Insolvenzverfahren - 24. September 2015

Die Zeichen zeigen

Obwohl das ESUG hervorragende Möglichkeiten bietet, angeschlagene Unternehmen zu retten, wird die weitere Überlebenschance allzu oft durch mangelhafte Vorbereitungen verspielt.

Das neue Insolvenzrecht ist durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) am 1. März 2012 in Kraft getreten. Sinn und Zweck der Änderungen ist die Ausrichtung auf die Sanierung der Betriebe. Die Insolvenz als Sanierungsinstrument soll für Unternehmen attraktiver werden und die Unternehmen zu einer frühzeitigen Antragstellung veranlassen. Allerdings ist festzustellen, dass viele, in der Tat zu viele Insolvenzverfahren mit einer mangelhaften Vorbereitung in diese für die Unternehmen so entscheidende Phase eintreten. Grund hierfür ist mit Sicherheit die noch immer tief verwurzelte Stigmatisierung der Insolvenz und deren Folgen für das Ansehen der betroffenen Firma und nicht zuletzt des Unternehmers selbst.
Auch die (steuer)beratende Zunft tut sich zuweilen schwer, mit der im wahrsten Sinne des Wortes notwendigen Offenheit Fakten und Erforderlichkeiten zu ergründen und anzusprechen. Die häufig zu späten beziehungsweise nicht ausreichend vorbereiteten Insolvenzkonstellationen sind zurückzuführen auf Ängste um das Fortbestehen des Mandats oder die Furcht vor einer möglichen Reaktion des Mandanten oder Dritter (insbesondere Banken) gegenüber dem Berater. Letzterer wird zuweilen für die Misere mitverantwortlich gemacht wegen vermeintlich mangelhafter oder zu spät gezogener Konsequenzen. Andererseits verhält sich so mancher Unternehmer grundlos unkooperativ – was er aber anzuerkennen nicht bereit ist.
Regelmäßig beginnt die Krise nicht mit dem Einschlag eines exogenen Einzelereignisses (zum Beispiel Ausfall eines Großkunden oder Auftreten eines neuen Konkurrenten), sondern durchläuft infolge endogener Problemstellungen im Unternehmen verschiedene Krisenphasen (Erfolgskrise – Ertragskrise – Liquiditätskrise – bis zum nachhaltigen Übertritt der Grenze zur unmittelbaren Überschuldung be­zie­hungs­weise Illiquidität). Dem Beginn der Probleme wird meistens mit den üblichen Hausmitteln begegnet, wie etwa einer Erhöhung der Kontokorrentlinie, der Zuführung von Eigenkapital von außen, Aufbau von Lieferanten- und sonstigen Verbindlichkeiten oder dem Einstieg in das Factoring. Daran schließt sich dann die Phase der Kosteneinsparungen an (insbesondere im Personalbereich). Sollte auch das nicht helfen, wendet man sich oftmals der Erschließung neuer Geschäftsfelder/Kunden und alternativer Einnahmequellen zu. Sofern auch diese Maßnahmen den Abwärtstrend nicht stoppen, wird nicht selten die Aufnahme neuer Gesellschafter bzw. der (Teil-)Verkauf des Unternehmens oder des Anlagevermögens (Sale-and-lease-back) erwogen. Zu diesem Zeitpunkt liegt jedoch bei genauer Analyse die Wertigkeit des Unternehmens jenseits der emotionalen Vorstellung des Unternehmers, was weiterführende Verkaufsschritte oftmals wegen unterschiedlicher Wertansätze blockiert.

Handlungsempfehlungen

In dieser Phase ist dann ein offener Umgang mit der Krise der einzig vernünftige Lösungsansatz. Alle an der Sanierung Beteiligten müssen bereit sein, das zu akzeptieren. Für eine erfolgreiche Sanierung haben sich in der Praxis zudem einige konkrete Fakten als überaus tauglich erwiesen. Der (Steuer-)Berater sollte zunächst bei sich verschärfenden Anzeichen einer Krise frühzeitig eine kritische Position einnehmen, die dem Ernst der Lage gerecht wird. Getreu dem Motto: Auch die Pest beginnt mit einem vermeintlich harmlosen Fieber. Eine zu neutrale Haltung zum Zeitpunkt, an dem eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung fraglich ist, verbaut die Chance, rechtzeitig den Ernst der Lage anzusprechen, ohne dann eingestehen zu müssen, die Gefahr nicht von Beginn an richtig erkannt zu haben. Ergo ist die tatsächliche Einschätzung der Lage schonungslos zu benennen. Eine rein verbal geäußerte Meinung, die Krise sei doch schwerwiegender und könne alsbald nicht überwunden werden, verhallt oft im Bewusstsein des Mandanten. Anders sieht es aus, wenn Sie dem Unternehmer ein Schriftstück vorlegen, in dem Sie auf die erforderlichen weiteren Prüfungshandlungen oder den Grad der fortgeschrittenen Überschuldung be­zie­hungs­weise Illiquidität hinweisen und eine Empfangsquittierung einfordern. Diese Aufforderung markiert in nahezu jedem Mandatsverhältnis eine Zäsur. Wenn vom steuerlichen Berater ein formales Schriftstück mit derart brisantem Inhalt vorgelegt wird, sind die Reaktionen nicht selten emotional (noch Freund oder schon Feind?). Dieses Bewusstsein ist aber für den Erfolg der weiteren Sanierungsmaßnahmen entscheidend. Zunächst ist der dann als Sanierungsberater tätige (Steuer-)Berater durch Erfüllung seiner Hinweispflicht rechtlich abgesichert. Darüber hinaus wurde dem Mandanten deutlich gemacht, dass die Es-wird-schon-wieder-Phase definitiv vorüber ist. Nach dieser Belastungsprobe ist der (Steuer-)Berater entweder das Mandat los, oder er hat eine solide Basis zur Umsetzung der weiteren Beratungsmaßnahmen geschaffen.
Der (Steuer-)Berater sollte sich nicht davor scheuen, diesen Lackmustest von seinem Mandanten einzufordern. Ist er bereit, die schriftliche Erklärung zu quittieren, ist alles gut. Wenn nicht, lässt das auf weiteres Ungemach schließen. Der Mandant wird dann bei der haftungsrechtlich relevanten Frage, wann er von seinem (Steuer-)Berater über das Ausmaß der Krise informiert wurde, auch keine klare Position beziehen. Zu viele Praxisbeispiele belegen dies.

Plan B mit einbeziehen

Neben der rein ertrags- und liquiditätsbasierten Sanierung (Plan A) sollte als ein Plan B auch das Scheitern des Sanierungsprojekts mit dem dann erforderlichen Übergang zu den Sa­nie­rungs­in­stru­menten der Insolvenzordnung aktiv in die Beratung einbezogen werden. Hier ist es ratsam, auf vier Punkte rechtzeitig hinzuwirken beziehungsweise diese vorzubereiten:

  1. Neben der operativen Sanierung (Plan A) ist der Zeitpunkt beziehungsweise der Zielwert zu definieren, an dem man die eigene Sanierungsmaßnahme als gescheitert einstuft (Faktor Zeit für Plan B).
  2. Um Plan B realisieren zu können, sollte man schon während der Plan-A-Phase eine finanzielle Rücklage bilden. Das ist notwendig, um zu gegebener Zeit externe Sanierungsspezialisten in das Team aufzunehmen beziehungsweise Lösungsansätze, sofern überhaupt möglich, zumindest teilweise zu finanzieren (Faktor Geld für Plan B).
  3. Die Daten, die für eine Sanierung mit den Instrumenten der Insolvenz erforderlich sind, sollten rechtzeitig zusammengestellt werden (Jahresabschlüsse, Geschäftsberichte, Un­ter­neh­mens­ana­lysen, Kunden- und Lieferantenlisten mit Adressen und Priorität sowie ein Vertragsspiegel inklusive der Darlehens- und Sicherheitenverträge und so weiter: Faktor Datengrundlage für Plan B).
  4. Das Konzept, gemäß dem das Unternehmen neu entstehen soll, ist das Wichtigste von allem. Hier ist die Bandbreite dank weitreichender Möglichkeiten zur Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens enorm groß und sollte vielfältige Lösungsansätze bieten (Faktor Konzept für Plan B). Beispiele sind die im Rahmen eines Insolvenzplans erfolgte Teilentschuldung und die Verdichtung auf einzelne Geschäftsfelder oder -standorte und so weiter.

Netzwerke aufbauen und nutzen

Ein sozusagen inoffizieller Punkt 5 für Plan B ist der Faktor Netzwerk. Es ist sehr hilfreich, bereits im Vorfeld einer Sanierung Kontakte zu Restrukturierungs- beziehungsweise Insolvenzprofis aufzubauen, um bei entsprechender zeitlicher Brisanz unmittelbar auf geeignete Unterstützung zurückgreifen zu können. Hier erst mühsam Klinken zu putzen und Grundsätzliches einer wechselseitigen Arbeitsweise abzustimmen beziehungsweise sich erst kennenlernen zu müssen, wäre für den Erfolg des Projekts verständlicherweise von Nachteil. Sofern man sich auf all die skizzierten Aspekte von Plan B fokussiert, ist es möglich, eine insolvenzrechtlich getragene Sanierung zu durchlaufen, bei der nicht die Not regiert, sondern planvolles Handeln. Derart vorbereitet, kann man die wesentlichen Sanierungsinstrumente in aller Ruhe angehen.
Das Instrument der Eigenverwaltung gab es schon in der Insolvenzordnung (InsO). Durch das ESUG wurde es gestärkt und das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgedreht. Früher wurde ein Antrag auf Eigenverwaltung regelmäßig abgelehnt. Denn man ging davon aus, dass der Einfluss der bisherigen Geschäftsführung auf die Gläubiger nachteilige Auswirkungen habe. Durch das ESUG kann eine Eigenverwaltung (§ 270a ff. InsO) bereits dann angeordnet werden, wenn es keine Umstände gibt, die Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen. Lehnt das Gericht den Antrag auf Eigenverwaltung ab, muss es die Entscheidung begründen. Es gibt allerdings keine Möglichkeit, gegen die Entscheidung des Gerichts vorzugehen. Das Gericht ist an die Befürwortung des Antrags durch den Gläubiger­ausschuss gebunden, wenn dieser einstimmig entscheidet. Es ist auch möglich, dass vor Insolvenzeröffnung eine vorläufige Eigenverwaltung angeordnet wird. Die Besonderheit der Eigenverwaltung ist, dass der Schuldner unter Aufsicht eines Sachwalters selbst die Insolvenzmasse verwalten und somit auch über sie verfügen kann. Dabei hat der Sachwalter die Aufgabe, die wirtschaftliche Lage zu prüfen und die Geschäftsleitung zu überwachen. Bei Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, ist eine Zustimmung notwendig. Der Sachwalter hat auch ein Widerspruchsrecht gegen Handlungen des Schuldners.

Schutzschirmverfahren

Völlig neu geschaffen wurde das Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO). Es handelt sich um einen Spezialfall der Eigenverwaltung. Zweck des Verfahrens ist es, dem Schuldner durch frühzeitiges Handeln die Sanierung seines Unternehmens zu erleichtern. Daher spricht man von einem Vorbereitungsverfahren für die Sanierung durch einen Insolvenzplan in Kombination mit einer Eigenverwaltung. Bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Unternehmens besteht die Möglichkeit, den Sanierungsplan unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters und ohne Vollstreckungsmaßnahmen zu erarbeiten. Dafür hat der Schuldner maximal drei Monate Zeit. Der Sanierungsplan kann im Anschluss als Insolvenzplan umgesetzt werden. Der Schuldner hat auch die Möglichkeit, einen vorläufigen Sachwalter vorzuschlagen. Eine Ablehnung ist nur möglich, wenn die Person offensichtlich für die Übernahme des Amts nicht geeignet ist. Der Schuldner kann einen Antrag zur Untersagung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung stellen oder diese auch einstweilig einstellen lassen. Für die Anordnung des Schutzschirmverfahrens ist eine Bescheinigung notwendig, die das Vorliegen drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bestätigt sowie die Durchführbarkeit der Sanierung. Ferner muss eine in Insolvenzsachen erfahrene Person benannt sein.
Durch das ESUG wurden auch die Vorschriften zum Insolvenzplan überarbeitet und ausgebaut, mit dem das Unternehmen seinen Rechtsträger aus dem Insolvenzverfahren befreien kann. Geändert wurden auch die Eingriffsmöglichkeiten in die Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger beziehungsweise Insolvenzgläubiger (§ 223 f. InsO) sowie die Einbeziehung von Gesellschaftern in den Insolvenzplan (§ 217 Satz 2 InsO). In ihm kann nun jede gesellschaftsrechtlich zulässige Maßnahme beschlossen werden (§ 225 InsO). Insolvenz- und Gesellschaftsrecht werden somit nicht mehr strikt getrennt. Folglich ist es auch möglich, Gläubigerforderungen in Ge­sell­schafts­anteile umzuwandeln. Das Wirksamwerden des Insolvenzplans kann jetzt auch nicht mehr durch ein missbräuchliches Verhalten einzelner Gläubiger verhindert werden (Ob­struk­tions­verbot, § 225 InsO), da die Rechtsmittel gegen die Planbestätigung in angemessener Weise beschränkt wurden.

Fazit

Um eine gute zweite Chance zu bekommen, ist es erforderlich, den betroffenen Mandanten frühzeitig und intensiv zu sensibilisieren. Das ist entscheidend für die weitere Überlebenschance des Unternehmens innerhalb einer dann nicht mehr zu vermeidenden Insolvenz. Bedauerlicherweise dringt Plan B aber häufig immer noch viel zu spät in die Köpfe der an der Sanierung Beteiligten ein („Es kann nicht sein, was nicht sein darf“).

MEHR DAZU

Online-Fachseminare der TeleLex (bestellbar unter www.telelex.de):

Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren in der Beratungspraxis: Update 2015, Art.-Nr. 76825
Dr. Benjamin Webel, Insolvenzrichter
Termin: 10.11.2015

Die natürliche Person in der Insolvenz: Update 2015, Art.-Nr. 76830
Dr. Benjamin Webel, Insolvenzrichter
Termin: 15.12.2015

Präsenzseminare

Insolvenzrecht aktuell, Art.-Nr. 76490
Prof. Dr. Volker Römermann
Termine: 21.11.2015, 03.02.2016

Unternehmenskrisen rechtzeitig erkennen und die Pflichten des Steuerberaters bei Überschuldung des Mandanten, Art.-Nr. 76458
Prof. Dr. Volker Römermann
Termine: 15.10.2015, 10.11.2015

Der Mandant in der Krise: Sicherung des Steuerberaterhonorars, Art.-Nr. 76492
Robert Buchalik
Termine: 05.11.2015, 09.02.2016

Zu den Autoren

Markus Wohlleber

Steuerberater, Dipl.-Betriebs­wirt (FH), Bank­kauf­mann, Fach­be­rater für San­ie­rung und In­sol­venz­ver­wal­tung (DStV) in der Steuer­be­ra­tungs­kanzlei Wohl­leber in Nürn­berg, Haß­furt und Frankfurt/M.

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SS
Sibylle Steiner

Rechtsanwältin und Mitarbeiterin der Steuerberatungskanzlei Wohlleber in Nürnberg und Haßfurt

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