Inter­nationale Be­steuerung - 20. Dezember 2013

Die Rechnung, bitte!

Erträge werden von inter­nationalen Konzernen steuerfrei in Niedrig­steuer­länder transferiert. Der Beitrag zeigt, wie die Steuern in dem Land der Wert­schöpfung erhoben werden können.

Die Besteuerung von Lohneinkommen ist offensichtlich kein Problem: Lohnsteuer und Sozialabgaben werden vom Arbeitgeber bei der Lohnauszahlung abgezogen und an das Finanzamt und die Sozialversicherung weitergeleitet. Deshalb liegt das tatsächlich bezahlte Aufkommen auch nur wenig unter dem rechnerisch auf Basis der gesetzlichen Steuer- und Abgabensätze geschätzten Aufkommen. Die Steuerpolitik der letzten Jahrzehnte hat es aber nicht verhindert und teilweise sogar gefördert, dass erhebliche Anteile der in Deutschland erwirtschafteten Kapitalentgelte in Deutschland weitgehend unbesteuert bleiben. Deshalb liegt hier das tatsächlich bezahlte Aufkommen deutlich unter dem rechnerisch geschätzten Aufkommen.

Erträge werden transferiert

Unter­schied­liche Steuer­systeme innerhalb der Europäischen Union werden genutzt, um die in einem Land erwirt­schaf­teten Erträge steuerfrei in Niedrig­steuer­länder zu transferieren.

In Deutschland tätige Töchter von aus­ländischen Konzernen nutzen die unter­schied­lichen Steuersysteme der EU-Mitglieds­länder, indem sie die in einem Land erwirt­schafteten Erträge steuerfrei in Niedrig­steuer­länder transferieren. Namens­lizenzen sind ein aktuelles Beispiel, wie inter­nationale Konzerne (Starbucks, Google, IKEA etc.) ihre in Deutschland erwirt­schafteten Kapital­entgelte weitgehend einer Besteuerung entziehen können. Solange Lizenzgeber und Lizenznehmer beide in Deutschland ansässig sind, ist es offenbar fiskalisch irrelevant gewesen, ob die in Deutschland erwirtschafteten Lizenzgebühren beim Lizenzgeber oder beim Lizenznehmer besteuert werden. Die freien Kapitalmärkte und die EU-Nieder­lassungs­freiheit ermöglichen nun die Ansiedlung des Lizenzgebers in einer Steueroase, früher auf weit entfernten Karibikinseln, heute in den Nachbarländern wie den Niederlanden mit ihrer Niedrigst­besteuerung von Lizenzerträgen. Gezwungen durch den internationalen Steuer­wettbewerb nutzen diese Möglichkeiten immer stärker auch in Deutschland ansässige Unternehmen. Das derzeitige Steuersystem prämiert steuerlich die Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland und vertreibt vor allem auch im Finanzierungs- und Kapital­verwaltungs­bereich Unternehmen und Arbeitsplätze, weil die Kapital­verwaltung steuergetrieben ins Ausland verlegt wird. So ist ein absurdes System von unfairer und aggressiver Steuer­ver­meidung entstanden, das insbesondere international operierende Konzerne nutzen können (siehe Addressing Base Erosion and Profit Shifting. OECD, Paris, 2013). Angel Gurria, Chef der Industrie­länder­organisation OECD, wählte Anfang 2013 in einem Handelsblatt-Interview deutliche Worte: „Wir wollten verhindern, dass Unternehmen doppelt besteuert werden. Nun sind wir im Zustand doppelter Nicht­be­steuerung angekommen. […] Wir wollen einen Satz von Gesetzen und Vorschriften erreichen, der sicherstellt: Steuern werden da erhoben, wo die Werte geschaffen werden und die wirtschaftliche Aktivität stattfindet.“ Michael Sell, Steuerabteilungsleiter im Bundesfinanzministerium schrieb dazu im Handelsblatt Mitte Juli 2013: „Der (BEPS)-Aktionsplan folgt drei Kernanliegen: Wertschöpfung muss dort versteuert werden, wo sie stattfindet. Die weitgehende Vermeidung internationaler Doppelbesteuerung muss durch die Vermeidung der doppelten Nicht­­be­steuerung ergänzt werden. Das internationale Steuerrecht muss verwaltungsmäßig vollziehbare rechtliche Anknüpfungspunkte für die Besteuerung digitaler Geschäfte in allen ihren Formen entwickeln.“ Im Folgenden werden hierzu Lösungs­vorschläge unterbreitet (vgl. Jarass/Obermair, Steuer­maß­nahmen zur nach­haltigen Staats­finan­zierung, 2012, Kap. 2.2).

Steuerbemessungsgrundlage

Die Steuer­bemessungs­grundlage „Gewinn“ ergibt sich heute vielfach nur noch als Restgröße, nachdem erhebliche, häufig steuer­getriebene Aufwendungen für Schuldzinsen und Lizenz­gebühren vom Kapitalentgelt abgezogen worden sind, wie die vorher erläuterten Namenslizenzen zeigen. Zukünftig sollten die gesamten in Deutschland erwirtschafteten Kapital­entgelte (= EBIT zuzüglich geleistete Lizenzgebühren) auch in Deutschland besteuert werden, also nicht nur die Gewinne, sondern auch die geleisteten Schuldzinsen und Lizenzgebühren, die dann nicht mehr unbesteuert in Steueroasen fließen können. Die Maßnahme wurde bereits bei der Reform der Gewerbesteuer 2008 in einem ersten kleinen Schritt umgesetzt. Dies dient auch der Herstellung ­fairer Wett­bewerbs­bedingungen zwischen lokal und global tätigen Unternehmen.

Begrenzung der Aufwendungen

Grundsätzlich dürfen in Deutschland Aufwendungen nicht steuerlich geltend gemacht werden, soweit das damit erzielbare Einkommen in Deutschland nicht steuer­pflichtig ist. Allerdings können aufgrund einer Vielzahl von Sonder- und Ausnahmeregeln insbesondere global operierende Unternehmen Aufwendungen steuerlich in Deutschland geltend machen, obwohl die zugehörigen (meist im Ausland anfallenden) Erträge hierzulande steuerfrei sind. Besonders problematische Folge: Der Abbau von Anlagen und Arbeitsplätzen in Deutschland und ihre Verlagerung in Niedriglohnländer wird auch noch steuerlich gefördert. Diese Sonder- und Ausnahmeregeln müssen EU-konform schrittweise aufgehoben werden.

Verlustverrechnung stärker beschränken

Schon 2006 betrugen die Verlustvorträge mit knapp 600 Milliarden Euro mehr als fünfmal so viel wie der Gesamtbetrag der Einkünfte aller körper­schaft­steuer­pflichtigen Unternehmen. Diese Verluste können in Deutschland zeitlich unbeschränkt, also ewig vorgetragen werden, und zwar sowohl bei der Gewerbesteuer als auch bei der Einkommensteuer. Es ist zwingend erforderlich, dass die Verlustvorträge zeitlich begrenzt werden, so wie es in vielen EU-Staaten üblich ist. Beispielsweise könnten Verluste nach einigen Jahren jedes Jahr abgeschmolzen werden. Dies würde auch die komplizierten Regelungen zum Verlustuntergang bei Eigentumswechsel, die zur Verringerung von Steuerumgehungen durch Kauf von Firmen mit hohen Verlustvorträgen (Mantelkauf) erforderlich sind, weniger bedeutsam machen. Auch die Verlustverrechnung zwischen verbundenen Unternehmen (Organschaft) sollte keinesfalls im Rahmen einer Gruppen­besteuerung ausgeweitet, sondern stärker beschränkt werden (vgl. etwa OECD 2011, Corporate Loss Utilisation through Aggressive Tax Planning. In: OECD 2013, Addressing Base Erosion and Profit Shifting, S. 46).

Unbesteuerte Vermögenserträge verringern

Wertsteigerungen von Betriebsvermögen bleiben in Deutschland seit Jahrzehnten überwiegend dauerhaft unbesteuert, obwohl sie nach den Grundsätzen des geltenden Rechts zu besteuerndes Einkommen darstellen (§ 4 Abs. 1 S. 1 EStG): „Gewinn ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres …“ Im Widerspruch zu dieser klaren gesetzlichen Vorgabe werden Wertsteigerungen im Regelfall nur besteuert, soweit sie durch Verkauf realisiert wurden, und entsprechende Erträge zugeflossen sind (Realisationsprinzip). Hingegen können alle als dauerhaft angesehenen Wertminderungen (Vorsichtsprinzip) steuerlich geltend gemacht werden, auch wenn sie nicht durch Verkauf realisiert wurden (Imparitätsprinzip). Für den Fall der Realisierung von Wertsteigerungen (Aufdeckung von stillen Reserven) enthält das deutsche Steuerrecht komplizierte Überleitungs- und Stundungsregeln, beispielsweise bei Sitzverlagerung ins Ausland. Die Nichtbesteuerung von unrealisierten Wertsteigerungen wird dabei vor allem mit angeblichen erheblichen Bewertungsproblemen bei der Erfassung von Wertsteigerungen begründet sowie zur Vermeidung von Liquiditätsproblemen und zum Schutz der Gläubiger gefordert. Deshalb wird bisher auf die Besteuerung von unrealisierten Wertsteigerungen sowohl für betriebsnotwendiges wie für nicht betriebsnotwendiges Betriebsvermögen gänzlich verzichtet. Der Ausschluss von Vermögensmehrungen vom steuerpflichtigen Einkommen führte aber dazu, dass das zu versteuernde Gesamteinkommen des Steuerpflichtigen immer weniger seinem ökonomischen Einkommen entspricht. Eine Besteuerung dieser bisher dauerhaft unbesteuerten Vermögenserträge sollte EU-konform schrittweise umgesetzt werden.

Ausblick

Die konkrete Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen wird in einem 2014 anlaufenden Forschungsprojekt näher ausgearbeitet werden. Vor allem im Hinblick auf verwaltungsarme und umgehungsresistente Lösungen und unter besonderer Berücksichtigung der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen in Deutschland.

Zum Autor

Prof. Dr. Lorenz Jarass

M.S. (Stan­ford Uni­versity), lehrt an der Hoch­schule Rhein­Main, Wies­baden. Er ist Autor von 14 Büchern (auch in Eng­lisch und Rus­sisch) und über 100 Auf­sätzen in deut­schen und aus­ländischen Fach­zeit­schriften (www.JARASS.com Publi­kationen). Er berät unter anderem die Euro­päische Kom­mis­sion, das Euro­päische Parla­ment sowie den Deut­schen Bundes­tag.

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