Vertrauensperson - 24. April 2014

Ein gefragter Mensch

Die Formel für den Mitarbeiter- und Nachwuchsmangel in der Steuerberatung ist einfach: Viele haben eine falsche Vorstellung von dem Beruf, deswegen wollen sie ihn nicht erlernen. Leider wissen immer noch sehr wenige von der intensiven Betreuung der Mandanten, wie sie sonst nur bei Ärzten und ihren Patienten oder Geistlichen und ihrer Gemeinde üblich ist.

Jeden Donnerstag unterrichte ich an einer Berufsschule angehende Steuerfachangestellte in ihrem ersten Lehrjahr im Steuerrecht und alle zwei Wochen samstags Berufstätige, die neben dem Job Betriebswirtschaft studieren.
Bei den Auszubildenden, insbesondere zu Beginn ihrer Lehrzeit, habe ich festgestellt, dass die Hälfte meiner Klasse noch gar nicht so genau weiß, für welchen Beruf sie sich entschieden hat. Nach dem ersten Ausbildungsmonat bekommen die Auszubildenden ein reales Bild vom Beruf, aber erst nach einem halben Jahr in der Kanzlei beginnen sie, die Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen, warum sie den Unterrichtsstoff und eine komplexe Materie lernen. Natürlich gibt es eine gewisse Abbrecherquote. Es gilt eine goldene Regel: Sind die ersten drei Monate überstanden, bleiben die meisten auch dabei, der Rest sagt dann schnell, das ist nichts für mich. Viele haben sich den Beruf einfacher vorgestellt. Es ist ein buntes Feld, das sie anfangs so nicht einschätzen konnten. Und für einige ist der Rechtsstreit eben interessanter als die Steuererklärung.

Das Berufsbild ist wenig geläufig

Der Berufszweig ist anspruchsvoll, aber auch außerordentlich vielseitig. Leider spiegelt sich der Abwechslungsreichtum nicht in der Anzahl der Auszubildenden wider. Ich unterrichte 22 angehende Steuerfachangestellte im ersten Lehrjahr. In der Parallelklasse sitzen im Vergleich 60 Industriekaufmänner und -frauen. Diesen Trend beobachte ich seit etwa zehn Jahren. Der Berufswunsch, künftig in einer Steuerberatungskanzlei zu arbeiten, ist bei jungen Menschen rückläufig, weil ihnen das Berufsbild nicht geläufig ist. Es hat sogar schon Lehrjahre mit nur zwölf Azubis gegeben.
Natürlich haben Schulabgänger auch ganz pragmatische Gründe, sich nicht für einen Beruf in der Steuerberatung zu bewerben, und das ist unter anderem die Bezahlung. Besser zu verdienen, ist in anderen Berufen aussichtsreicher. Aber gerade, wenn ein Beruf so anspruchsvoll ist wie der in der Steuerberatung, sollte er auch angemessen vergütet werden. Der verantwortungsvolle Beruf rechtfertigt die Suche vieler Steuerberater nach Auszubildenden mit Abitur. Doch viele Gymnasiasten entscheiden sich erst einmal für ein betriebswirtschaftliches Studium, statt über eine Lehre einzusteigen.
Dennoch finden viele junge Leute keine Ausbildungsstelle, obwohl nicht nur Kanzleien händeringend Nachwuchs suchen. Oftmals hört man dann von den Arbeitgebern, dass die Bewerber nicht ausreichend geeignet seien für das ausgeschriebene Stellenprofil. Daher bieten Kanzleien ihren Neuzugängen breite Unterstützung an, um Defizite auszubessern, oder vermehrt Praktika.

Eltern erreichen

Das eigentliche Problem aber ist ein ganz anderes: Das Betätigungsfeld in der Steuerberatungskanzlei ist kaum bekannt. Angebotene Berufspraktika sind bestimmt hilfreich, aber auch dazu muss man die jungen Leute erst einmal bewegen. Also bietet es sich an, den eigenen Beruf in Schulklassen vorzustellen, um Praktikanten zu werben. Nicht immer ist man seitens der Schuldirektion willkommen. Aber es gibt weitere Wege, Schüler von einem abwechslungsreichen, verantwortungsvollen und krisensicheren Beruf zu überzeugen, beispielsweise auf Berufsbildungsmessen. Aber auch die Eltern müssen erreicht werden. Denn sie sind der meistgefragte und wertvollste Ratgeber in der beruflichen Findungsphase. Denn den meisten Schülern fällt die Wahl, was sie beruflich machen sollen, sehr schwer. Viele entscheiden sich – wie gesagt – zunächst einmal für ein Studium. Zudem verstärkt sich in der Gesellschaft das Bestreben nach dem höchsten Abschluss, sodass die klassische Berufsausbildung leider an Wertschätzung verloren zu haben scheint.
Doch der drohende oder bereits spürbare Fachkräftemangel betrifft vermutlich weniger die Akademiker als vielmehr den klassischen Ausbildungsberuf. Daher muss die betriebliche Ausbildung weiterhin gestärkt werden – gerade vor dem Hintergrund, dass demografiebedingt in den nächsten Jahren viele aus dem Erwerbsleben ausscheiden werden.

Man wird gebraucht

Jugendliche achten zunehmend traditionelle Werte. Umfragen ergeben, dass es bei der Wahl des Ausbildungsbetriebes sehr wichtig ist, später übernommen zu werden, in einem harmonischen Umfeld zu arbeiten und dabei über eine große Entscheidungsfreiheit zu verfügen. Gerade Frauen legen – auch wenn es dem Klischee entspricht – bei ihrer Berufswahl Wert darauf, anderen helfen zu können.
Das schlagkräftigste Argument für die Steuerberatung – und das gebe ich auch meinen Schülern mit auf den Weg – liegt auf der zwischenmenschlichen Ebene. Gleich, ob Steuerfachangestellter oder Steuerberater, man ist ein gefragter Mensch für alle Lebensbereiche. Die Mandanten brauchen einen, suchen Hilfe, verlassen sich auf einen und legen auf die Meinung von Kanzleiangestellten und Beratern ex-trem viel Wert. Es ist ein wundervolles Gefühl, gebraucht zu werden und gefragt zu sein. Man ist eine Vertrauensperson.

Zur Autorin

Frances Stadler

Steuerberaterin, seit einem Jahr in eigener Kanzlei, unterrichtet an der Berufsschule in Fulda Steuerrecht.

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