Das Unternehmen Anwaltskanzlei - 11. September 2013

Entwicklungsdrang

Was ist die beste Rechtsform für eine Anwaltskanzlei in Deutschland? Und welche Arten der Zusammenarbeit bieten sich für den Rechtsanwalt an? Fragen, die auch nach über 40 Jahren Berufserfahrung nicht leicht bzw. endgültig zu beantworten sind.

Sieghart Ott, ein Einzelanwalt aus München, bei dem ich 1970 das anwaltliche Handwerk erlernte, hätte über die Frage, ob er eine GmbH gründen wolle, wohl nur gelacht. Seine Haftpflichtversicherung deckte die regelmäßigen Risiken ab und er wusste, dass er im Bedarfsfall ein einzelnes risikoreiches Mandat isoliert versichern konnte. Otto Gritschneder, in dessen wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Büro fünf Rechtsanwälte tätig waren und der immer wieder Münchner Banken und andere Unternehmen in größeren Sachen vertrat, hätte 1973 darüber gewiss schon anders gedacht. Aber damals gab es die rechtliche Möglichkeit nicht, in einer Kapitalgesellschaft zu arbeiten.

Mein eigenes Büro ist dann zwischen 1973 und 1997 in Form einer BGB-Gesellschaft auf 23 Anwälte gewachsen. Unsere Versicherungssumme hatten wir schon sehr früh auf zehn Millionen DM erhöht und in einzelnen Fällen auch Einzelversicherungen abgeschlossen. Trotzdem haben wir keine Kapitalgesellschaft gegründet, weil in den beiden Büros in München und Berlin jeder jeden kannte und das bedeutete auch, dass jeder eine klare Vorstellung unserer Mandatsstruktur besaß. Unser Management haben wir im Wesentlichen auf Zuruf betrieben.

Strukturelle Entwicklungen

Zwischen 1987 und dem Jahr 2000 trafen dann drei Entwicklungen aufeinander: Das antiquierte Berufsrecht der Rechtsanwälte wurde aus den Angeln gehoben, überörtliche Sozietäten wurden möglich. Deutschland wurde wiedervereinigt und international sorgte die Globalisierung für eine schlagartige Ausweitung des internationalen Beratungsgeschäfts. Oppenhoff (Köln), die 1973 als größte deutsche Sozietät 25 Rechtsanwälte hatte, fand sich nach ihrer Fusion mit Linklaters in einem weltweit operierenden Unternehmen.
Und so ging es vielen großen deutschen Sozietäten. Sie werden seither mit einer Vielzahl von völlig neuen Managementfragen konfrontiert, wie etwa der Mandatsstruktur, der Zahl der Mandate und Anwälte, der Überörtlichkeit sowie der Informationspolitik.

Mandatsstruktur

Ein Einzelanwalt, der nur Privatpersonen vertritt, hat weniger Risiken als eine größere Sozietät, die ständig für große Mandanten in großen Sachen tätig ist. Und was noch wichtiger ist: Je kleiner ein Büro ist, umso klarer steht die Mandatsstruktur allen vor Augen, dieses Wissen verschwimmt mit der Zahl der Anwälte und zwischen mehreren überörtlichen Büros oder gar Berufsgruppen wird sie endgültig undeutlich.

Zahl der Mandate und Anwälte

Jede zahlenmäßige Vergrößerung erhöht die Komplexität und sie erhöht sich nicht einfach linear. Bis zu zwölf Rechtsanwälte können über ihre Probleme jederzeit und kurzfristig intern sprechen und ihr Büro im Wesentlichen noch auf Zuruf managen.
Danach wird es schwierig. Wir hatten bei 23 Anwälten gemerkt, dass wir uns anders organisieren mussten – einer der wesentlichen Motive für unsere Fusion mit Heuking Kühn im Jahr 1997.

Überörtlichkeit

Allein die Tatsache, dass eine Sozietät an mehreren Standorten tätig ist, erhöht die Komplexität nochmals, weil sie die Kommunikation erschwert und vor allem die Übersicht über die Mandatsstruktur vermindert. Ein Effekt, den man auch in einer geeigneten IT-Landschaft nur schwer beherrschen kann. Ist eine Sozietät über mehrere Standorte verteilt, kann man sie entweder nur als Bürogemeinschaft führen und jeden Standort sich selbst organisieren lassen oder man muss eine einheitliche Führungsstruktur aufbauen, die in einer BGB-Gesellschaft nur sehr schwer erreichbar ist.

Informationspolitik

In einer BGB-Gesellschaft müssen alle Grundsatzentscheidungen mit allen Gesellschaftern diskutiert und die informatorischen Voraussetzungen für eine Entscheidung geschaffen werden, in einer GmbH oder AG ist der Katalog der zustimmungsbedürftigen Geschäfte einfacher zu definieren und wechselnden Verhältnissen anzupassen.

Zusammenarbeit Anwalt/Steuerberater

Die Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwälten und Steuerberatern in einer gemeinsamen Sozietät war nie umstritten. Wir hatten uns etwa ab 1978 dafür entschieden, im Wirtschaftsrecht tätig zu sein und seit dieser Zeit in den unterschiedlichsten Formen mit Steuerberatern zusammengearbeitet: Wir hatten Steuerberater angestellt, sie waren Bürogemeinschafter oder Partner bei uns, wir hatten eine gemeinsame GmbH betrieben, nach der Wende sogar eine Aktiengesellschaft. In der beruflichen Zusammenarbeit war das eine nützliche, ja geradezu notwendige Ergänzung.

Konfliktpotenzial

Nach einigen Jahren zeigte sich aber, dass einige gesellschaftsrechtliche Fragen schwierig zu lösen waren. In einem Fall schied ein Steuerberater, der unser Partner war, aus, weil er neben sich keinen weiteren Steuerberater als Partner, aber in der ständig wachsenden Anwaltsgesellschaft immer eine Mehrheit gegen sich sah – obwohl wir nahezu nie kontrovers diskutierten.
Bei den Diskussionen wurde uns auch bewusst, dass der Wert des Steuerberateranteils an der Sozietät immer doppelt so hoch ist wie bei einem Anwalt als Partner. Wie sollte man diese Unterschiede beim Eintritt oder beim Ausscheiden von Partnern angemessen zum Ausdruck bringen? Auch in den Kapitalgesellschaften lassen sich diese Fragen nur lösen, wenn man sich der Problematik bewusst ist und den Wert der engen Zusammenarbeit so hoch schätzt, dass man tragfähige Entscheidungen erreicht.

Unterschiedliche Führungsansprüche

Ein weiteres – und vermutlich entscheidendes – Problem sind die unterschiedlichen Führungsansprüche. Welchen Einfluss sollten die – zahlenmäßig stets geringeren – Steuerberaterpartner auf die strategischen Entscheidungen einer Anwaltssozietät haben? Ein gut organisierter Steuerberater kann – allerdings nur mithilfe der DATEV – ohne weiteres 25 fachlich ausgebildete Mitarbeiter aufbauen (leverage 1:25) und dabei das Heft in der Hand behalten.

Kleinere Anwalts­kanz­leien sollten sich in Form einer Büro­gemein­schaft mit Steuer­beratern zu­sammen­­schließen.

Ein Anwalt kann das außer­halb von Spezial­gebieten wie Insol­venz, Zwangs­voll­streckung und viel­leicht der Ab­wicklung von Ver­kehrs­unfällen nicht. Anwalts­büros haben höchstens eine leverage von 1:6, wenn sie nicht aus­nahms­weise von weit­sichtigen Steuer­be­ratern auf­gebaut werden, die in diesen ge­mischten Sozie­täten eine deutliche Mehr­heit behalten (Rödl, PWC Legal usw.).
In allen anderen Fällen ist die Büro­gemein­schaft mit Ver­rechnung der einzelnen Leist­ungen im Einzel­fall die stabilste Form. Auch kleinere Anwalts­unter­nehmen sollten sich in dieser Form mit Steuer­beratern zusammen­schließen, weil beide Seiten davon nur Vorteile haben.

Zusammenarbeit Anwalt/Wirtschaftsprüfer

Im Jahr 1998 erkämpfte Oppenhoff vor dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit der beruflichen Zusammenarbeit zwischen Anwaltsnotaren und Wirtschaftsprüfern (BVerfG NJW 1998, 2269). Ich habe dem unter dem grundsätzlichen Aspekt der Liberalisierung zugestimmt. Als wir im Jahr 2000 zur Sozietät PricewaterhouseCoopers Veltins wechselten, hatten auch wir Gelegenheit, näher mit Wirtschaftsprüfern zusammenzuarbeiten. Schon vor der Sarbanes-Oxley-Gesetzgebung waren allerdings die Tätigkeitsbereiche beider Gruppen schon aus berufsrechtlichen Gründen scharf getrennt. Die jüngere Entwicklung auf dem Gebiet der Compliance fordert es, diese notwendige Trennung strikt aufrechtzuerhalten, weil sonst Interessenkonflikte zwischen Anwälten, Wirtschaftsprüfern und ihren Mandanten unvermeidlich wären.
Auch wenn es rechtlich möglich ist, rate ich von einer Sozietät von Anwälten und Wirtschaftsprüfern ab, weil abgesehen von den Haftungsrisiken so viele formale Bestimmungen zu beachten wären, dass die Zusammenarbeit darunter stark leiden würde.

Mangelnde Steuerbarkeit

1997 fusionierten wir als BGB-Gesellschaften mit Heuking Kühn Lüer Woijtek (Düsseldorf/ Köln/ Frankfurt/ Berlin), damals etwa 90 Rechtsanwälte, zusammen mit den Mitarbeitern mehr als 200 Personen. Uns war klar, dass wir uns jetzt professionalisieren mussten, was auf unterschiedliche Weise geschah. Das sahen wir nach drei Jahren, als wir uns wieder getrennt hatten. Heuking Kühn hat sich dazu entschieden, die BGB-Gesellschaft in eine Partnerschaftsgesellschaft umzuwandeln, wir fusionierten mit der PWC Veltins GmbH. Erst einige Jahre später erreichten uns aus den USA die oben angesprochenen Untersuchungen, die uns zeigten, wie die verschiedenen Risikofaktoren in ihrer Komplexität bis zur Grenze der Beherrschbarkeit zusammenwirken.
Vielleicht kann man die Richtigkeit dieser These schon daran ­ermessen, dass wir in den knapp drei Jahren der Zusammenarbeit gar keine Zeit fanden, uns über die richtige Rechtsform abzustimmen. Darin liegt die wesentliche Gefahr für die Steuerbarkeit und Effizienz großer Anwaltsunternehmen. Man kann sie nur in Grenzen halten, wenn Partner ein gewisses Maß an Führung akzeptieren, das umso größer sein wird, je größer das Unternehmen wird. PWC Veltins war von Anfang an als GmbH konzipiert worden und so machten wir unsere ersten Erfahrungen in einer ­Kapitalgesellschaft.
Die GmbH ist durch einen gesteigerten Verwaltungsaufwand, die Gewerbesteuer und die Notwendigkeit der Bilanzierung von Forderungen etwa fünf bis sieben Prozent teurer als jede andere Rechtsform. Aber sie hat einen entscheidenden Vorteil: Jeder Gesellschafter, der vor allem in einer überörtlichen Sozietät keinen Überblick darüber haben kann, was an anderen Standorten geschieht, wird ruhig schlafen, weil sein Privatvermögen nie gefährdet ist.

Ausblick

Letztlich wird es von der absoluten Größe einer Sozietät abhängen, ob sie sich für die eine oder andere Rechtsform entscheidet. Die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Haftung könnte eine interessante Variante sein. Sollten die Voraussagen der Prognos Studie 2013 tatsächlich eintreffen, was ich vermute, wird die Anwaltschaft in zehn Jahren sehr viel virtueller und dislozierter arbeiten als heute. Damit nehmen die Haftungsrisiken zu und die überwiegende Mehrheit auch der kleinen und mittleren Büros wird in Partnerschaften mit beschränkter Haftung tätig sein. Die größeren werden entweder in einer GmbH (& Co. KG) oder in einer ausländischen Rechtsform organisiert sein.

Zum Autor

Prof. Dr. Benno Heussen

Mit­be­gründer und Partner der Heussen Rechts­an­walts­ge­sell­schaft mbH, München/ Berlin sowie Re­daktions­beirat beim DATEV magazin. Er ist zudem Ho­norar­pro­fessor an der Uni­versi­tät Hannover.

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