Dr. Miriam Meckel auf dem DATEV-Kongress - 25. September 2014

Werden wir zu Algorithmen?

Die Kommunikationswissenschaftlerin und Chefredakteurin der Wirtschafts­Woche hat sich mit der Frage beschäftigt, wie das Internet unser Leben und Denken verändert.

DATEV magazin: Was ist das Internet für Sie?

MIRIAM MECKEL: Ich glaube schon, dass das Internet wirklich eine der größten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte ist. Dadurch, dass Wissen und Informationen global zugänglich sind, verändert sich etwas in unserem Weltbewusstsein. Es verändert aber auch alle anderen Lebensbereiche, alles ist berechenbar, analytisch auswertbar und auf Basis der Datenanalyse für die Zukunft auch vorhersagbar. Das ist eine Form von Paradigmenwechsel, die das menschliche Leben mindestens so tief greifend verändern wird, wie der Buchdruck unsere Kultur und Zivilisation verändert hat.

DATEV magazin: Wie beeinflusst uns das Internet?

MIRIAM MECKEL: Am Anfang haben wir es als Medium verstanden, weil wir Zeitungen im Netz lesen konnten und solche Dinge. Aber eigentlich geht es in alle Lebensbereiche hinein, und das ist bei klassischen Medien in der Form nicht so gegeben. Das Internet verändert unsere Arbeitswelt. Es verändert unsere medizinische Versorgung, unsere Industrialisierung und Fertigung, Stichwort 3-D-Druck. Das heißt, es ist kein Medium, sondern eine Lebensplattform. Ich würde sagen, es ist die Infrastruktur der digitalen Welt.

DATEV magazin: In Ihrem Buch „Next“ werfen Sie einen kritischen Blick in die Zukunft. Werden wir alle zu Algorithmen?

MIRIAM MECKEL: Diese Metapher soll zum Denken anregen und zeigen, wie stark der Einfluss von Algorithmen heute bereits ist. Wenn Sie daran denken, dass Sie Buchempfehlungen bei Amazon auf Basis von Algorithmen bekommen oder dass inzwischen bei Bewerbungen Personalabteilungen algorithmisch Kandidaten auswählen lassen, die ein bestes Matching für das Unternehmen sein können, dann sind das schon Lebensentscheidungen, wo Algorithmen enorm viel Einfluss haben.

DATEV magazin: Sie schildern in „Next“ die Überwindung des Menschlichen, den Übergang von der Körperzeit zur „Systemzeit“. Wie weit sind wir von diesem Punkt entfernt?

MIRIAM MECKEL: Von dem Szenario, das ich in meinem Buch beschreibe, sind wir sicher noch ein deutliches Stück entfernt. Ich hoffe ehrlich gesagt auch nicht, dass das zur Wirklichkeit werden wird. Es ist die Funktion einer Dystopie, das Denken zu beeinflussen, dass man dann auch die richtigen Entscheidungen trifft, um sie nicht Wirklichkeit werden zu lassen. Wenn Sie sich allerdings anschauen, was im Bereich des sogenannten Mensch-Maschine-Mergers, der Integration von Computertechnologie und menschlichem Körper und Geist, passiert, dann erleben wir schon eine Reihe von Überraschungen, die man sich so nicht vorgestellt hätte und die uns zeigen, dass Mensch und Maschine immer weiter zusammenwachsen.

DATEV magazin: Das Internet ist also wie Goethes Zauberlehrling? Die Geister, die ich rief, werde ich nun nicht mehr los?

MIRIAM MECKEL: In einer kritischen Betrachtung ist es so. Weil es sich auch selbst reproduziert, immer erweitert und rhizomartig in unser Leben dringt. Im Positiven öffnen sich riesige Chancen für neue Geschäftsmodelle oder neue Beteiligungsformen von Menschen. Das finde ich fantastisch. Aber wir sehen auch eine pendelartige Entwicklung: So war das Handy beispielsweise vor einigen Jahren ein Statussymbol, totale Erreichbarkeit, 24 Stunden lang, sieben Tage die Woche, man musste immer anrufbar sein. Das hat sich wieder verändert. Es gibt eine Haltung, die zeigt, nicht erreichbar zu sein in manchen Phasen, ist eher ein Vorteil. Und beim Netz ist das genauso. Die Verweigerer oder Diskonnektionisten, wie immer Sie sie bezeichnen wollen, gibt es. Das ist eine Entwicklung, die wir beobachten können in der Gesellschaft, aber das ändert nichts daran, dass insgesamt die Vernetzung auf Basis von Digitalem möglich ist und weitergehen wird.

DATEV magazin: Werden die sozialen Medien künftig eine stärkere Rolle übernehmen?

MIRIAM MECKEL: Ich denke, dass das ein Ergänzungsfeld ist. Beide, traditionelle und soziale Medien, haben eigene Vorteile. Die redaktionelle Ordnung und die Professionalität, die in der Herstellung von Information in Redaktionen liegt, ist das eine. Das andere ist das Unorganisierte und Spontane, das sich manchmal auch negativ in Form von Shitstorms den Weg bahnt, das aber auch zum Teil sehr authentisch ist. Beides zu nutzen, erzeugt ein Bild der Welt und bringt Inspiration in einer Form, wie ich es in der Komplementarität spannend finde. Ich glaube, darin liegt ein Mehrwert, den wir im Moment erst zu entdecken beginnen.

DATEV magazin: Andererseits nehmen staatliche Gängeleien im Internet zu. Muss man nicht an der freiheitsfördernden Wirkung des Internets zweifeln?

MIRIAM MECKEL: Aus meiner Sicht ist die Freiheit das gefährdetste Gut in der technologischen Entwicklung, die wir gerade beobachten können. NSA-Skandal und staatliche Überwachung sind das eine, das andere ist der menschliche Hang zur Bequemlichkeit, der alle Zweifel schlägt, die man Technologien gegenüber haben kann. Das bedeutet: Faulheit schlägt Freiheit. Und da wird mir mulmig, wenn ich mir diesen Satz vor Augen führe, weil ich fest davon überzeugt bin, dass es eine freiheitliche Gesellschaft nur auf Basis von Privatsphäre geben kann. Das heißt, ohne Privatsphäre keine Freiheit, weil jede Form von totaler Überwachung bedeutet, dass die Menschen beginnen, Selbstzensur zu üben.

Zu den Autoren

Prof. Dr. M. Meckel

Professorin für Corporate Communication an der Universität St. Gallen und geschäftsführende Direktorin des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement. Ab Oktober 2014 leitet sie die Redaktion der Wirtschafts­Wo­che. Auf dem DATEV-Kongress ist sie noch am 17. Oktober in Frankfurt und am 14. November in Hamburg zu erleben.

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