Ermittlungs­maßnahmen gegen Berufs­ge­heimnisträger - 30. Januar 2014

So geht das nicht

Die Durch­suchung von Steuer­berater­kanzleien im Zuge straf­rechtlicher Ermittlungen erfordert eine Güter­abwägung im Einzelfall. Liegen berechtigte Zweifel gegen die staatliche Maß­nahme vor, sollte man sein Recht behaupten.

Seit mehr als sechs Jahren sind strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen gegen Rechtsanwälte und Steuerberater nur unter den Voraussetzungen des § 160a Strafprozessordnung (StPO) erlaubt. Damit soll das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Mandanten und Berater auch im Strafverfahren abgesichert werden.
Rechtsanwälte genießen dabei seit dem Jahr 2011 einen absoluten Schutz (§ 160a Abs. 1 StPO). Die Zulässigkeit von Ermittlungsmaßnahmen gegen Steuerberater richtet sich hingegen nach einer Güterabwägung im Einzelfall (§ 160a Abs. 2 S. 1 StPO).
Auf diese Weise hat der Gesetzgeber quasi eine strafprozessuale Zweiklassengesellschaft innerhalb der Beraterzunft geschaffen. Das ist oft und mit guten Gründen beklagt worden.
Diese Ungleichbehandlung ist allerdings nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags, zumal das Bundes­verfassungs­gericht (BVerfG) sie mittlerweile verfassungsrechtlich gebilligt hat.

Zahlreiche Durchsuchungen

Offenbar kennen Teile der Beraterschaft und der Strafverfolgungsbehörden die Vorschriften des § 160a StPO nicht. Anders ist kaum zu erklären, dass bislang wenige einschlägige Gerichtsentscheidungen veröffentlicht wurden.
Erfahrungen aus der Praxis zeigen zudem, dass vielen Strafverfolgern weiterhin die Sensibilität bei Ermittlungsmaßnahmen gegen Berufsgeheimnisträger fehlt. Ausdruck hiervon sind die zahlreichen Durchsuchungsbeschlüsse gegen Berater, die keinerlei Ausführungen zu § 160a StPO enthalten.
Diese Unkenntnis ist bedauerlich, denn sie betrifft das Persönlichkeitsrecht jedes Bürgers – zu dem die vertrauliche Kommunikation mit dem Berater gehört – sowie das öffentliche Interesse an der Einhaltung von Recht und Gesetz bei Strafverfolgungsmaßnahmen in erheblichem Maße. Beides sind Rechtsgüter von Verfassungsrang.
Plastisch lässt sich dies anhand der Durchsuchung von Rechtsanwalts- bzw. Steuerberaterkanzleien darstellen, einer zugleich sehr praxisrelevanten Konstellation. Ziel der Strafverfolgungsbehörden ist dabei, Dokumente und sonstige Beweismittel zu beschlagnahmen, die den Mandanten im Strafverfahren belasten können. Zweifelsfrei handelt es sich um Ermittlungsmaßnahmen im Sinne des § 160a StPO.

Durchsuchung bei Rechtsanwälten

Für Durchsuchungen bei Rechtsanwälten ist die Rechtslage relativ einfach: Sie sind gemäß § 160a Abs. 1 S. 1 StPO schlicht unzulässig, sofern sie voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würden, über die der Rechtsanwalt das Zeugnis verweigern dürfte. Das Zeugnisverweigerungsrecht wiederum erstreckt sich auf alles, was dem Rechtsanwalt in dieser Eigenschaft anvertraut worden ist. Es ist damit sehr weit gefasst – insbesondere geht es über die Beschlagnahmefreiheit des § 97 StPO hinaus.
Richtet sich das Ermittlungsverfahren gegen einen Mandanten des Rechtsanwalts, ist praktisch kaum ein Fall denkbar, in dem das Ermittlungsverbot des § 160a Abs. 1 S. 1 StPO nicht greift.
Anders ausgedrückt: Die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei wegen der Straftat eines Mandanten ist in aller Regel unzulässig. Ob der Rechtsanwalt dabei als Strafverteidiger oder in sonstigen rechtlichen Angelegenheiten mandatiert ist, ist unerheblich. Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen gemäß § 160 Abs. 1 S. 2 StPO im weiteren Strafverfahren nicht verwendet werden.

Das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant erhält stets Vorzug vor dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse.

Im Ergebnis erhält das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten also stets den Vorzug vor dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse. Dieser absolute Schutz ist für den Bereich der Strafverteidigung zweifelsfrei gerechtfertigt: Jeder Beschuldigte muss sich vorbehaltlos – insbesondere ohne Furcht vor staatlicher Ausforschung – einem Strafverteidiger anvertrauen können. Das ist Teil der Menschenwürde.
Der absolute Schutz für andere Bereiche der Rechtsberatung besteht hingegen, weil eine trennscharfe Abgrenzung der Tätigkeit von Anwälten und Verteidigern praktisch nicht möglich und ein fließender Übergang typisch ist. Mit den Worten des BVerfG: Dem anwaltlichen Beratungsverhältnis ist die Option der Strafverteidigung immanent.

Durchsuchung bei Steuerberatern

Komplexer ist die Situation für Durchsuchungen in Steuerberaterkanzleien. Hier besteht gemäß § 160a Abs. 2 StPO nur ein relativer Schutz. Erforderlich ist eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen der Vertraulichkeit des Mandatsverhältnisses einerseits und dem Gebot der effektiven Strafverfolgung andererseits. Zu Letzterer gehört die möglichst vollständige Wahrheitsermittlung, die durch das Verbot einzelner Ermittlungsmaßnahmen behindert wird.
Das BVerfG hat die hohe verfassungsrechtliche Bedeutung der Strafverfolgung in anderen Zusammenhängen mehrfach betont – und folgerichtig dem Strafverfolgungsinteresse fast immer den Vorzug gegeben.
§ 160a Abs. 2 S. 1 StPO bestimmt allerdings ausdrücklich, dass das Strafverfolgungsinteresse in der Regel nicht überwiegt, wenn das Strafverfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung betrifft. Wann eine Straftat erhebliche Bedeutung hat, lässt sich allgemein nur schwer sagen. Sie muss aber mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.
Das BVerfG geht davon aus, dass Taten, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, nicht ohne Weiteres Straftaten von erheblicher Bedeutung sind.

Straftaten von unerheblicher Bedeutung

Nach diesem Maßstab sind beispielsweise reine Bagatelldelikte, einschließlich der gesamten Steuerordnungswidrigkeiten, Insolvenzverschleppung, Verletzung der Buchführungspflicht sowie Gläubigerbegünstigung keine Straftaten von erheblicher Bedeutung.
Wird wegen einer solchen Straftat ermittelt, muss der Durchsuchungsbeschluss erkennen lassen, weshalb im konkreten Fall ausnahmsweise das Strafverfolgungsinteresse überwiegen soll. Diese Einschätzung des Ermittlungsrichters kann mit der Beschwerde angegriffen werden.

Straftaten von erheblicher Bedeutung

Einfache und besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung, Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen, Bankrott, Schuldnerbegünstigung, Betrug, Untreue und Urkundenfälschung sind hingegen in der Regel den Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 160 Abs. 2 S. 1 StPO greift hier nicht, der Steuerberater muss die Durchsuchung grundsätzlich dulden. Aber auch in diesen Fällen muss der Durchsuchungsbeschluss eine Abwägungsentscheidung enthalten. Fehlt diese, ist er rechtswidrig.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Unabhängig vom Schutz des § 160a StPO müssen die Ermittlungsbehörden bei der Durchsuchung die besondere Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Berater und Mandanten jederzeit respektieren.
So ist die Durchsuchung einer Steuerberaterkanzlei nach Meinung des Landgerichts Saarbrücken vom März 2013 in der Regel unverhältnismäßig und damit rechtswidrig, wenn die Ermittlungsbehörden nicht zuvor ein Herausgabeverlangen gemäß § 95 StPO an den Steuerberater gerichtet haben. Zudem sollte es selbstverständlich sein, dass die Ermittlungsbehörden bei der Durchsuchung das Vertrauensverhältnis des Steuerberaters zu seinen sonstigen Mandanten respektieren.
Mandantenakten (elektronisch oder in Papierform), die erkennbar keinen Bezug zum Ermittlungsverfahren haben, dürfen nicht eingesehen werden. Gleiches gilt für die pauschale Durchsicht von Mandantenkarteien. Nicht alle Ermittler können dies nachvollziehen.

Rechtsschutzmöglichkeiten

Da Teile der Ermittlungsbehörden den § 160a StPO nicht kennen (oder jedenfalls nicht beachten), sind Berater immer wieder mit rechtswidrigen Durchsuchungssituationen konfrontiert. Realistischerweise kann eine Durchsuchung kaum mehr verhindert werden, wenn die Ermittlungsbehörden mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss vor der Kanzlei stehen, mag der Beschluss auch evident rechtswidrig sein.
In dieser Situation geht es um Schadensbegrenzung. Der Berater sollte die Beamten deutlich auf die Rechtswidrigkeit des Beschlusses hinweisen, der Durchsuchung widersprechen und beides im Durchsuchungsprotokoll vermerken lassen. Im Interesse seiner übrigen Mandanten sollte der Berater darauf hinwirken, dass die Beamten sensibel vorgehen und sich keine Informationen über erkennbar unbeteiligte Mandanten verschaffen.

Beschwerde einlegen

Die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung kann dann im Nachgang mittels einer Beschwerde angegriffen werden.

Bestehen Zweifel gegen die materielle Zulässigkeit der Durchsuchung, sollte der Berater stets auf die Versiegelung aller beschlagnahmten Unterlagen bestehen, bis ein Gericht über die Zulässigkeit der Ermittlungsmaßnahmen entschieden hat.
Im Fall der Durchsuchung von Rechtsanwaltskanzleien sollte dies eine Standardmaßnahme sein – schon mit Blick auf das umfassende Beweisverwertungsverbot des § 160 Abs. 1 S. 2 StPO.
Die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung kann dann im Nachgang mittels einer Beschwerde (§ 304 StPO) angegriffen werden. Ziel ist dabei die Aufhebung sämtlicher rechtswidriger Ermittlungsmaßnahmen.
Ist hingegen „nur“ die Begründung des Durchsuchungsbeschlusses fehlerhaft – enthält dieser zum Beispiel nicht die nach § 160a Abs. 2 StPO erforderliche Abwägungsentscheidung – ergeben sich daraus in der Regel keine Beweisverwertungsverbote. Die Begründung kann nachgeholt, der Mangel dadurch geheilt werden.
Dennoch sollte der Berater auch in dieser Konstellation die Erhebung einer Beschwerde ernsthaft in Betracht ziehen.
Sie dient vor allem dem öffentlichen Interesse an der rechtsförmigen Durchführung von Strafverfahren und sensibilisiert langfristig die Ermittlungsbehörden für die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Berater und Mandanten. In diesem Sinne hat die Beschwerde (so bleibt zu hoffen) zumindest einen erzieherischen Effekt.

Zum Autor

Dr. Henrik Vogel

Rechtsanwalt in München.

Er berät vor allem im Bereich Compliance.

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