Rechtsanwälten ist es nun angeblich erlaubt, sich mit allen verkammerten freien Berufen zusammenzuschließen. Wirklich mit allen?
Mit einer richtungsweisenden Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 12. Januar den Zusammenschluss von Rechtsanwälten mit Apothekern und Ärzten für zulässig und ein anderslautendes Verbot, das sich aus § 59a der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) ergibt, für verfassungswidrig erklärt (BVerfG, Az. 1 BvL 6/13). Insoweit herrscht nun Klarheit, allerdings nur, soweit Anwälte mit den genannten Angehörigen der Heilberufe zusammengehen wollen, und zwar in der Rechtsform einer Partnerschaftsgesellschaft. Darüber hinausgehende Ausführungen sind dem Beschluss des höchsten deutschen Gerichts leider nicht zu entnehmen, sodass sich weitere Fragen ergeben: Ist ein Zusammenschluss auch in Form der klassischen Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts (GbR) beziehungsweise eine GmbH möglich? Kann die Sozietät auch mit anderen Freiberuflern als Ärzten beziehungsweise Apothekern eingegangen werden, namentlich Architekten, Bauingenieuren oder Psychotherapeuten? Und wie verhält es sich mit der häufig gewünschten Dreieckskonstellation von Steuerberater, Anwalt und Unternehmensberater?
Hintergrund
Vor dem lang ersehnten Beschluss des Ersten Senats durften Anwälte nur mit bestimmten Angehörigen anderer freier Berufe zur gemeinsamen Berufsausübung zusammengehen. Dazu gehörten insbesondere Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Unter Zusammenschluss war jedoch nicht nur die gesellschaftsrechtliche Bindung in Form einer gemeinsamen Sozietät zu verstehen. Rechtsanwälte durften außer mit Angehörigen der wirtschaftsberatenden Berufe auch keine Bürogemeinschaft gründen (§ 59a Abs. 3 BRAO), obgleich es in der Praxis Mittel und Wege gab, die Regelung des § 59a Abs. 3 BRAO zu umgehen. Zwar nicht offiziell beziehungsweise „auf Augenhöhe“, dafür aber verdeckt oder zumindest in Form eines vertraglich geregelten Angevstelltenverhältnisses. Widersinnig ist auch der Umstand, dass ein Anwalt, der zugleich Medizin studiert hatte, auf seinem Briefkopf bisher parallel als Anwalt und Arzt firmieren durfte, sich mit einem weiteren Nur-Anwalt zusammenschließen konnte, und es auf diese Weise bisher schon Sozietäten von Nur-Anwälten und Ärzten gab. Ähnlich gelagert ist der Fall des Wirtschaftsprüfers, dem es nach § 44b Wirtschaftsprüferordnung (WPO) erlaubt war, entweder mit einem Anwalt oder einem Arzt zu kooperieren, aber eben nicht gleichzeitig in einer Dreiersozietät.
Überfällige Reform
An all diesen Beispielen wird deutlich, dass die Regelung des § 59a BRAO nicht mehr zeitgemäß ist – ja, das gesamte anwaltliche Berufsrecht mutet eher traditionell an, teilweise wirkt es altmodisch oder gar verkrustet. Definiert wird ein unklares Berufsbild des Rechtsanwalts, geknüpft an bestimmte Verhaltens- und Verbotsvorschriften. Das ist bedauerlich, müssen Anwälte in heutiger Zeit doch moderne Dienstleister sein. Sie haben mit komplexen Problemen zu tun, deren Bewältigung nur durch Bündelung verschiedener Kompetenzen möglich ist.
So überrascht es auch nicht, dass der Gesetzgeber schon vor Jahren bereit war, die Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit anderen Berufsangehörigen zu erweitern. Aber wie fast immer: Das Vorhaben scheiterte seinerzeit an der Uneinigkeit von Kammer und Verband, die sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen konnten und häufig genauso traditionell anmuten wie das Berufsrecht, das es zu modernisieren gilt. Vor diesem Hintergrund ist der Beschluss des höchsten deutschen Gerichts als eine der wichtigsten Entscheidungen zur Reform des anwaltlichen Berufsrechts zu begrüßen. Nicht zuletzt auch, weil bei den Verbrauchern die Nachfrage nach kombinierten interprofessionellen Dienstleistungen gestiegen ist. Tatsache ist, dass die zunehmende Komplexität moderner Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse mittlerweile zu Rechtsfragen führt, die ohne professionellen Sachverstand aus anderen Berufen kaum mehr ausreichend beantwortet werden können.
Berufsrechtliche Grundpflichten
Unabhängig davon aber musste der Erste Senat des BVerfG sorgfältig prüfen, ob der Zusammenschluss von Rechtsanwalt und Arzt beziehungsweise Apotheker nicht gegen die in § 43a BRAO formulierten anwaltlichen Grundpflichten verstößt. Nach dieser Vorschrift ist der Anwalt verpflichtet, keine Bindungen einzugehen, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden. Darüber hinaus ist er zur Verschwiegenheit verpflichtet hinsichtlich sämtlicher im Rahmen der Berufsausübung bekannt gewordener Tatsachen. Schließlich darf er sich bei der Berufsausübung auch nicht unsachlich verhalten und keine widerstreitenden Interessen vertreten. Nach eingehender Prüfung kamen die Verfassungsrichter schließlich zum Ergebnis, dass besagte Grundpflichten bei dem Zusammenschluss von Rechtsanwälten mit Angehörigen der Heilberufe nicht gefährdet seien. Bei einer interprofessionellen Sozietät stelle die Weitergabe mandatsrelevanter Informationen an den Partner keine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht dar – ganz im Gegenteil: Die Weitergabe von Informationen sei in der Regel sogar erforderlich, um die Interessen der Mandanten fachlich und sachlich angemessen wahrzunehmen. Zudem wären Ärzte und Apotheker ähnlich wie Rechtsanwälte zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichtet.
Dem Zusammenschluss steht auch das anwaltliche Zeugnisverweigerungsrecht nicht entgegen. Zum einen haben auch Ärzte und Apotheker eigene Zeugnisverweigerungsrechte. Soweit diese hinter den weitergehenden Zeugnisverweigerungsrechten der Anwälte zurückbleiben, ist die Gefahr für die Betroffenen eher gering und in der Regel dem Interesse an einer qualifizierten Sachbearbeitung unterzuordnen. Ähnliches gilt für die strafprozessualen Beschlagnahmeverbote, die in ähnlicher Form auch für Ärzte und Apotheker gelten (§ 97 Strafprozessordnung – StPO). Bezüglich der anwaltlichen Unabhängigkeit sowie dem Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, sei bei einer Partnerschaft mit Ärzten und Apothekern kein signifikant erhöhtes Gefährdungspotenzial im Vergleich zu der Zusammenarbeit zwischen Anwalt und Steuerberater zu erkennen. Beeinträchtigungen der beruflichen Unabhängigkeit ließen sich bei der Zusammenarbeit mehrerer Berufsträger nie völlig ausschließen.
Hinsichtlich der widerstreitenden Interessen müsse der Rechtsanwalt den nicht anwaltlichen Partner gemäß § 30 Satz 1 BORA vertraglich an die Einhaltung des anwaltlichen Berufsrechts binden. Das gelte für die Einbindung von Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in gleicher Weise wie für Arzt und Apotheker.
Rechtsfolgen
Nach Auffassung des BVerfG existieren daher keine sachlich zwingenden Gründe, die Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwälten und Ärzten beziehungsweise Apothekern im Rahmen einer Partnerschaftsgesellschaft zu verbieten. Das Sozietätsverbot des § 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO verstößt gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Grundgesetz und ist folglich verfassungswidrig. Die Vorschrift kann insoweit nicht mehr zur Anwendung kommen – und zwar ohne eine Übergangsfrist. Darüber hinaus sind nun die anwaltlichen Interessensvertreter gefordert. Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und Deutschem Anwaltsverein (DAV) kann man nur wünschen, konstruktiv und gemeinsam an einer umfassenden und zukunftsfähigen Reform zu arbeiten und dabei die richtigen Überlegungen anzustellen, wie das anwaltliche Berufsrecht sinnvoll geändert beziehungsweise neu gestaltet werden kann.
Ausblick
Was bedeutet der BVerfG-Beschluss aber nun aktuell für Rechtsanwälte, die schon jetzt mit anderen verkammerten Berufsgruppen zusammenarbeiten wollen, wie etwa Baurechtler, die mit einem Architekten eine Sozietät gründen wollen?
Hinsichtlich der bevorzugten Rechtsform lassen sich nur schwerlich Argumente finden, die dagegen sprechen, anstelle der Partnerschaftsgesellschaft eine GbR oder GmbH zu wählen. Die Unterschiede beziehungsweise Vor- und Nachteile dieser gesellschaftsrechtlichen Varianten wirken sich jedenfalls in berufsrechtlicher Hinsicht nicht negativ aus, sodass etwa dem Zusammenschluss von Anwalt und Arzt ein Riegel vorgeschoben werden müsste. Und bezüglich der Zusammenarbeit mit anderen verkammerten Berufen, wie etwa Architekt, Bauingenieur oder Psychotherapeut, lassen sich aus der Entscheidung vom 12. Januar 2016 auch keine Erkenntnisse ableiten, wonach die Situation grundsätzlich anders zu beurteilen wäre als im Verhältnis Rechtsanwalt zu Arzt beziehungsweise Apotheker. Da Architekten und Bauingenieure aber kein explizites Zeugnisverweigerungsrecht haben, muss der Anwalt den nicht anwaltlichen Partner hier gemäß § 30 Satz 1 BORA vertraglich an die Einhaltung des anwaltlichen Berufsrechts binden. Hier ist jedenfalls der Gesetzgeber gefordert, eine wasserdichte berufsrechtliche Regelung zu schaffen.
Insgesamt aber können sich Rechtsanwälte infolge der BVerfG-Entscheidung nach hier vertretener Ansicht schon heute sowohl in der Rechtsform einer Partnergesellschaft als auch einer GmbH oder klassischen GbR mit allen Angehörigen der verkammerten Berufe – gleich, ob Bauingenieur, Architekt oder Psychotherapeut – zu einer Sozietät zusammenschließen. Derartige Konstellationen werden womöglich ganz langsam entstehen, vor allem in den kleineren Kammerbezirken. An den Standorten München, Köln oder Frankfurt aber besteht in der Beratungspraxis bereits ein Bedarf an derartigen Sozietätsmodellen.
Eine Absage muss man allerdings der öfters geforderten Dreieckskonstellation von Steuerberater, Unternehmensberater und Anwalt erteilen. Da der Unternehmensberater oder Consulter weder ein verkammerter noch ein geschützter Beruf ist, scheidet für Rechtsanwälte eine Sozietät mit derartigen Berufsangehörigen definitiv aus. Hier sind die Berufsträger gezwungen, eine intelligente Form der Zusammenarbeit zu finden, die zwar keine tatsächliche Bürogemeinschaft im Sinne des § 59a Abs. 3 BRAO ist, einer solchen aber funktional entspricht.