Das neue europäische Einheitspatent - 18. Juli 2014

Unter einen Hut bringen

Die EU-Kommission will endlich ein Patent­recht schaffen, das einen ein­heit­lichen Schutz für das gesamte Gebiet der EU gewährt. Noch steht aber nicht fest, wann mit der Erteilung von Ein­heits­pa­ten­ten tatsächlich begonnen wird.

Die Idee eines europaweit einheitlichen Patentschutzes ist nicht neu. Schon am 5. Oktober 1973 unterzeichneten 16 Staaten in München das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ).
Mittlerweile gehören 38 Staaten diesem Übereinkommen an. Durch das EPÜ wurde das An­mel­de­ver­fahren in Patentsachen beim Europäischen Patentamt (EPA) in München zentralisiert und den Erfindern die Möglichkeit gegeben, ein sogenanntes Bündelpatent zu erwerben.

Das bisherige Europäische Patent

Dieses Patent für ein Bündel von Nationalstaaten wird seither als „Europäisches Patent“ bezeichnet. Es wird jedoch nur in denjenigen Vertragsstaaten wirksam, in denen der Anmelder nach der Patent­er­tei­lung die Validierung beantragt.
Der Vorteil des Europäischen Patents liegt darin, dass der Erfinder mit nur einer einzigen Patent­an­mel­dung das Er­tei­lungs­ver­fahren für eine Vielzahl von Ländern abdecken kann, in denen er Patentschutz erlangen will. Es bedarf nicht mehr der Vielzahl von Patentanmeldungen in den europäischen Nationalstaaten.
Der Nachteil ist allerdings, dass das Europäische Patent (Bündelpatent) sofort nach der Erteilung in lauter nationale Patente zerfällt. Es gibt also nicht ein einziges Patent für ganz Europa, sondern nach wie vor eines für Deutschland, eines für Frankreich, eines für Großbritannien und so weiter, da die Patentbegehren nur im Anmeldeverfahren zu einem Bündel zusammengefasst sind.
Damit sind zum einen enorme Kosten verbunden, weil vom Erfinder/Patentanmelder in allen Staaten, in denen eine Validierung erfolgen soll, eine Übersetzung der Patentansprüche oder der erteilten Patentschrift eingereicht werden muss.
Außerdem kommt es vor, dass ein Patent in einem Staat angegriffen und gelöscht wird, während es in den übrigen Staaten wirksam bleibt.
Schließlich ist es auch keine Seltenheit, dass in mehreren Staaten innerhalb Europas parallele Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren wegen ein und derselben Erfindung geführt werden.

Das Gemeinschaftspatentübereinkommen

Dieser Umstand wurde als unbefriedigend empfunden. Man war sich einig, dass ein einheitlicher Markt für Erfindungen nur Hand in Hand mit einem einheitlichen Patentrecht möglich ist.
Zu diesem Zweck unterzeichneten schon die damals neun Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft am 15. Dezember 1975 das Luxemburger Übereinkommen über das Europäische Patent für den Gemeinsamen Markt, das sogenannte Gemeinschaftspatentübereinkommen (GPÜ).
Dieses GPÜ war als Ergänzung zum Europäischen Patent geplant und sollte die einzelnen nationalen Patente zu einem einheitlichen Patent für alle EU-Mitgliedstaaten zusammenfassen. Zwei Aspekte waren seinerzeit jedoch so umstritten, dass das GPÜ mangels Ratifizierung durch alle Vertragsstaaten nie in Kraft getreten ist.
Zum einen sollte jede Patentanmeldung in sämtliche Amtssprachen der EU-Mitgliedstaaten übersetzt werden, was enorme Kosten zur Folge gehabt hätte, zum anderen wären nationalstaatliche Gerichte befugt gewesen, für die Gemeinschaft erteilte Patente für nichtig zu erklären.
Divergierende nationale Rechtsprechungspraktiken hätten dabei zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt.
Folglich blieb es dabei, dass der Erfinder für einen umfassenden, europaweiten Schutz seiner Erfindung in jedem Staat ein nationales Patent benötigte.

Dreisprachenregime

Damit blieb es allerdings auch bei der als unbefriedigend empfundenen Situation, dass eine Patentverletzung in mehreren EU-Staaten zu Verfahren in jedem einzelnen dieser Staaten führte, wobei auch hier die Gefahr unterschiedlicher Gerichtsentscheidungen bestand.
Um endlich Herr dieser Lage zu werden, begann die Europäische Kommission ab 2000 erneut mit den Vorbereitungen für ein EU-Patent. Die komplizierte und teure Sprachenregelung des GPÜ von 1975 sollte durch ein – in der Kommission übliches – Dreisprachenregime ersetzt werden, sodass Patentanmeldungen fortan in Englisch, Französisch oder Deutsch gefertigt werden.
Die Gefahr abweichender nationaler Entscheidungen über den Bestand eines Patents sollte dadurch beseitigt werden, dass ein Gemeinschaftspatentgericht errichtet wird. Nichtigkeitsentscheidungen durch ein einzelstaatliches Gericht wären dadurch ausgeschlossen.
Erneut regte sich Widerstand gegen das Vorhaben. Spanien und Italien fühlten sich durch das Dreisprachenregime benachteiligt und verweigerten deshalb ihre Zustimmung.

Problem des Einstimmigkeitsprinzips

Durch den mittlerweile in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon konnten Entscheidungen über die Sprachenregelung für europäische Rechtstitel gemäß Art. 188 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) aber nur einstimmig gefasst werden. Der Widerstand Spaniens und Italiens hatte somit zwingend das erneute Scheitern des Gemeinschaftspatents zur Folge.
Die Problematik des Einstimmigkeitsprinzips war den Mitgliedstaaten nicht neu, und deshalb hatten sie bereits durch den Vertrag von Amsterdam zum 1. Mai 1999 das Instrument der „Verstärkten Zusammenarbeit“ geschaffen.
Dieser Mechanismus erlaubt es einer Gruppe von Mitgliedstaaten, auch ohne die Mitwirkung anderer gemeinsame Regelungen einzuführen.

Das Einheitspatent

Sollten die Klagen erfolg­reich sein, würde auch dieser Anlauf zum Ein­heits­patent im Sande verlaufen.

Von ungebrochenem, jahr­zehnte­altem Re­form­eifer ge­trieben, wählten EU-Rat und Euro­pä­isches Parla­ment nun also diesen Weg zur Er­schaf­fung des Ein­heits­patents.
Im Dezember 2012 wurden zwei Ver­ord­nungen ver­ab­schiedet, im Februar 2013 folgte das Über­ein­kommen über ein Ein­heit­liches Patent­ge­richt (EPGÜ). Dieses Über­ein­kommen wurde mitt­ler­weile von 25 der aktuell 28 EU-Staaten unter­zeichnet – es fehlen Spanien, Polen und Kroatien. Italien hat das Über­ein­kommen zwar unter­zeichnet, will aber an der ver­stärkten Zu­sam­men­arbeit nicht teilnehmen.
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Spanien und Italien erhoben gegen den Beschluss des Rates Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), scheiterten aber im April 2013.
Damit ist der Weg allerdings noch nicht geebnet, denn Spanien hat am 22. März 2013 bereits erneut Klagen beim EuGH erhoben. Diesmal steht die Rechtmäßigkeit der Verordnungen auf dem Prüfstand. Sollten die Klagen erfolgreich sein, würde auch dieser Anlauf zum Einheitspatent im Sande verlaufen.

Vor- und Nachteile

Das Einheitspatent soll zu einer Verbilligung und Vereinfachung des Patentschutzes führen. Dieses Ziel lässt sich durch das Einheitspatent nur teilweise verwirklichen. Außerdem hat der Erfinder mit anderen Nebenwirkungen zu kämpfen.

Kosten

Bisher musste das Europäische Patent in den meisten Vertragsstaaten vollständig in die Landes­sprache übersetzt werden. Diese nationale Validierung war zeitintensiv und mit erheblichen Übersetzungskosten verbunden.
Durch das Einheitspatent wird der erforderliche Übersetzungsaufwand reduziert, wodurch diese Validierungskosten gesenkt werden sollen. Ein Vorteil lässt sich dadurch insbesondere für solche Erfinder erzielen, die auf vielen Märkten innerhalb der EU-Vertragsstaaten tätig sind und sonst eine Vielzahl nationaler Patente zur Validierung bringen müssten.
Bei den Jahresgebühren für die Aufrechterhaltung eines Patents in den verschiedenen Ver­trags­staaten mussten seit jeher vielfältige nationale Besonderheiten berücksichtigt werden.
Durch das Einheitspatent wird das Gebührenverfahren vereinfacht. Die einheitliche Jahresgebühr ist zentral an das EPA in München zu entrichten, wodurch ein hoher Verwaltungsaufwand wegfällt.
Die genaue Höhe der Jahresgebühren steht noch nicht fest, allerdings soll sie dem Betrag entsprechen, der bisher für die durchschnittliche geografische Abdeckung eines Bündelpatents gezahlt werden musste.

Rechtsunsicherheit

Das Europäische Patentgericht (EPG) mit Sitz in Paris und zwei Zweigstellen in München und London soll erstinstanzlich über Auslegungsfragen des neuen Patentrechts entscheiden. Dabei prallen bestehende nationale Rechtsprechungspraktiken aufeinander, was besonders anfangs zu Ver­wir­run­gen in den Mitgliedstaaten führen könnte.
Erschwerend kommt hinzu, dass alle Vertragsstaaten eine Opt-out-Möglichkeit haben: Für einen Übergangszeitraum von sieben bis 14 Jahren kann die Zuständigkeit des EPG ausgeschlossen werden; es bliebe also beim nationalen Instanzenzug.
Inwiefern dann die nationalen Rechtsprechungen mit der des EPG übereinstimmen werden, ist ungewiss.

Fazit

Das Einheitspatent hat die letzte Phase seiner Entstehung erreicht. Wie lange sich diese hinziehen wird, ist noch ungewiss. Zum einen müssen die EU-Verordnungen im Hinblick auf ihre Rechtmäßigkeit noch den Angriffen Spaniens standhalten, zum anderen muss der Ratifizierungsprozess in manchen Ländern noch an Fahrt aufnehmen.
Lässt man kompetenzrechtliche Aspekte außer Betracht, führt das Einheitspatent durchaus zu der angestrebten Vereinheitlichung und Vereinfachung des Patentschutzes in Europa. Allerdings wird das für die Erfinder wohl kein preiswertes Geschäft.
Und besonders während der Übergangszeit ist zudem mit unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen zu rechnen.
Um sich in dem Regelungs- und Entscheidungsdschungel zurechtzufinden, wird fachlicher Rat auch weiterhin unerlässlich sein.

Zum Autor

Dr. Enno Cöster

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz. Er ist Partner bei Cöster & Partner Rechtsanwälte in Nürnberg sowie Lehrbeauftragter der Technischen Hochschule Nürnberg.

Weitere Artikel des Autors