Vereinbare Tätigkeiten - 24. April 2014

Mitglied im Aufsichtsrat

Ein Aufsichtsrats­mandat war bisher Ehre und Berufung. Nun werden zuneh­mend fachliche Expertise und berufliche Erfahrung gefordert.

Die Tätigkeit eines Aufsichtsrats und damit die Herausforderungen an ein Aufsichts­rats­mitglied haben sich in den letzten zehn Jahren deutlich verändert: organi­sa­torisch, funktionell, personell und in den meisten Fällen auch finanziell. So war seiner­zeit, zumindest bei den nicht am Kapital­markt orien­tierten Gesell­schaften, ein Aufsichts­rats­mandat mehr eine Ehre und Berufung als ein Beruf. Die Besetzung erfolgte nicht selten weniger nach fachlichen Eignungs­gesichts­punkten als nach per­sönlicher Nähe, Vertraut­heit und gege­benen­falls auch Nütz­lichkeit aus der Sicht der Gesellschaft.

Eignung statt Ehre

Die neue Generation Aufsichtsrat ist dagegen nicht nur professioneller aufgestellt. Sie nimmt ihre organisatorische Stellung im Rahmen der jeweiligen Corporate Governance deutlich bewusster wahr und wird dafür zunehmend auch, zumindest annähernd, adäquat vergütet. Eignung statt Ehre kann man als Kriterium formulieren. Konsequenterweise ist damit auch der Wechsel von Berufung zu Bezahlung verbunden.
Die Steuerberater waren seit jeher zumindest im Mittelstand und in Familienunternehmen, unabhängig von deren Größe, gefragte Kandidaten für Aufsichtsrats- und Beiratsmandate. Neben der Vertrautheit mit der Gesellschaft und dem Vertrauen der Gesellschafter können dabei immer schon auch Nützlichkeitsüberlegungen eine Rolle gespielt haben, wenn der eigene Steuerberater in den Aufsichtsrat berufen wurde. Diese Einstellung war richtig und zukunftsgerichtet. Dies wird nicht zuletzt durch die nunmehr durch europäisches Recht angeregte, in das deutsche Gesetz aufgenommene Bestellungsverpflichtung von Financial Experts bestätigt. Von diesen wird „Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung“ (§ 100 Abs. 5 Aktiengesetz) verlangt. Gleichzeitig aber werden in der nationalen wie internationalen Corporate-Governance-Diskussion zunehmend auch unabhängige Aufsichtsratsmitglieder gefordert: Unabhängigkeit im Sinne dieser Aufsichtsratsqualifikation liegt vor, wenn keine aktuellen und vergangenen vertraglichen Beziehungen zur Gesellschaft bestehen.

Herausforderung

Die Kombination aus fachlicher Qualifikation und Unabhängigkeit ist damit die Herausforderung für Berufsträger, die sich mit der Übernahme eines Aufsichtsratsmandats beschäftigen.
Diese Auseinandersetzung in eigener Sache ist nicht neu, war sie doch schon immer von der Beantwortung einer bila­te­ralen Gewissens­frage abhängig: Bekomme ich das Mandat wegen meiner gleich­zeitigen Tätigkeit als Steuer­berater der Gesell­schaft angeboten? Und: Übernehme ich das Aufsichts­rats­mandat (auch), um mein Mandat mit der Gesell­schaft langfristig abzusichern? Unstreitig sind daher Mandate, die von und für Gesell­schaften angetragen werden, mit denen keinerlei Berater­vertrag beziehungs­weise -verhältnis besteht und zukünftig auch nicht einge­gangen werden soll. Derartige Anfragen werden unter Berück­sichtigung der ange­sprochenen Profes­siona­li­sierung der Aufsichts­rats­­tätigkeit zumindest in Zukunft steigen. Der Berufs­stand kann und sollte sich dieser Heraus­forderung stellen und die Bemühungen unter­stützen, die Auf­sichts­räte gerade auch in mittel­ständischen und kleineren Kapital­gesell­schaften zu einem Spar­rings­partner der Geschäfts­führung beziehungs­weise des Vorstands werden zu lassen. Allerdings bedarf es insoweit einer klaren Abkoppelung von den ureigenen beruf­lichen Interessen. Ein solches Mandat und dessen Annahme sind nicht als Add-on sondern als Aliud zu sehen und zu verantworten.

Gewissensfrage

Deutlich schwieriger war und ist die Entscheidung über die Beibehaltung beziehungsweise Annahme eines Aufsichtsrats- oder Beiratspostens in einer Gesellschaft, für die der Mandatsträger auch und häufig vorrangig beruflich tätig ist. Die Zweiseitigkeit der aufgeworfenen Gewissens­frage kehrt sich außerhalb von Schön­wetter­perioden, namentlich in der Krise des Unternehmens, sehr schnell in eine möglicher­weise existenzielle Prüfung um – sei es für die Gesellschaft, sei es für den Steuer­berater in seiner Doppel­funktion. Die durchgängig von jedem Aufsichts­rats­mitglied geforderte unein­ge­schränkte Ver­pflichtung, bei all seinem Handeln zum Wohle der von ihm über­wachten und damit mit über­ant­worteten Gesell­schaft zu handeln, zeigt in diesen Situationen die beiden Seiten der Medaille. Im laufenden Geschäft einer Gesellschaft lassen sich poten­zielle, begrenzte Inte­ressen­kon­flikte einver­nehmlich regeln beziehungs­weise durch den jeweils ver­antwor­tungs­voll handelnden Mandats­träger gestalten: Eine gewisse Schizo­phrenie, wie die Mediziner eine entsprechende Geistes­spaltung bezeichnen, ist dem Amt jedes Aufsichts­rats­mitglieds inhärent, soweit er in seinem Haupt­beruf zumindest eine gewisse Affinität oder sogar eine vertrag­liche Bindung zur überwachten Gesellschaft hat. Unter Berück­sichtigung der berufs- wie aktien­rechtlich bestehenden Grenzen wird jeder Steuer­berater und Wirtschafts­prüfer höchst sorg­fältig nicht nur auf deren Einhaltung, sondern darüber hinaus schon auf die Vermeidung jedes Verdachts einer ent­sprechenden Interessenkollision achten.
Die persönlichen Herausforderungen, die vor der Übernahme eines Aufsichtsratsmandats durch einen Berufsträger zu berücksichtigen sind, haben sich im Einzelnen nicht so sehr gewandelt. Gewandelt aber hat sich die deutlich kritischere Haltung und Einschätzung der eigenen und unabhängigen Leistung, welche heute im Interesse und zum Wohle der beauftragenden Gesellschaft geleistet werden soll beziehungsweise muss.

Innere Unabhängigkeit

Wer sich die aufge­worfenen Gewissens­fragen nicht immer wieder selbst stellt, der sollte sich vom Amt verabschieden.

Dennoch bleibt neben der hier vor­rangig themati­sierten äußeren Unab­hängig­keit die innere Unab­hängig­keit das bei Weitem be­deut­samste Eignungs­kri­te­rium für ver­ant­wor­tungs­bewusste Auf­sichts­rats­mit­glieder. Wer sich die auf­gewor­fenen Gewissens­fragen nicht immer wieder selbst stellt und, weit wichtiger, offen und ehrlich sich selbst beant­wortet, der sollte sich vom Amt ver­ab­schieden be­ziehungs­weise der Über­nahme eines solchen fernbleiben, und zwar zum Selbstschutz wie Fremdnutzen.

Fazit

Die Übernahme eines Aufsichts- oder Beiratsmandats sollte zukünftig – wie schon in der Vergangenheit – (auch) zu den üblichen und erwünschten Tätigkeiten jedes Steuerberaters und Wirtschaftsprüfers zählen. Deren fachliche Expertise und die berufliche Erfahrung werden zunehmend von den Trägern solcher Überwachungsmandate nicht nur gefordert, sondern auch von den zu Überwachenden sowie deren Prinzipalen verlangt, um auf Augenhöhe zu diskutieren und die Gesellschaft beraten zu können. Dabei sollte auf beiden Seiten aber nicht der Beratungsnutzen im Sinne anderweitig ersparter respektive zusätzlicher betrieblicher Aufwendungen gesehen werden, sondern die angemessen zu vergütende, fachlich qualifizierte Zusammenarbeit und kritische Kontrolle nach dem Fremdvergleichsgrundsatz ,at arm’s length’.

Zum Autor

Prof. Dr. Dr. Manuel R. Theisen

Ludwig-Maximilians-Universität München, geschäftsführender Herausgeber und Mitbegründer der Fachinformation „Der Aufsichtsrat“, Handelsblatt Fachmedien

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