Steuerberater unter Karl dem Großen - 28. April 2016

Nichts Unfreiwilliges vom Volke fordern

Karl der Große vergrößerte während seiner Re­gent­schaft von 768 bis 814 das frän­kische Ter­ri­to­rium, unter­warf die Sachsen und wurde im Jahre 800 als erster west­licher König zum Kaiser ge­krönt. Weniger be­kannt ist, dass unter seiner Herr­schaft der Beruf des Steuer­be­ra­ters ent­schei­dend ge­prägt wurde, um die Be­völ­ke­rung vor Steuer­tricksereien zu schützen.

Dies hing zunächst mit der Einführung des Zehnten für Christen zusammen, also der Zahlung einer rund zehnprozentigen Steuer. „De decimis, ut unusquisque suam decimam donet – Vom Zehnten, auf dass jedermann seinen Zehnten gebe.“ Mit diesem Text setzte der Frankenherrscher im Jahr 779 durch, dass auch Christen diese Steuer zahlen mussten. Bis dato galten die Anhänger des Christentums im Allgemeinen als von der Zehntpflicht befreit. Karl der Große änderte dies, um die fränkische Kirche zu unterstützen. Mit der Einführung des Zehnten wuchs im Frankenreich die Zahl der Menschen, die Steuern in Form von Geld oder Naturalien zahlen mussten. Mit der Zeit kamen örtlich unterschiedliche Gewohnheiten hinzu, was zu uneinheitlichen Abgaben führte. Handwerker und Händler unterlagen dem Personalzehnt, die Landbevölkerung hatte den Realzehnt zu geben. Für die Bevölkerung war dies nicht nur unübersichtlich, manch einer war auch dem Betrug durch Amtsträger oder Oberschicht ausgesetzt. Beliebt waren zu hohe oder erfundene Steuern und Zölle. Gerne wurde auch versucht, Abgaben, die Städte oder lokale Herrscher dem König zu entrichten hatten, auf das gemeine Volk abzuwälzen. Ein Gesetz sollte das verhindern: Bei öffentlichen Feiern wie Thronbesteigung des Königs oder Hochzeiten dürfe „nichts Unfreiwilliges vom Volke, weder Geschenke noch sonstige Ausgaben, gefordert werden“, heißt es hierin.

Königliche Stellvertreter vor Ort

Um die Bevölkerung vor Tricksereien zu schützen, erließ Karl der Große weitere Regelungen: Zusätzlich zu dem vor Gericht in Rechts- und Steuerfällen en­ga­gier­ten Redner (Orator) führte der Kaiser ein neues Amt ein, dessen Inhaber das volle Stell­ver­tre­tungs­recht besaß. Dies war eine Innovation, denn Redner waren vor Gericht nur befugt, in Anwesenheit der jeweiligen Parteien aufzutreten. Die nun neu ge­schaf­fe­nen Amtsträger wurden als Advocatus oder Mandatarius bezeichnet. Der Advocatus, vom la­tei­ni­schen ad­vo­care für herbeirufen, war im wahrsten Sinne des Wortes ein zur Hilfe (vor Gericht) Her­bei­ge­ru­fener. Mandatarius dagegen bedeutete so viel wie Mandatsträger, sprich Beauftragter mit Stell­ver­tre­tungs­recht. Die beiden Benennungen für den neuen Beistand in Rechts- und Steuerfragen haben in „Advokat“ und „Mandat“ bis in unsere heutige Zeit überdauert. Advocatus und Mandatarius wurden durch königliche beziehungsweise amtliche Gesandte vor Ort ausgewählt und in einem Ver­zeich­nis ein­ge­tragen. Dieses Zulassungsregister lag in der Schatz­kammer (der Camera Imperii) der Kaiserpfalz in Aachen, quasi dem Vorvorläufer unseres heutigen Bundesfinanzministeriums. Die in dem Verzeichnis eingetragenen Personen galten ab diesem Zeitpunkt als Sachwalter mit vollem Stell­ver­tre­tungs­recht. So sollte sichergestellt werden, dass nur gute und qualifizierte Personen das Amt ausführten und diese der Bevölkerung in Rechts- und Steuerangelegenheiten beistanden.

Die Nachfahren des Advocatus

Aus der unter Karl dem Großen entworfenen Idee einer echten Parteivertretung entwickelte sich das Amt des Vogts, der Aufgaben des Advocatos (daher auch die Bezeichnung Vogt) übernahm und hierbei vor allem die Kirche, aber auch weltliche Herren bei Besitz- oder Fi­nanz­an­ge­le­gen­heiten unterstützte. In den meisten Fällen kümmerte sich der Vogt um Fragen bezüglich der sogenannten Immunität, das heißt der Freiheit von Steuern und von bestimmten, quasi öffentlichen Verpflichtungen. Die Immunität befreite nämlich nicht von jeglicher Pflicht. Bei der Erneuerung der Kirchen und beim Brücken- und Straßenbau sollte zum Beispiel so vorgegangen werden, „wie es nach altem Herkommen gebräuchlich ist; und es soll nicht eine Ausnahme gemacht werden mit den Immunitätsgebieten“. Ausnahmen konnten nur durch ein königliches Privileg gestattet werden. Allerdings war vieles nicht immer klar definiert und rechtlich abgesteckt, was regelmäßig zu Streitigkeiten führte und dann den Vogt auf den Plan rief. Heute helfen uns die Nachfahren des Advocatus, die Steuerberater, wenn es um finanzrechtliche Fragen geht, ohne dass wir selbst in Erscheinung treten müssen. Doch auch ein anderer Berufsstand kann seine Ursprünge auf den Frankenherrscher zurückführen: die Buchhalter. Denn die Abgabe des neu eingeführten Zehnten sowie anderer Steuern und Zölle führte dazu, dass eine Buchführung eingeführt werden musste, die alle Abgaben genau dokumentierte. Richtungsweisend hierfür war eine Verordnung Karls des Großen, welche die geschäftsführenden Amtsträger anwies, alle „Abgaben, Dienste und Abzüge“ in ein Rechnungsbuch einzutragen. Am Ende des Jahrs wurde ein Bericht mit Vermögensaufstellung verfasst. Jahresabschluss und Steuererklärung lassen grüßen.

Zu den Autoren

IW
Irene Wallner

Neumann & Kamp,
Historische Projekte

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