Deutsche Erbschaft im Vereinigten Königreich - 17. Juni 2013

Erben über Grenzen

Deutsche Verfügungen allein sind beim internationalen Erbfall in Großbritannien nicht zielführend. Nationale Rechtsinstitute sollte man zwingend berücksichtigen.

Linksverkehr, Höflichkeit, Schlange stehen und Geduld: Jeder von uns kennt die Klischees, die man schnell mit dem Vereinigten Königreich in Verbindung bringt. Wenig Erfahrungsschatz dürfte dagegen bei erbrechtlichen Fragen vorhanden sein, etwa:

  • Wie vererbe ich meine Wohnung in London richtig?
  • Welcher Form bedarf mein Testament?
  • Welches Recht findet Anwendung?
  • Müssen die Erben mit Pflichtteilsansprüchen „übergangener“ Personen rechnen?
  • Welche Steuern fallen an?

Ungewohnt ist, dass es in England einen gesonderten Nachlassabwickler­ gibt, der selbst Inhaber des Nach­lasses wird.

Der Nachlassabwickler

Das Erbrecht im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland ist zum Teil sehr speziell. Und die Bestimmungen in England und Wales bzw. Schottland und Nordirland sind nicht immer einheitlich. Ungewohnt ist für uns Deutsche zum Beispiel, dass es in England die Figur des gesonderten Nachlassabwicklers („personal representative“) gibt, der selbst Inhaber des Nachlasses wird, Nachlassgegenstände sammelt, für eine bestimmte Zeit verwaltet und an die gesetzlich Begünstigten verteilt oder in einen längerfristigen „trust“ überführt.
Die Regelungen sind sehr komplex und es empfiehlt sich, für alle Fragestellungen rechtskundigen Rat einzuholen. Nachfolgend sollen die Grundzüge der diesbezüglichen Rechtsordnungen, allerdings nur für England und Wales, kurz und knapp aufgezeigt werden.

Deutsches oder englisches Recht?

Für die Erbfolge in den unbeweglichen Nachlass findet das jeweilige Belegenheitsrecht (lex rei sitae) Anwendung, also das Recht des Staates, in dem sich der Nachlassgegenstand befindet. Zu den Immobilien zählen im Ergebnis auch alle Rechte an Grundstücken einschließlich der eingebauten Gegenstände und das Zubehörs. Für die Erbfolge beim beweglichen Nachlass (sonstiges Vermögen, wie etwa Geld, Hausrat usw.) ist dagegen das Recht des letzten Domizils („domicile“) des Erblassers maßgeblich, und zwar unabhängig davon, wo es belegen ist.

Domicile of origin/domicile of choice

Das domicile wird zunächst durch Geburt begründet und ist bei ehelichen Kindern das „domicile“ des Vaters („domicile of origin“). Verlegt eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in ein anderes Rechtsgebiet mit der Absicht, dort zu bleiben und nicht zurückzukehren, begründet sie damit ein „domicile of choice“. Für den beweglichen Nachlass eines britischen Staatsangehörigen mit letztem „domicile“ in Deutschland ist damit (aus englischer Sicht) deutsches Erbrecht maßgeblich.
Verstirbt ein Deutscher mit letztem „domicile“ in England, ist für den in England vorhandenen beweglichen Nachlass aus deutscher Sicht deutsches Erbrecht anzuwenden, aus englischer Sicht jedoch englisches Recht. Mit der Folge, dass in England ein „administrator“ vom Gericht bestellt wird, sodass etwa in Deutschland vorhandene Erben womöglich den in Deutschland belegenen Nachlass nicht selbst abwickeln können.
Aus diesem Grund kann es empfehlenswert sein, in einem Testament eine bestimmte Person zum „executor“ zu bestimmen, der die Rechtsstellung eines Testamentsvollstreckers nach deutschem Recht hat, um die Tätigkeit des in England bestellten „administrators“ entbehrlich werden zu lassen.

Gesetzliche Erbfolge

Falls kein Testament vorhanden ist, sieht das englische Recht ebenso wie das deutsche die gesetzliche Erbfolge vor. Überlebt der Ehegatte den Erblasser mindestens 28 Tage, hat er Anspruch auf bestimmte Nachlassteile, wie zum Beispiel Haushaltsgegenstände oder einen festen Geldbetrag. Und es steht ihm ein lebenslanges Nutzungsrecht an der Hälfte des verbleibenden Reinnachlasses zu. Des Weiteren hat er bestimmte Wahlrechte: Er kann anstelle des lebenslangen Nutzungsrechts einen Einmalbetrag verlangen. Und zudem kann er die Übertragung des Familienwohnheims gegen Verrechnung mit seinen erbrechtlichen Ansprüchen fordern.
Die gesetzliche Erbfolge basiert auch in Großbritannien auf einem Ordnungssystem, wonach die Verwandten in einer bestimmten Rangfolge erben: vorrangig Abkömmlinge, dann Eltern, vollbürtige sowie halbbürtige Geschwister oder deren Abkömmlinge und weitere genau festgelegte Verwandte. Im Gegensatz zum deutschen Erbrecht, wo auch sehr entfernte Verwandte Erben sein können, fällt der Nachlass in England jedoch an die Krone, wenn keine der festgelegten Personen existieren.

Testamentarische Erbfolge

Nach deutschem Recht muss ein Testament entweder vom Erblasser selbst eigenhändig geschrieben und unterschrieben werden (eigenhändiges Testament) oder zur Niederschrift eines Notars (öffentliches Testament) errichtet werden. Nach englischem Recht kann ein wirksames Testament („will“) nur von einem Volljährigen – also 18 Jahre alt bei Testamentserrichtung nach dem 1. Januar 1972, zuvor 21 Jahre – sowie testierfähigen Erblasser errichtet werden. Das Testament muss schriftlich abgefasst sein und vom Erblasser selbst oder einer anderen Person auf Weisung sowie in Anwesenheit des Erblassers unterschrieben sein. Zwei Zeugen haben das durch ihre Unterschrift zu bestätigen.
Zu beachten ist jedoch, dass hinsichtlich gemeinschaftlicher Testamente bei Anwendung englischen Erbfolgerechts die Bindungswirkung entfällt, da das englische Recht nur das Testament („will“) kennt, aber keine Bindung, wie sie in einem deutschen notariellen Erbvertrag enthalten sein kann. Eine gewisse Bindung kann jedoch auf anderem Wege erreicht werden:

  • Einmal durch Vereinbarung, das errichtete Testament, das wechselseitige Verfügungen enthält, nicht zu widerrufen;
  • zum anderen durch Abschluss eines Vertrags, bestimmte letztwillige Verfügungen zu treffen beziehungsweise ein bestimmtes Testament nicht zu widerrufen.

Bei Nichteinhaltung ist die widersprechende, neue Verfügung zwar wirksam, aber es werden gegebenenfalls Schadenersatzansprüche begründet.

Nachlassabwicklung

Der Nachlass geht zunächst auf einen „personal representative“ über. Ist er vom Gericht bestellt, wird er als „administrator“ bezeichnet. Ist er in einem Testament ernannt, bezeichnet man ihn als „executor“. Er sammelt die Nachlassgegenstände, verwaltet sie für eine bestimmte Zeit, begleicht die Nachlassverbindlichkeiten und verteilt den Reinnachlass an die testamentarisch Begünstigten oder überführt ihn in einen längerfristigen „trust“; letzterer ist im Testament festzulegen und gilt in England als bedeutende Rechtsinstitution.
Der „trust“ wird vom Erblasser in der Regel bereits zu Lebzeiten begründet und ist eine Alternative zum Testament. Das rechtliche Eigentum liegt beim „trustee“, einem Treuhänder, der das Vermögen bereits zu Lebzeiten und noch über den Tod des Erblassers hinaus verwaltet. Die Nutzungen stehen dem Erblasser oder nach dessen Tod den Erben zu. Der Erblasser kann mit der Begründung eines „trust“ Vermögen zuordnen, ohne Einfluss des Erbstatuts auf die Zuordnung. Außerdem kann durch bestimmte Gestaltung hinsichtlich der Begründung eines „trusts“ die zwingende Nachlassabwicklung vermieden werden.

Im Gegensatz
zum deutschen Erbrecht gibt es in England kein Pflichtteilsrecht.

Kein Pflichtteil

Im Gegensatz zum deutschen Erbrecht gibt es in England kein Pflichtteilsrecht. Sind jedoch Ehegatten, Lebensgefährten, Kinder und andere Personen, die der Erblasser bis zu seinem Tod unterstützt hat oder an die Unterhalt geleistet wurde, im Testament nicht angemessen („reasonable“) bedacht, steht ihnen aufgrund des Inheritance Act 1975 eine finanzielle Unterstützung („Provision for Familiy and Dependants“) aus dem Nachlass zu. Sie muss notfalls gerichtlich durchgesetzt werden.

Steuerliche Aspekte

Im Gegensatz zur deutschen Regelung, den Zufluss beim jeweils Begünstigten zu erfassen, stellt die Inheritance Tax (IHT) eine Steuer auf den gesamten Nachlass dar. Das Vermögen wird nach Überschreitung des allgemeinen Freibetrags von 325.000 GBP (Stand 2009) mit einem festen Steuersatz besteuert. Im Fall des Todes werden auch Schenkungen, die der Erblasser innerhalb der letzten sieben Jahre vor seinem Tod vorgenommen hat, als eigene steuerbare Vorgänge besteuert. Dadurch können sich Freibeträge nachträglich ändern.

Ausblick

Durch die auf Erbfälle ab dem 17. August 2015 anzuwendende Europäische Erbrechtsverordnung ergeben sich übrigens nicht unerhebliche Neuerungen, die künftig zu beachten sind.

Zu den Autoren

AA
Dr. Axel Adrian

Notar im Notariat Dr. Adrian/ Dr. Wahl in Nürn­berg, schwer­punkt­mäßig auch mit Gesell­schafts­recht und inter­na­tionalem Erb­recht befasst.

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Rainer Haussmann

Amtsrat im Notardienst sowie im Notariat Dr. Adrian/Dr. Wahl tätig, ebenfalls mit internationalem Erbrecht befasst.

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