Qualitätsmanagement - 17. Februar 2016

Mehr Zeit haben

Mandanten messen heute den be­ra­ten­den Leis­tun­gen einer Kanz­lei einen hö­he­ren Stel­len­wert bei. Dafür muss man vor allem Zeit haben. Wie Steuer­be­rater sich diese schaffen können? Vor allem durch Quali­täts­ma­na­ge­ment und digitale Pro­zess­op­ti­mie­rungen.

Eigentlich sollte ein Steuerberater bestens organisiert sein. Wer täglich mit Zahlen, Paragrafen und Buchhalterseelen (in Form von Finanzbeamten) zu tun hat, kann nur bestehen, wenn innerhalb der Kanzlei alles rund läuft und jeder Prozess ineinandergreift. Eigentlich. Die Realität sieht in vielen Kanzleien anders aus: Zwar hat man sich zu Jahresbeginn erneut vorgenommen, dieses Mal die Kapazitäten besser zu planen. Trotzdem füllen sich die Arbeitstage wie von allein, Bilanzen müssen fertiggestellt und Fristen eingehalten werden – und am Ende herrscht in puncto Auf­trags­planung vor allem das Prinzip Hoffnung.
Ähnliche Probleme ergeben sich bei der Auftragsanalyse. Wenn in einer Kanzlei überhaupt Controlling betrieben wird, dann beschränkt sich die Auswertung meist darauf, die reinen Zahlen zu betrachten: Wie viele Stunden haben die Mitarbeiter an der Steuererklärung von Mandant A gesessen, wie lange hat es gedauert, die Bilanz für Mandant B zu erstellen? Dass Controlling nicht auf die Kontrolle von Zahlen begrenzt sein muss, sondern auch dazu da ist, harte und weiche Faktoren zu beobachten und zu steuern, ist vielen Kanzleiinhabern noch nicht bewusst. Die Studie der Bundessteuerberaterkammer „Steuerberatung 2020“ bringt es an den Tag: Nur 21 Prozent der Steuerberatungskanzleien setzen überhaupt auf Qualitätsmanagement.
Diese Erfahrung hat auch die Steuerberaterin und Diplom-Kauffrau Cordula Schneider gemacht. Sie berät Kanzleien mit Blick auf pragmatische Kanzleiorganisation und stellt fest, dass es immer noch Kanzleien gibt, in denen es in jeder Hinsicht altmodisch zugeht: „Das sieht man vor allem an veralteter IT, kleinen Arbeitsräumen und mangelnder Organisation. Stammdatenverwaltung oder gar Dokumentenorganisation fehlen genauso wie einheitlich definierte Prozesse.“

„Wir wollen keine Häkchenmacher-Kanzlei werden. Mehr Beratung
– das ist letztlich
unser Job.“

Fachlich sind viele Kanzleien top auf­ge­stellt – das sieht auch mehr als ein Drit­tel der Man­dant­schaft so. An der Ar­beits­weise hapert es je­doch. Diese em­pfin­den die Man­dan­ten der Studie der Bundes­steuer­be­ra­ter­kammer zu­folge zu­neh­mend als Schwäche. Dazu kommt: Steuer­liches All­ge­mein­wis­sen ist ver­stärkt im In­ter­net zu haben, Stan­dard­tä­tig­kei­ten wie Fibu und Lohn werden in naher Zu­kunft die Kanz­lei nicht mehr er­näh­ren. Der Mandant er­war­tet von seinem Berater das individualisierte Premiumpaket. Hier klafft eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Steuerberater und den Wünschen der Mandanten. Die Studie der Bundessteuerberaterkammer fasst diese Diskrepanz in Zahlen: „Entgegen der Selbsteinschätzung der Steuerberater erwarten die Mandanten weniger deklaratorische als vielmehr beratende Leistungen. Während 34 Prozent der Mandanten (im Vergleich zum Vorjahr gestiegen) den Schwerpunkt bei den deklaratorischen Leistungen sehen, schätzen die Steuerberater diesen Anteil auf 52 Prozent ein (im Vergleich zu den Vorjahren kontinuierlich wachsend). Folglich sehen die Steuerberater die beratenden Leistungen als weniger bedeutend an, während die Mandanten den beratenden Leistungen einen deutlich höheren Stellenwert beimessen.“ Wer künftig im Wettbewerb bestehen will, muss also vor allem eines haben: Zeit für Beratung. Das bedeutet zugleich, dass sämtliche Buch­hal­tungs­pro­zesse optimal laufen müssen.
Die Formel dafür lautet PDCA – ein wesentlicher Baustein des Qualitätsmanagements, um Prozesse kontinuierlich zu verbessern sowie Fehler- und Ursachenforschung zu betreiben. Die Abkürzung steht für Plan-Do-Check-Act, zu Deutsch Planen-Ausführen-Überprüfen-Anpassen. Ein Konzept, das Gerhard Busch zur Philosophie seiner Kanzlei gemacht hat. Der Steuerberater führt eine Kanzlei im rheinland-pfälzischen Kruft mit sieben Mitarbeitern. Bevor er sich 1993 selbst­ständig machte, war er bei einem mittelständischen Maschinenbauer für Finanzen und Controlling verantwortlich. „Aus diesem Grund habe ich versucht, das Thema Prozessoptimierung mit in die Kanzlei zu nehmen und die Kanzlei prozess- und auftragsorientiert zu führen.“ Als Beispiel dafür nennt Busch den Lohnbereich, der häufig als Nebensache mitlaufe und zugleich ein enormer Zeitfresser sei. „Gerade hier ist es wichtig, sich den Prozess vor Augen zu halten: Wo kommen die Daten her? Wie sieht die Datenverarbeitung aus? Wie gehen die Daten zurück an den Man­dan­ten? Wenn ich zum Beispiel beim Daten-Input nicht klar strukturiere, geht wertvolle Zeit verloren.“ Busch erzählt von Mandanten, die mit dem Schuhkarton unterm Arm oder der Abrechnung auf dem Schmierzettel kamen. Manche hatten eine Excel-Liste vorbereitet, andere gaben die Daten bereits im Internet ein. Die Kanzlei schuf einheitliche Strukturen und Er­fas­sungs­listen – ein Dokumentenmanagementsystem, das die Arbeit für die Kanzleiangestellten ebenfalls einfacher machte.
Im Kanzleialltag ergeben sich die Probleme meist dadurch, dass das Prozesswissen in den Köpfen Einzelner liegt. „Viele Mitarbeiter fühlen sich immer noch am wohlsten, wenn sie eine Tätigkeit von Anfang bis Ende selbst gemacht haben“, sagt Cordula Schneider. So finde in den Kanzleien nicht nur zwischen den einzelnen Mitarbeitern immer noch viel doppelte Kontrolle statt, auch manche Chefs wollen gern alles noch mal kontrollieren. Dafür bleibt aber oft keine Zeit. „Und außerdem machen diese Kontrollarbeiten die Prozesse langsam und schwerfällig“, meint die Kanzleiberaterin. Darüber hinaus versuche so manche Kanzlei, ihre Fachangestellten zu Di­gi­tal­spe­zia­lis­ten zu machen. „Das halte ich aber für kontraproduktiv – in Zeiten von Fach­per­so­nal­mangel sollten sich die Fachkräfte auf ihr Ding konzentrieren.“
In Buschs zertifizierter Kanzlei kümmert sich inzwischen ein Spezialisten-Center um das Thema Lohn, die Mitarbeiter werden intensiv fortgebildet, zwei- bis dreimal im Jahr werden Audits veranstaltet. Auch die Mandanten sollen mitgenommen werden: Mehrmals im Jahr werden bei den Besprechungen live die Prozesse demonstriert, um zu zeigen, dass die gewonnene Zeit für alle nutzbringend eingesetzt werden kann. „Als wir vor Jahren mit dieser Standardisierung an­ge­fan­gen haben, waren wir sehr euphorisch und haben gedacht, wir können auch alle Mandanten begeistern. Das ist nicht eingetreten, man braucht einen langen Atem“, räumt Busch ein. Allerdings hat der Kanzleiinhaber inzwischen auch gemerkt, dass er sich gegebenenfalls von einigen Mandanten trennen muss: „Wir wollen nicht ausschließlich auf Wachstum setzen, sondern die Mandanten, die wir haben, immer besser betreuen.“
Dazu ist es nach Ansicht der Kanzleiberaterin Cordula Schneider notwendig, den Mandanten als Hauptkunden zu sehen: „Bei vielen Kanzleien ist immer noch das Finanzamt oder die So­zial­ver­siche­rung der gefühlte Hauptkunde – die Prozesse sind daher auf diese Kunden aus­ge­richtet.“ Kanzleiinhaber müssten sich aber verstärkt die Frage stellen, mit welchen Problemen der Mandant in seinem Alltag zu kämpfen habe – und die digitalen Möglichkeiten mit dem persönlichen Kontakt verknüpfen.
Auch Gerhard Busch ist überzeugt, dass Tablet, Smartphone, Cloud und Co. viele Tätigkeiten und Erfassungsarbeiten in den Kanzleien automatisieren werden. „Wir sind zurzeit dabei, Smartboards einzusetzen, um mit den Mandanten in Echtzeit die BWA zu interpretieren.“ Mehr digitale Organisation – ja bitte. Aber dabei gilt es, den Mandanten nicht aus den Augen zu verlieren: „Wir wollen keine Häkchenmacher-Kanzlei werden. Mehr Beratung – das ist letztlich unser Job.“

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Zur Autorin

Constanze Elter

Steuerjournalistin, Redakteurin und Podcasterin bei DATEV.

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