Entwicklungen sind tückisch, sie wirken oft harmlos, geraten leicht aus dem Blickfeld, es wirkt alles abstrakt und theoretisch. Die Demografie begleitet einen Umbruch, der die analoge Ökonomie abwickelt und jeden Beruf vor Computer und Internet zwingt – eine große He­raus­for­de­rung. Er erwischt unser verwöhntes Land mit einer vollen Breitseite, als gesamt­ge­sell­schaft­liches Quer­schnitts­thema, mit einer Komplexität, die alle Bereiche unseres Lebens berühren wird. Es geht also um einen ful­mi­nan­ten Wandel, der sowohl global als auch lokal wirkt – Völ­ker­wan­de­rung, digitale Re­vo­lu­tion und der demo­gra­fische Wandel. Ein Problem für Berufe, die auch noch über den Fach­kräfte­mangel klagen? Nein, eine Chance!

Steuerberater als Lotse

Je unübersichtlicher die Zeiten, desto größer die Sehnsucht nach Stabilität, Sicherheit und Seriosität. Eine Sternstunde für die flexible, serviceorientierte und multi­funk­tio­nale Steuer­be­ra­tungs­kanz­lei, welche die alten Schablonen beruflichen Wirkens vergangener Jahrzehnte entfernt und sich als modernes wirtschaftliches Servicecenter für Selbstständige und Unternehmer mit großem Katalog und individuellem Dienst am Kunden präsentiert. Es kann nur besser werden, wenn ich die richtigen Fragen und Antworten weiß: Was tun? Beratung oder Berechnung? Hand aufs Herz: Kaum ein Beruf ist so vielschichtig und so komplex wie der des Beraters in einer Steuerberatungskanzlei. In keinem vergleichbaren Genre sind die Erwartungen der Klienten so hoch und in solch einem Spannungsfeld anzutreffen. Erwartungen und Service treffen sich auf einem sensiblen Feld: Der Kunde zahlt, um Geld zu sparen – kann der Steuerberater dem immer gerecht werden?
Etliche Berufe sind dank des gravierenden demografischen Wandels der deutschen Gesellschaft längst in einem Umbruch, auch wenn das vielfach noch gar nicht bemerkt wurde. Der Beruf des Steuerberaters wird in den Sog der Umstrukturierungen von Markt, Gesellschaft und Fir­men­um­feld geraten. So bedeutet der demografische Wandel für den Steuerberater neue Perspektiven. Der Zwang zur Modernisierung, zu verbessertem Marketing, zu mehr Kundennähe und Serviceorientierung, all das sind letztlich innovative, positive und konstruktive Faktoren, die ohnehin niemals schaden. Wo sehen Sie Ihre Kanzlei, Mitarbeiter und Mandanten in fünf Jahren? Haben Sie sich Gedanken über ihre berufliche Praxis in Zeiten des Wandels gemacht? Was bedeutet dieser Job in einer Gesellschaft, die möglicherweise mit dem Rückgang der Bevölkerung auch einen Teil ihrer Prosperität, ihrer Dynamik, ihrer Stabilität und ihres Wachstums verliert?

Wir werden älter, weniger, bunter

  • Älter: Durch die Medizin und bessere Lebensbedingungen werden die Menschen deutlich länger leben. Der Anteil der über 80-jährigen Menschen wird sich somit in den nächsten acht Jahren um circa 70 Prozent erhöhen – in ländlichen Bereichen sogar mehr als verdoppeln.
  • Weniger: Es werden weniger Kinder geboren als Menschen sterben, die Geburtenrate in Deutschland ist kontinuierlich auf Tiefstand und bedeutet Reduktion – fatal: Nicht geborene Mütter haben keine Töchter, wir befinden uns in einer Abwärtsspirale. Es fallen jetzt und künftig ganze Generationen aus.
  • Bunter: Bereits heute liegt der Anteil der Migranten bei etwa zehn Prozent, knapp 20 Prozent der Bevölkerung haben ihre Wurzeln im Ausland. Bedingt durch einen anderen Kultur- und Familiensinn bekommen diese Einwanderergruppen deutlich mehr Kinder als Deutsche – und hängen die angestammte Bevölkerung bei diesem vermeintlichen Wettlauf zunehmend ab.

Wie attraktiv ist Ihre Kanzlei, und wird sie den Ansprüchen des permanenten Generationswechsels gerecht? Sind auch die Älteren unter Ihnen im Umgang mit Kommunikationstechnologien auf dem neuesten Stand? Folgen Sie den Ansprüchen der Jüngeren (Generation Y und Z) hinsichtlich Lebensqualität, Flexibilität und Spaß bei der Arbeit? Wie können Sie Mitarbeiter mit Mi­gra­tions­hin­ter­grund in Ihre Kanzlei einbinden? Was bietet Ihre Kanzlei an konstruktivem Teamwork und motivierender Sinnhaftigkeit? Wie flexibel und verlässlich ist Ihr Unternehmen? Wie gehen Sie mit dem veränderten Kundenverhalten, den Bedürfnissen und den unter­schied­lichen Typen von Mandanten in einer sich stets wandelnden Arbeits- und Berufswelt um? Fachliche Qualität ist auch eine Frage des souveränen Auftretens, eine Frage von Persönlichkeit und Image. Hierzu gehören rationale und subjektive Faktoren in der Wahrnehmung des Mandanten. Was will der Kunde der Zukunft?

Fazit

Was hilft das Lamentieren über den Fachkräftemangel? Führung und Unternehmenskulturen werden sich der gesellschaftlichen Entwicklung anpassen müssen. Beim Kampf um die Köpfe wird derjenige vorn liegen, der sich mit der Vielfalt der relevanten Faktoren beim Wandel des Arbeitsmarkts befasst und klare Konsequenzen daraus gezogen hat. Je kleiner der Betrieb, umso wichtiger sind die Führungseigenschaften des Chefs. Das Betriebsklima und die Atmosphäre am Arbeitsplatz werden überwiegend von der Führungskraft und ihren Vorgaben bestimmt. Je attraktiver ein Unternehmen, desto einfacher hält und gewinnt es Mitarbeiter, insofern ist der wirklich attraktive Arbeitsplatz ein Gebot der Stunde, um auch morgen noch am Markt mit eigenem Personal zu bestehen.

Mehr DAZU

MEHR DAZU

Kanzleien beklagen, dass es zu­neh­mend schwie­ri­ger wird, ge­eig­ne­te Fach­kräfte für die Lohn­ab­rech­nung zu finden. Eine sys­te­ma­tische Aus- und Wei­ter­bil­dung von en­ga­gier­ten Mit­ar­bei­tern kann hier Ab­hilfe schaffen.

www.datev.de/ weiterbildungsplan

Dialogseminar online auf Abruf: Mit der DATEV-Ini­tia­tive „Rock Deine Zu­kunft“ die At­trak­ti­vi­tät als Ar­beit­geber stei­gern, Art.-Nr.: 77811

Zu den Autoren

RU
Reiner Ulrich

Seit 2003 selbstständiger Unternehmensberater, nach INQA qualifizierter Demografieberater, leitet die Landesgeschäftsstelle des Demografie-Experten-Vereins e.V. in Baden-Württemberg

Weitere Artikel des Autors
JS
Jürgen Stark

Autor, Journalist und Mitglied des Deutschen Musikrats, unterrichtet als Lehrbeauftragter an Hochschulen, Mitbegründer des Instituts für kulturelle Kommunikation IKK an der Hochschule Offenburg und dort stellvertretender Direktor für Medienjournalismus

Weitere Artikel des Autors