Der ehrbare Kaufmann - 27. Februar 2015

Ein reines Gewissen

Vom späten Mittelalter bis zu unserem Alltag hat sich vieles ver­än­dert. Das Leit- und Ideal­bild des ehr­baren Kauf­­manns hielt lange stand. Doch gibt es in der Neu­­zeit mehr He­­raus­­for­­de­­run­gen und Ver­­füh­run­gen, denen sich Unter­­nehmer stellen müssen. Wider­­stand ist jedoch nicht zwecklos.

In Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“ lernen wir den Inbegriff ­eines ehrbaren Kaufmanns des 19. Jahrhunderts kennen. Buddenbrook, Johann sen., Seniorchef der Firma Buddenbrook, der alte Buddenbrook, zu Beginn des Romans (1835) 70 Jahre alt, ist ein Mann des 18. Jahrhunderts und der französischen Aufklärung. Der Wahlspruch des Firmengründers lautet: „Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, dass wir bey Nacht ruhig schlafen können.“
Er hält die Moral hoch, verachtet unehrliche Geschäfte und betrachtet das Streben nach dem reinen Geldverdienen als Verfall der Bildung und moralisch verwerflich. Für Thomas Mann war er der ehrbare Kaufmann. Ein Ehrenmann, der zwar zielstrebig ist und geschäftstüchtig, der knallhart kalkuliert und seinen Nutzen abwägt – der aber niemals die Grenzen des Anstands überschreitet. Es geht um Tugenden: Ehrlichkeit und Verlässlichkeit.
Sie haben eine lange Tradition. Schon der Theologe und Mathematiker Luca Pacioli (1445–1514) – der Erfinder der doppelten Buchführung – wusste, was gutes Wirtschaften sein sollte. Das behauptet Richard David Precht in seinem Bestseller „Die Kunst, kein Egoist zu sein“. Im Jahr 1494 erklärte Pacioli in seiner „Summa“ den Ehrenkodex eines italienischen Kaufmanns der Renaissance: „Es gilt nichts höher als das Wort des guten Kaufmanns, und so bekräftigen sie ihre Eide, indem sie sagen: Bei der Ehre des wahren Kaufmanns.“ Doch auch Pacioli, so Precht weiter, war sich der Tücke des Subjekts bewusst. „Als Lehrer der Söhne eines venezianischen Händlers seufzte er, dass es viel schwieriger sei, einen ehrlichen Kaufmann auszubilden als einen cleveren Juristen.“ Daraus zieht er den Schluss, dass man leicht geneigt ist, wenn man sich in der heutigen Wirtschaftswelt nach ehrbaren Kaufleuten umschaut, Pacioli recht zu geben. Nicht, dass es heute keine ehrbaren Kaufleute mehr gäbe, aber sie gehören zu einer bedrohten Spezies. Das Vertrauen in die Ehrbarkeit unserer Ökonomie hat schweren Schaden erlitten, es gibt einige Beispiele dafür. Und auch dafür, dass durch Schaden nicht jeder Mensch klüger wird. Nicht jeder kann seinen eigenen Regeln folgen. Als Unternehmer muss er sich seiner Verantwortung bewusst sein. Tugenden prägen sein Handeln. Die Bezeichnung des ehrbaren Kaufmanns beschreibt das historisch in Europa gewachsene Leitbild für verantwortliche Teilnehmer am Wirtschaftsleben. Auch die IHK hat den Archetypus wieder aufleben lassen und entwickelt ihn in einer Broschüre zum modernen Unternehmer. Darin wird auch an seine Verantwortung für eine Corporate Responsibility erinnert. Es werden die inneren kulturellen Leitplanken festgestellt, die dafür sorgen, dass das Handeln von Unternehmern in Einklang mit der Gesellschaft gebracht wird. Verantwortungsbewusstsein eben nicht nur für das eigene Unternehmen, sondern für die Gesellschaft und für die Umwelt. Die Betonung liegt auf dem langfristigen wirtschaftlichen Erfolg, dem die Interessen der Gesellschaft nicht entgegenstehen. Heute benutzt man dafür den Begriff Nachhaltigkeit.

Ein ehrbarer Kaufmann tut Gutes, indem er ehrbar wirtschaftet und damit seinen und den Wohlstand der Gemeinschaft mehrt.

Letztlich verbirgt sich dahinter eine Lebens­philo­sophie: Wirt­schaft­lich­keit und Moral sind keine Gegen­sätze. Moral im Sinne von Tugend­haf­tig­keit ist eine Vo­raus­set­zung für echte Wirt­schaft­lich­keit. Nach­weis­lich seit dem 12. Jahr­hundert wird in Europa das Leit­bild des ehrbaren Kauf­manns in Kauf­manns­hand­büchern gelehrt. Seine euro­pä­ischen Anfänge finden sich im mittel­alter­lichen Italien und dem nord­deutschen Städte­bund der Hanse. Durch die Jahr­hunderte hat sich einiges geändert. War ur­sprüng­lich die Ehrbarkeit abhängig von praktischen Fähigkeiten wie Schreiben, Rechnen, Sprachen, Menschenkenntnis und Organisationstalent, reichte das als Begründung später nicht mehr aus. Es gesellte sich tugendhaftes Verhalten hinzu. In Ehrbarkeit steckt der Begriff Ehre. Tugendhaftes Verhalten steigert die Ehre und damit das Ansehen unter den Mitbürgern. Tugendhaft meinte aber nicht einfach nur Gutes tun. Ein ehrbarer Kaufmann tat Gutes, indem er ehrbar wirtschaftete und damit seinen eigenen und den Wohlstand der Gemeinschaft mehrte. Im 21. Jahrhundert entstehen Entwicklungen, die den Begriff der Ehrbarkeit in einem neuen Licht erscheinen lassen. Zahlreiche Entwicklungstendenzen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft machen dies deutlich: Globalisierung, Abbau staatlicher Leistungen, geändertes Verbraucherverhalten. Nicht zuletzt im Zuge der Wirtschaftskrise wurden Forderungen nach mehr Ehrbarkeit und Verantwortung in der Wirtschaft laut. Jeder konnte sehen, wohin ein gieriges Spekulieren auf Renditen ohne Rücksicht auf Mitarbeiter und Gesellschaft führen kann. ­Daraus hat sich eine kritische Öffentlichkeit entwickelt, die hohe Erwartungen an die Verantwortungsübernahme und Ehrbarkeit von Unternehmen stellt. Die Öffentlichkeit kann sich schnell und kostengünstig über neue Medien wie das Internet austauschen und Druck auf Unternehmen ausüben. Daher besitzt der ehrbare Kaufmann als Unternehmer oder Manager heute einen weitaus größeren Verantwortungsumfang als in der historischen Vergangenheit.

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HF
Herbert Fritschka

Redaktion DATEV magazin

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